Entscheidungen sind so eine Sache. Kaum eine Angelegenheit des Willens und des Intellekts erweckt so viele Emotionen wie die Entscheidung. Ganze Kulturkritiken setzen gar an ihnen an. Und tatsächlich: Wenn etwas das Leben einzelner Menschen und ganzer Gesellschaften bestimmt, dann sind es Entscheidungen. Dafür, dass dieses so ist, was sicherlich auch kaum jemand bezweifeln wird, machen wir uns allerdings wenig Gedanken zu dem Thema. Ganz versteckt, in den Kammern der Wissenschaft oder der Philosophie, werden leise Diskurse über das Wesen der Entscheidung geführt, aber dort, wo diese laufend getroffen werden, da regiert die Situation und der Bauch.
Manche gehen so weit, dass sie das Wesen eines Gemeinwesens anhand der von ihm und in ihm geführten Entscheidungen glauben diagnostizieren zu können. Einer von ihnen war der Soziologe Niklas Luhmann, hierzulande als Mentor und Protagonist der soziologischen Systemtheorie bekannt. Aber selbst er, der wenig Ehrfurcht vor Tabus hatte, hatte entweder innerlich noch nicht mit dem Thema abgeschlossen oder nicht die Courage, eine Erkenntnis noch zu Lebzeiten in den Diskurs zu speisen, die vielleicht eine bittere Diagnose zur Folge gehabt hätte. Nämlich eben die, dass der Zustand von Organisationen ablesbar ist an der Geschwindigkeit, mit der sie in der Lage sind gute, d.h. richtige, vorausschauende und nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Das war die Erkenntnis, die gewissenhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in seinem Nachlass fanden und zu dem letzten Buch dieses außergewöhnlichen Autors formten. Es trug den Titel „Organisation und Entscheidung.“
Nicht umsonst haben wir in der deutschen Sprache bestimmte Begriffe, die in der Lage sind, eine gewisse Komplexität zu erfassen als auch das zu charakterisieren, was gerade passiert. Obwohl wir in einer Phase der virulenten Globalisierung leben, existieren dennoch kulturelle Unterschiede, die vielleicht das ausmachen, was die positive Spannung in der Welt genannt werden kann. Im Deutschen heißt es nämlich, wir hätten hier Entscheidungsträger. Gemeint ist damit, dass diejenigen, die über Macht verfügen, auch die Konsequenzen der Entscheidung tragen müssen. Da liegt die Konsequenz des Aktes schon im eigenen Begriff, was nicht überall so ist. Im Englischen z.B. wird von decision maker gesprochen, d.h. der Akt des Entscheidens als aktive, willentliche Tat beschrieben, deren Konsequenz in der begrifflichen Beschreibung bedeutungslos bleibt. Der deutschen Version wohnt bereits eine moralische Verpflichtung inne, die nicht immer entscheidungsfördernd wirkt.
Da schöne chinesische Sprichwort, das da besagt, keine Zeit zu haben heißt, sich für etwas anderes zu entscheiden, trägt vom Charakter her den nächsten Kern, der hierzulande Entscheidungsprozesse in gewisser Weise entschleunigt. Bei Entscheidungen geht es nämlich nicht nur um die Frage, was durch sie bejaht, sondern auch um die, was durch sie verneint wird. Eine Entscheidung zwischen fünf Alternativen bedeutet eine Absage an vier Optionen. Letzteres verursacht schon bei vielen, die für das Entscheiden engagiert sind, einen gewissen Stress. Nein zu sagen gehört vielleicht gegenwärtig zu den größten Schwierigkeiten, vor der unsere Gesellschaft steht. Absage, Trennung, Abschied und Negation sind schicksalsbeladene, emotional überaus komplexe Gebilde, mit denen unser kultureller Kontext, der sich immer aus holistischen Weltbildern gespeist hat, nur sehr schwer umgehen an. Im Gegensatz zu dem Pragmatismus der anglophonen Welt, die dagegen gefühlsarm und extrem kalt wirkt. Vielleicht deshalb auch das Ressentiment. Hier fällt das Nein-Sagen schwerer als die Bejahung. Ein Diskurs über die Entscheidung, ihre Entstehung, die Belohnungen, wenn keine getroffen wird und die Kräfte, die sie beflügeln, steht noch aus.
