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Kultur, Kultur

Willkommenskultur, Abschiebekultur, Bleibekultur, Unternehmenskultur, Debattenkultur, Leitkultur – die Liste der Begriffe, die mit dem Begriff Kultur assoziiert werden, ist an Länge kaum noch zu erfassen. Ob durch die Verbindung aller möglichen Umstände mit dem Begriff Kultur etwas zur Aufhellung beiträgt, ist fraglich. Der Eindruck, der entsteht, ist ein anderer: Mit dem Beiwort der Kultur bekommt vieles den Status des Sakrosankten, das eine nähere Analyse verbietet. Wer sich gegen diesen so erzeugten Nebel wehrt und darum bittet, doch genau zu formulieren, worum es eigentlich geht, steht schnell im Abseits. In welchem auch immer. Um eine Klärung komplizierter Zusammenhänge, in denen es auch um einen Standpunkt oder sogar Haltung geht, ist anscheinend nicht erwünscht. Stattdessen herrscht die Meinung, dass es bei Kultur um etwas Positives geht, ob geklärt oder nicht. So wird eine Stimmung erzeugt, in denen der Bauch mehr zu sagen hat als der Kopf.

Es ist nicht unbedingt ein neues Phänomen. Mit der Beigabe Kultur wurde schon immer gerne eine Stimmung erzeugt, die der Klarheit abträglich ist. Eines der markanten Beispiele ist der übersetzte Titel des umstrittenen Buches von Samuel Huntington. Der hatte sich die Landkarte der Welt vorgenommen und Linien gezogen, in denen unterschiedliche Zivilisationskonzepte aufeinander stießen. Und so hatte er seine Studie auch „Clash of Civilizations“ genannt. Was er daraus für Schlüsse zog, ist eine andere Sache. Da ist Kritik durchaus angebracht und aus heutiger Sicht sieht man eine Geographie der Machtausdehnung des Westens. Eigenartigerweise haben genau diejenigen, die gegen das Buch seinerseits so aufgebracht argumentiert haben, brav mitgemacht, bei der Atomisierung des Balkans beispielsweise, oder bei der NATO-Osterweiterung. Da waren sich plötzlich alle einig.

Den Zusammenstoß der Zivilisationen allerdings im Deutschen als Kampf der Kulturen zu übersetzen, das zeigt, wie verheerend dieser laxe Umgang mit dem Wort der Kultur enden kann. Plötzlich befinden wir uns alle im Kulturkampf, ein Begriff, der vor brauner Soße nur so trieft und den man dem Autor beim besten Willen nicht zuschreiben kann. Aber da sind sie dann alle da, die Friedensapostel und Toleranzgötter, die endlich die Folie gefunden haben, auf der letztendlich eine Politik betrieben werden kann, die nur noch als entsetzlich beschrieben werden muss.

Es ist der Hang, alles mit der Aura des Großen und Erhabenen vermengen zu wollen, um sich letztendlich auf der richtigen Seite zu wähnen. Die Folgen sind bekannt, und sie waren nie anders. Es wird eine Stimmung erzeugt, die von großen Emotionen getragen wird, in der es nur noch um das Gute oder das Böse geht und in der die Wortakrobaten wie selbstverständlich auf der richtigen Seite stehen. Am Schluss stehen Emotionalisierung und Propaganda.

Es wäre hilfreicher, die jeweilige Situation zunächst einmal ganz pragmatisch zu umschreiben. Dass zum Beispiel in einer bestimmten historischen Situation der eine Schritt der richtige ist und der andere eher nicht. Dass der Versuch, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen eher dazu führt, die Lage komplexer und prekärer zu machen, als ihr gebührt. Dass die eigenen Interessen einen Namen haben, den man sich genau ansehen muss, bevor gleich mit der Kultur die ganze historische Wolke, in der die Gesellschaft eingehüllt ist, auf den Plan zu rufen. Letztendlich handelt es sich um alles, nur nicht um Kultur, wenn Zusammenhänge einfach nur noch vernebelt werden, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen, die zu nichts Gutem führt.

Die Barbarei hinter dem Kulturbegriff

Jede Nation hat ihren eigenen Begriff von Kultur. Das verwundert nicht, weil die Geschichten der einzelnen Nationen verschieden sind und das, was sich in ihrem Prozess der Zivilisation abgespielt hat, immer wieder Eigenheiten aufbietet, die mit anderen nicht verglichen werden können. Deutschland selbst tat sich bekanntlich sehr schwer in der Herausbildung eines Nationalstaates, als in Frankreich die große französische Revolution in der zentralen Hauptstadt Paris ausbrach, da war, um Heinrich Heine zu zitieren, Deutschland noch ein Flickenteppich aus 36 Fetzen, sprich Fürsten- und Königtümern, die nach eigenen Verordnungen lebten. Dabei hatte es schon, selbst in diesem Jahrhundert, einen Wurf gegeben, die Kultur einer Nation zu definieren. Das war niemand geringerer als Kant, der den Begriff Kultur in einen engen Konnex zum Niveau der zivilisatorischen Entwicklung gebracht hatte.

Es wäre schön gewesen, wenn es bei dieser Nüchternheit geblieben wäre, aber der erst 1871 entstandene Nationalstaat und seine Monarchie waren schnell mit der Moderne überfordert und es wurde das Heil in einem Krieg gesucht, in dem die Monarchie unterging und in dessen Nachgang die Nation wieder so ins Schlingern kam, dass Mystiker und Runenleser dem verängstigten Volk eine große Zukunft versprachen. Nur handelte es sich nicht um Heilsbringer, sondern um dreiste Schwindler und Betrüger, die auch den Grundstein legten für einen Kulturbegriff, der vor allem eines sollte: die Barbarei verschleiern, die sich hinter ihren Taten verbarg. Ihnen haftete nichts Zivilisatorisches mehr an, und sobald das ruchbar wurde, wurde von der Kultur gesprochen. Dazu zündete man Räucherkerzen an und sprach des Nachts in großen Hallen. Diese Erweckungserlebnisse der Barbaren im Kontext der Begriffes Kultur wirken bis heute nach. Immer, wenn etwas geschieht, das rational nicht mehr unbedingt dem vorhandenen Horizont entspricht, taucht der Begriff der Kultur auf und es geht ein Raunen durch die Versammlung, das das wachsende Gefühl der Erhabenheit eskortiert.

Die Methode ist derartig erfolgreich, dass sie von allen möglichen Scharlatanen immer wieder abgeschaut und erneut verwendet wird, sodass der Begriff der Kultur, zumeist angekettet an ein anderes Wort, inflationiert worden ist. Die Ergebnisse, die man bei der Befragung derer bekäme, die an einer solchen Kultur teilhaben, würde belegen, dass es sich um eine rein emotionale Angelegenheit handelt. Deshalb ist es sinnvoll, den Begriff der Kultur wieder einer wesentlich sachlicheren Betrachtung zuzuführen und ihn zwecks Aufarbeitung des post-faschistischen Emotionsdesasters in die Labore der Soziologie zu verfrachten, wo er besser aufgehoben ist.

Niklas Luhmann zum Beispiel, ein durchaus konservativer Geist, bestach mit dem Vorschlag, die Kultur über eine Ebene zweiter Ordnung zu definieren. Er schlug vor, Kultur als die Beschreibung sozialen Handelns zu sehen, und zwar über die Beobachtung, wie soziales Handeln beschrieben würde. Das ist spannend, und nur der einfachste Versuch, dieses zu tun, zeigt, wieviel reche, aber eben auch kalte Erkenntnis sich hinter dieser Methode verbirgt.

Eine andere Sichtweise ist eine sehr moderne, quasi aus den aktuellen Journalen des soziologischen Diskurses, in denen Kultur als jede Form des sozialen Daseins definiert wird. Das hört sich sogar etwas sehr banal an, birgt jedoch den Vorteil, auch hier mit einer Nüchternheit zu Werke zu gehen, die dazu stimuliert, das Feld des Zivilisatorischen wieder in den Blick zu bekommen. Der sakrale Gebrauch des Kulturbegriffs führt immer wieder in die Täuschung. Nüchternheit und zivilisatorisches Denken tragen dazu bei, dem Spuk ein Ende zu bereiten.

Kultur und Barbarei

Es ist anscheinend ein nationales Phänomen. Nicht, dass andere Länder nicht auch auf diesem Sektor aktiv wären, aber der Dunst, der in Deutschland durch das Wort Kultur erzeugt wird, ist wohl nirgendwo so dicht wie hier. Immer, wenn etwas Höheres erahnt, eine Besonderheit vermutet oder das Gute lokalisiert wird, kommt der Begriff Kultur daher wie eine Eingebung der Göttlichkeit ihrer selbst. Woran das liegt, weiß keiner so genau, wahrscheinlich liegt es an der ewigen Barbarei, die hier tatsächlich herrschte und immer wieder herrscht. Längst, als andere Völker und Nationen Europas das Stadium der Zivilisation erfolgreich erreicht hatten, gab es im mythischen deutschen Wald noch Blutopfer und allerlei andere Rituale, die bis heute erschrecken.

Ja, da gab es auch irgendwann in der Neuzeit das Land der Dichter und Denker, aber auch das war nicht so glorreich, wie heute gerne kolportiert. Es war ein Treppenwitz vor allem der Engländer und Franzosen, die lange wussten, was ein Staat ist, als sich die Deutschen noch mit einem Flickenteppich aus Fürstentümern herumschlugen, um ihrer Provinzialität zu frönen. Die Dichter und Denker waren jene, die es nicht aushielten in diesem unzivilisierten Landstrich und aus den Kellerlöchern ihren Wunsch nach Freiheit und Zivilisation herausschrien.

Und selbst nach der Nationenbildung setzte sich die Barbarei fort, Kriege und Diktaturen nehmen doch erheblichen Raum ein in den Annalen der Deutschen. Das aus der Menschenfresserei gerettete Wort der Kultur hingegen wird bemüht wie die Knoblauchknolle gegen den Vampir. Wann immer vermutet wird, die dreckige Fratze der Barbarei könne wieder zum Vorschein kommen, wird die Kultur bemüht. Und da die Barbarei überall lauert, ist der Kulturbegriff inflationiert wie nirgendwo sonst auf der Welt.

So ist es kein Wunder, dass gerade im Barbarenland alle, die es mit der Zivilisation ernst meinten, der Kunst und Kultur einen besonderen Platz einräumten. Staatliche Kulturprogramme sind in jeder Staatsform, die sich demokratisch nennt, somit Pflicht. Sie sollen das Serum gegen die Barbarei beschaffen. Abgesehen davon, dass sich viele in dem Metier redlich bemühen mögen, eines lässt der Gedanke staatlicher Kulturförderung im Dunkeln und für Kritik nicht zu: Er nimmt eine Institutionalisierung und Bürokratisierung in Kauf, die dem, was Kultur ausmacht, diametral entgegensteht.

Nicht, dass es bei diesem Urteil um eine antiquierte Definition von Kultur ginge, ganz im Gegenteil. Vieles spricht für den zeitgenössischen Ansatz, dass Kultur jede Ausdrucksform des sozialen Daseins ist. Wenn dem jedoch so ist, dann kann die behördlich organisierte Kultur nur etwas sein, was, ja, das Bild gefällt, Lichtjahre von der tatsächlich gelebten Kultur entfernt ist. Staatlich organisierte Kulturförderung ist die Antipode zur Ausdrucksform des sozialen Daseins, wie es in der Gesellschaft gelebt wird.

Deshalb ist es alles andere als verwunderlich, dass die Funktionäre staatlicher Kulturförderung der Gesellschaft so sonderlich erscheinen. Das wäre auch noch akzeptabel, wenn es nicht mündete in eine durch keinerlei Fähigkeit und Tugend generierte Arroganz, die diesem Heer alimentierter Würdenträger innewohnt. Das bisschen Bildung, mit dem sie hausieren gehen, verwechseln sie mit tiefer sozialer Erfahrung. Und jede soziale Erfahrung, und sei es die der Outcasts und Underdogs, beinhaltet mehr Kreativität und Würde, als sie diese mit überschaubaren Horizonten ausgestattete Kaste erahnen könnte. Nein, die staatlich subventionierte Kultur ist kein Schutz gegen die Barbarei. Böse Zungen behaupten, sie schafft gar eine neue.