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Alles, was des Teufels Paradies beschreibt

Wer kann die Abfolge von gehörigen Krisen in den letzten zwei Jahrzehnten noch rekapitulieren? Und dann noch in der richtigen Reihenfolge? Meine These, beruhend auf der eigenen Unsicherheit: kaum jemand, außer den ewigen Chronisten, und zwar die mit dem einbetonierten Kompass. Was als sicher gelten kann, ist die Wahrnehmung, dass eine Krise die andere ablöste und dass keine dazu geführt hat, sich fundamental mit den Ursachen zu befassen und an grundlegenden Lösungen zu arbeiten. 

Klassischerweise geht die Kritik postwendend an die Politik, obwohl gerade diese als Geschäftsführung, die ein Desaster nach dem anderen managen muss, in vielerlei Hinsicht die Ressourcen vermissen lässt. Wer durch das brennende Haus vom Brand selbst wie von der öffentlichen Meinung gejagt wird, wird schwerlich in der Lage sein, die wesentlichen Ursachen von Krisen zu analysieren, zu bewerten und Lösungskonzepte zu entwickeln. 

Die Parteien, ihrerseits das Medium der Meinungsbildung aus der Perspektive gesellschaftlicher Interessengruppen, haben sich von der programmatischen Ausrichtung seit langem angewendet und konzentrieren sich ebenso wie die Mandatsträger auf den kurzatmigen Aktionismus. Und das, was als tiefer Raum der Meinungsbildung bezeichnet werden muss, die vielen Think Tanks und Denkfabriken, sind zumeist von Lobbys beauftragte und bezahlte Instanzen, die allesamt nicht an grundlegenden Änderungen interessiert sind. 

Die immer wieder hervorgehobene Zivilgesellschaft hat sich ihrerseits in vielen Fällen als Resonanzkörper besagter Denkfabriken und der von ihnen infiltrierten Medien herausgestellt und stellt auf keinen Fall die politische Kraft dar, derer es bedürfte, um eine Theorie des Neuen zu entwickeln und die entsprechenden politischen Maßnahmen zu ergreifen. 

Alles das beschreibt die jetzige Situation nur zu gut, und zur Vergewisserung noch einmal das Resümee: Eine fundamentale Krise folgt der nächsten, das vitale Gefahrenpotenzial ist ansteigend, die Geschäftsführung wie die für gesellschaftliche Programmatik vorgesehenen Institutionen sind überfordert und kommen ihrem Auftrag nicht nach. Die Brisanz der Lage wird medial mit dem Design von Feindbildern beantwortet, die von der Ursachenforschung ablenken. 

Aus der Distanz betrachtet, bleibt nur ein Szenario übrig: entweder geht die beschriebene Entwicklung ohne fundamentale Intervention so weiter und endet im Desaster, oder es geschieht etwas, das der Entwicklung eine Wendung geben kann. Da sich Letzteres immer weniger Menschen vorstellen können, bleibt vielen nur die Dystopie. Diese Reaktion ist nicht nur verständlich, denn sie ist folgerichtig. Denn wenn sich nichts ändert, dann wird alles nur noch schlimmer. Die Konkordanz von Pest, Armut und Krieg bringt alles mit sich, was des Teufels Paradies beschreibt. 

Und, um im Bild zu bleiben, die Sorglosigkeit wie das Fehlen gesellschaftlich notwendiger Institutionen für jedermann, die Ideologie der Übervorteilung und des Egoismus sowie die Gier nach immer mehr sind die Ursachen, die zu dieser satanischen Eintracht geführt haben, die sich in der permanenten Abfolge der beschriebenen Krisen manifestiert. Wer da noch von der Überlegenheit des kapitalistischen Systems faselt und seine orgiastische Version, den Neoliberalismus verklärt, der kennt sich nicht aus im Lesen von Bilanzen. Wenn die Kosten höher sind als der Ertrag, dann wird es nicht nur betriebswirtschaftlich brenzlig. Wenn das ebenso für die Volkswirtschaften gilt, dann haben wir das, was wir jeden Tag lesen können. Nicht nur eine fundamentale Krise, die das Unternehmen Gesellschaft gefährdet, sondern die dabei ist, zu einer Insolvenz zu führen. Und wir wissen, ist dieser Zustand erst einmal erreicht, dann werden die Karten neu gemischt. Völlig neu! 

Den Anspruch leben und den Laden am Laufen halten!

Jenseits der politischen Programmatik existiert das Feld der täglichen Routine. Einerseits liegt ein Bekenntnis zu strategischen Zielen vor, andererseits sind die heute konkreten, praktischen Zustände so beschaffen, dass sie sofortiges Handeln erfordern. Dabei entsteht für viele ein Dilemma, das hinreichend bekannt ist. Diejenigen, die sich auf die Strategie berufen und die praktischen Erfordernisse des Alltags ausblenden, ignorieren und verdrängen, scheitern sehr schnell und ihnen haftet das Attribut des weltfremden Träumers an. Andere wiederum, die sich selbst gerne als Pragmatiker sehen, stürzen sich in den Alltag, lösen auch so manches, aber sie verlieren den Blick für die Perspektive. Sie sind schnell als Funktionäre, Apparatschiks oder als Amöben verurteilt, weil sie nicht über das Heute hinausdenken.

Die Entscheidung, wie sich Organisationen, Parteien und Staaten vor allem in Krisen verhalten sollen, ist zweifelsohne eine, die bei der Führung liegt und dort getroffen wird. Die Krise kommt bei dieser Betrachtung ins Spiel, weil sie sich ausgezeichnet dazu eignet, die beschriebenen Verhaltensweisen auf dem hell erleuchteten Seziertisch betrachten zu können. Dann, wenn vieles ins Wanken gerät, zeigt sich sofort, wie die Führung die Probleme zu lösen gedenkt. Beide Varianten sind zu beobachten, wobei die des Managements der täglich anfallenden Probleme in Krisen besonderen Druck ausübt. Ihnen kann sich niemand entziehen, auch wenn in dem Bereich der politischen Parteien ein Refugium für die synthetisch reinen Strategen immer wieder anzutreffen ist.

Was erforderlich zu sein scheint, ist das tatsächliche Krisenmanagement, das sich den alltäglichen Problemen stellt und dabei die Perspektive nicht aus den Augen verliert. Eine Position, die das Problem besonders gut charakterisiert, ist die gegenwärtige Position einiger mächtiger Automobilproduzenten, die darauf pochen, sich jetzt um die Arbeitsplätze kümmern zu müssen und staatlich subventionierte Anreize für den Kauf von bekannten Modellen zu schaffen, ohne die verkehrspolitische Zukunft und damit die Relevanz des Geforderten zu überprüfen. Da zeigt sich mit einem Pinselstrich, dass das Management der konkreten Krise mit einer Zementierung der tradierten Verhältnisse einher geht. Lassen Sie unterschiedliche, Ihnen bekannte Organisationen Revue passieren, und beobachten Sie, was passiert! Herrscht das „Weiter so!“, oder hören Sie doch den Slogan „Weiter, aber anders!“? 

Handelt es sich, so wie beschrieben, um eine Aporie, eine Unauflöslichkeit, oder existieren doch andere Herangehensweisen, derer sich Führung bemächtigen kann und die genau das realisieren, was immer in Situationen von Krisen so gerne zitiert wird? Die Krise als Chance! 

Die Antwort ist eindeutig und ein klares Ja. Oft stehen die weitsichtigen Vertreter des Krisenmanagements im Schatten der Systembewahrer, die unter großem Getöse ihr Beharren auf dem Tradierten zu einer Schicksalsfrage für alle machen. Doch während all diesen Lamentos sind sie und ihre Organisationen dabei, die Chance zu nutzen, alles auf den Prüfstand zu stellen, die wahren eigenen Stärken zu identifizieren und die redundanten und mit weniger Kompetenz ausgeführten Tätigkeiten zu beenden. Und es geht um die Analyse dessen, was die Zukunft an Erfordernissen bringt und wie man sich dem stellen kann. 

Es ist immer wieder gut, sich mit den Menschen zu unterhalten, die in der jeweiligen Verantwortung stehen. Sie bieten nicht nur ein authentisches Bild des Realen, sie sind in der Regel auch in der Lage, das, was sie machen, mit einfachen Worten zu erklären. Einer dieser Menschen brachte es auf den Punkt, und es eignet sich für viele, von der Zweckbestimmung her unterschiedliche Organisationen: Wir leben den Anspruch und halten den Laden am Laufen!

Das Krisenmanagement beerdigt die Vision

Geert Mak. Was, wenn Europa scheitert

Es wäre schon eigenartig gewesen, wenn ausgerechnet derjenige, der eines der besten Bücher über Europa der letzten Jahrzehnte geschrieben hat, während der Eurokrise des Schweigen wählen sollte. Der niederländische Journalist Geert Mak, der mit seinem 2004 erschienenen Buch In Europa. Eine Reise durch das 20. Jahrhundert den Kontinent auf seine eigene Weise ausgemessen hatte und seine kulturelle und politischen Kraftfelder mit einem Gespür für das Entscheidende beschrieben hatte, meldete sich bereits 2012 in einem kleinen Buch, das er in einem halben Jahr während eines Berlinaufenthalts geschrieben hat, zur Krise des Euro und zur Krise Europas zu Wort. Unter dem Titel Was, wenn Europa scheitert, ohne Fragezeichen (!), geht Geert Mak auf die entscheidenden Fragestellungen ein.

Obwohl das Buch vom Datum nicht brandaktuell ist, trifft es mit seinen Thesen immer noch das Wesen dessen, was die meisten Europäer besorgt. Thematisch lässt sich vieles auf den Punkt bringen: Die 2008 ausgebrochene Euro-Krise ist eine wirtschaftliche, die vordergründig mit wenig seriösen Kreditnehmern wie Kreditgebern zu tun hat. Es existiert eine kulturelle Kluft in Europa, die sich im ökonomischen Denken widerspiegelt. Die protestantische Achse der Vernunft, ihrer Vernunft, sind nach Mak die Länder Deutschland, die Niederlande und Finnland, die im Hinter- wie im Vordergrund von der Philosophie von Schuld und Bestrafung die Finanzkrise zu meistern suchen und damit den südeuropäischen Ländern auf Jahrzehnte jede Perspektive der Gestaltung nehmen wollen.

Das wesentliche Problem nach Mak ist jedoch die Dominanz der wirtschaftlichen Interessen bei der Entwicklung Europas. Sehr früh wurde die politische Vision des gemeinsamen Hauses, in dem ein Verständnis über die Diversität herrscht, aber gemeinsam und demokratisch eine Zukunft gestaltet wird, abgelöst durch ein Krisenmanagement, das sich mit Verweis auf die Dringlichkeit der zu lösenden Probleme aus der politischen Transparenz verabschiedet hat. Eines der großen Dilemmata sind nach Mak die in Hinterzimmern agierenden, mächtigen Figuren einer Bürokratie, deren Besetzung das Ergebnis von Geschacher ist. Die Abkoppelung der EU von einer politischen Vision und die zunehmende Zentralisierung durch eine Bürokratie haben Europa in eine lebensgefährliche Krise getrieben, die, und das ist nach Mak das Schlimmste, zu einer mentalen Depression geführt hat.

Es gehört zu den Qualitäten des Autors, dass er zudem einen Blick auf den Globus riskiert, um die Rolle Europas im Verhältnis zu entstehenden neuen Machzentren zu beleuchten. Akteure wie die USA, China, Russland, Indien und auch Brasilien denken in diesem Mobile, während Europa politisch keine Vorstellung über die eigene Rolle in der Welt der Globalisierung erzielen konnte. Die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners scheitert nicht nur in der Binnenstruktur, sie verhindert auch eine akzeptable Perspektive im globalen Kontext. Die Rolle Deutschlands, welches aufgrund seiner ökonomischen Stärke eine Führungsrolle übernehmen müsste, wird laut Mak nicht oder falsch ausgefüllt.

Es ist nicht von ungefähr und für manche Europäerinnen oder Europäer schmerzhaft, dass Mak zuguterletzt auf Roosevelts New Deal verweist, einer Konzeption, die nicht das Land kaputt gespart, sondern investiert hat, die den Beteiligten ein Gefühl vermitteln konnte, auf sie komme es an und die Zeichen setzte, die gemeinsame Emotionen mobilisierte. Gerade daran mangelt es beim gegenwärtigen Management in Europa komplett. Dazu reicht die Phantasie der Protagonisten einfach nicht aus. Das vom Autor angeführte europäische Netzwerk, das wir heute schon in unseren Notizbüchern haben, nimmt uns zwar keiner mehr. Aber es ist ein schwacher Trost.