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Syrien: Keiner ist frei von Schuld!

Was die Erfassung komplexer politischer Zusammenhänge anbetrifft, so müsste die deutsche Gesellschaft, befände man sich in einer längst überfälligen Therapie, zu allererst die Fähigkeit zur Impulskontrolle anstreben. Betrachtet man nämlich die Implosion des syrischen Staates, so fällt auf, dass der erste Reflex ein freudiger war. Das Motiv dafür sind nicht etwas Menschenrechte oder ein demokratischer Standpunkt, auch nicht das Dasein von Millionen syrischer Flüchtiger, sondern eine Art Genugtuung, die sich durch den Glauben speist, Assads Niedergang sei ein Ausdruck russischer Schwäche. Einfältiger und schäbiger geht es nicht. Nicht wegen der Parteinahme gegen Russland, was, historisch gesehen, bereits eine abgrundtiefe Verirrung darstellt, sondern wegen der Unfähigkeit, ein Amalgam explosiver Substanzen zu erkennen, das nun zu arbeiten beginnt.

Syrien: aufständische Kurden mit teilautonomen Gebieten, türkische Militärinvasionen, israelischen Fliegerangriffe, russische wie amerikanische Militärptäsenz, kämpfende, vom Iran unterstützte Hisbollah und islamistische Verbände, die die Situation momentan zur Machtübernahme nutzen konnten. Darunter ein Führer, auf dessen Kopf die USA vor nicht allzu langer Zeit die Summe von 10 Millionen Dollar gesetzt hatten. Und wovon sprechen hiesige Politiker? Von Rebellen, Aufständischen, gemäßigten Islamisten etc.  Da ist, wie nahezu gesetzmäßig, der Wunsch Vater des Gedankens. Und nun kommt noch ein Kommuniqué von Bundeskanzler Scholz und dem französischen Staatspräsidenten Macron heraus, das die Unterstützung der neuen Machthaber in Aussicht stellt, wenn sie sich an die Grundregeln der liberalen Demokratie hielten. 

Syrien, darauf wies nicht nur der so sehr vermisste Kenner dieser Weltregion, Peter Scholl-Latour hin, bringt alles mit, um einen Flächenbrand zu entfachen. Alle Faktoren, die dazu führten, dass ein Krieg im Zentrum Europas dreißig Jahre dauern konnte, sind dort versammelt: nationale Interessen kollidieren mit religiösen, kulturellen, ethnischen, Autonomiebestrebungen hier, Großmachtpläne dort, Fantasien eines Gottesstaates, repräsentiert durch die „gemäßigten Rebellen“ und der Streit von Großmächten um Ressourcen und geopolitische Vorteile. Da sind kluge, diplomatische und vor allen Dingen Sichtweisen gefragt, die nicht von einem aktuellen wie armseligen Impuls dominiert werden. 

In Erwägung der Herausforderung, die mit der jetzigen Lage in Syrien entstanden ist, ist eine Weitsicht erforderlich, die frei ist von monothematischen Interessen und taktischen Finten. Betrachtet man die Situation realistisch, dann sind die versammelten Akteuere eher ungeeignet, um den Flächenbrand zu verhindern. Die Gotteskrieger nicht, der Rekonstrukteur des osmanischen Reiches nicht, Russland nicht, der Iran nicht, die USA nicht und Israel nicht. So, wie es aussieht, bleibt eine Unauflösbarkeit bestehen, die als das späte Erbe des Kolonialismus mit seinen willkürlichen Grenzziehungen, mit seinen Morden und Putschen und mit der zeitgenössisch so beliebten Führung von Proxy-Kriegen zu sehen ist. Es ist eher damit zu rechnen, dass blauäugige, wohlmeinende Gruppierungen in den Krieg gegen kriminelle Organisationen geschickt werden. Finanziert von den jeweiligen Machtblöcken. Alle werden dabei Geschäfte machen und gewinnen, nur die Syrerinnen und Syrer, die in den letzten Tagen so gefeiert haben, werden sich ihre vertränten Augen reiben müssen. Es ist eine alte Geschichte, die sich wiederholt.

Zu verhindern wird es kaum sein. Man sollte sich allerdings auf keinen Fall vor den Karren spannen lassen, auf dem solche Versprechen wie liberale Demokratie, Menschenrechte oder Humanität steht. Der ist ebenso alt wie die ungerechten Kriege, durch die er gezogen wird. Die Kriegsgefahr über das syrische Terrain hinaus ist gestiegen. Und keiner ist frei von Schuld.    

Die größte Gefahr ist und bleibt der Krieg

Was ist mehr zu fürchten? Die Inbesitznahme der wichtigsten Staatsämter durch die AfD und eine vermeintliche Gleichschaltung der Gesellschaft, organisierte Massendeportation und Kriminalisierung jedweder nicht genehmer politischer Meinungsäußerung oder ein Krieg, der eskaliert und zu einer möglichen Verwüstung Europas führt? Wer ehrlich ist, muss sich diese Frage stellen. Und nicht nur das. Es ist auch abzuwägen, welche Option wahrscheinlicher ist. Bei einer gekaperten Presse durch wenige Monopole und mit dem Wissen, dass Meinungsforschungsinstitute durchaus in der Lage sind, bestimmte Antworten zu designen, muss ich offen zugeben, dass mich die Kriegseskalation mehr irritiert als die andere Option.

Laut dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestages ist die Bundesrepublik Deutschland bereits aktive Kriegspartei gegen Russland und eine weitere waffentechnologische Eskalation wird das nicht revidieren. Die insgesamt seit Kriegsbeginn durch die Bundesrepublik aufgebrachten Mittel zur Finanzierung dieses Krieges belaufen sich auf 170 Milliarden Euro. Da in den USA ein Kandidat ins Feld ziehen wird, der seiner Wählerschaft verspricht, dass es zu seiner ersten Amtshandlung gehören wird, zumindest die amerikanische Beteiligung an dem Krieg in der Ukraine zu beenden, reist ein aufgeregter Kanzler nach Washington und bittet den zunehmend der Senilität überführten gegenwärtigen Präsidenten und Senatoren beider Parteien, die Fortsetzung des Krieges auch finanziell zu gewährleisten.

Der ukrainische General, den die Edelkomparse Selenskij soeben entlassen hat, hatte den Fehler begangen, davon zu reden, dass dieser Krieg gegen Russland nicht zu gewinnen sei. Aus russischen Kreisen ist hingegen zu vernehmen, dass eine Ausweitung des bis dato konventionell geführten Krieges auf weitere NATO-Beteiligung seitens Russland nicht zu stemmen ist und nur durch den Einsatz von Atomwaffen kompensiert werden kann. Wer die Dramatik dieser Entwicklungen bagatellisiert, steht auf den Gehaltslisten von Kriegsgewinnlern oder hat seinen Verstand komplett verloren. An politischem Personal, dass unter diese Diagnose fällt, scheint es gegenwärtig in der Bundesrepublik nicht zu mangeln.

Folglich sind die Enthüllungen des selbst ernannten und unter anderem von amerikanischer Seite finanzierten Recherche-Verbundes Correctiv eine willkommene Irritation eines komplett verunsicherten Publikums. Dieses ist dabei, mit den Kriegsgewinnlern und Kriegstreibern Seite an Seite gegen eine Gefahr zu demonstrieren, die in keinem Verhältnis zu den Missetaten derselben stehen. Das einzige, was anscheinend den Regierenden wie den Meinungsschmieden in diesen Tagen zu gelingen scheint, ist die Stigmatisierung aller, die noch den Versuch machen, ihren eigenen Verstand einzusetzen und auf das zu hören und zu schauen, was sie selbst sehen, aber in keiner offiziellen Darstellung zu sehen ist. 

Wie es der Zufall will, berichtete gestern eine Diplomatin, dass auf dem Kiewer Flughafen kein ukrainisches, sondern amerikanisches Sicherheitspersonal Pässe und Visa kontrolliert und dass die Kiewer hinter vorgehaltener Hand ihren Wunsch nach Frieden äußern und auf das Ende der Waffenlieferungen hoffen. Die Verhältnisse dort sind bedrückend, und junge Männer gehen längst nicht mehr auf die Straße, weil sie befürchten, dort aufgegriffen und direkt an die Front gebracht zu werden. Dass die hiesige Mischpoke eingebetteter Journalisten derartige Tatsachen nicht berichtet, ist nicht anders zu erwarten und dass eine Bundesregierung nicht einmal über ein DIN A4 Blatt verfügt, auf dem ein möglicher Frieden skizziert wäre, deutet daraufhin, wo die Gefahr zu suchen ist.  

Ein Krieg schert sich ums Klima nicht!

Ein Land, in dem die Traumata zweier gewaltiger Kriege als massenpsychologisches Phänomen immer noch präsent sind, das Wissen um die konkreten Verwüstungen und das Zustandekommen eines solchen Ereignisses jedoch einer generellen Amnesie unterliegt, kann keinen vernunftgeleiteten Weg gehen. Während im Moment jeder, dessen politische Karriere bereits hinter ihm liegt, vor die Kameras gezerrt wird, um seine revanchistischen Plattitüden zum besten zu geben und dabei von willfährigen Moderatoren gefeiert wird, wenden sich immer mehr Menschen entsetzt von der politischen Öffentlichkeit ab. Neben dem Missfallen über einen selbstmörderischen Kurs, der mit diesen Statements einhergeht, auch aus Scham darüber, dass das eigene Land in der Lage ist, sich selbst derartig zu entstellen. 

Kein Tag vergeht, an dem nicht Vertreter des Staates, der Fernsehanstalten, der prominenten Radiokanäle oder der großen Pressehäuser nicht Beispiele dafür geben, wie ungetrübte Fakten und eine kluge Analyse, die immer die Grundlage für Diskussionen über politische Entscheidungen sein sollten, am praktischen Beispiel zu unverblümter Hetze, zu Ressentiments und zur Konstruktion von Feindbildern verkommen sind. Das Fazit ist immer die Einzigartigkeit und Bewunderungswürdigkeit der eigenen Existenz und die Fragwürdigkeit und Minderwertigkeit alles anderen. Von der Politik bis zur Wirtschaft, vom Sport bis zur Kultur, und da, wo es beim besten Willen nicht passt, da herrscht das große Schweigen. Eine Qualität, die mittlerweile den Superlativ verdient. 

Während die nicht existenten politischen Freiheiten in Russland, die Menschenrechte in China und die Zuchthäuser der Mullahs im Iran im Rampenlicht stehen, existieren die in Serie vorgenommenen Verletzungen des Völkerrechts seitens des befreundeten Imperiums, die rechtsfreien Folterkammern in Guantanamo und Abu-Ghuraib, die Traktierung politischer Gefangener in Großbritannien, die gewaltsame Niederschlagung von Protesten in Frankreich und ganz aktuell, das Treiben der rechtsextremen Asow-Bande in der Ukraine, gar nicht und liegen in einem von der Öffentlichkeit abgeschirmten Safe. Wer glaubt, es handele sich dabei um Zufall, der möge sich weiter an seinem sonnigen Gemüt erfreuen, bis zum seligen Ende oder bis zum Tag des Jüngsten Gerichts, je nachdem.

Was in diesem Kontext auffällt, ist die zwischenzeitlich vom herrschenden Milieu so gefeierte Klima-Protestbewegung, die unter anderem unter dem Namen Fridays For Futur figuriert, und ihr kollektives Schweigen zu den brandaktuellen Konflikten dieser Tage. Angesichts einer seit Jahrzehnten in Europa nicht mehr in dieser Dimension vorgekommenen Kriegsgefahr, stellt sich die Frage, was aus den Helden dieser Bewegung eigentlich geworden ist? Sind sie damit beschäftigt, in der sich vergrößernden Bürokratie einen Karriereansatz zu finden oder ist es nicht in ihre Köpfe gedrungen, dass jeder Tag eines modernen Krieges den positiven Effekt von tausenden Photovoltaik- und ebenso vielen Windkraftanlagen mit einem Schlag zunichte macht? Wenn schon nicht die Menschen zählen, die in einem Krieg über die Klinge springen, dann müsste doch zumindest die klimatologische Logik alle Alarmglocken läuten lassen? Ein Krieg schert sich ums Klima nicht!

Und auch dort herrscht das große Schweigen. Und dieses Schweigen muss aufgeschlüsselt werden, um die Optionen eines möglichen wie notwendigen Widerstandes zu erkunden. Das Schweigen des herrschenden Milieus ist systemkonform und gewollt, das Schweigen der Entsetzten wird irgendwann eine Gegenkraft entwickeln, das Schweigen derer, die das Recht auf Zukunft reklamieren, wird in eine Spaltung der Bewegung münden und damit die gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegeln: in diejenigen, die glauben, unversehrt zu bleiben und am Krieg zu gewinnen und diejenigen, die wenig haben und noch mehr zu verlieren haben. Wer jetzt schweigt, hat mit einer lebenswerten Zukunft nichts am Hut. Und wer jetzt hetzt, ist ein schäbiges Subjekt.