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Süßes Gift

Das geflügelte Wort Voltaires, das besagt, nicht mit dem Gegenüber einer Meinung zu sein aber alles dafür tun zu wollen, dass es das Recht behielte, diese kundzutun, wird nicht umsonst in diesen Tagen immer wieder zitiert. Es hat, um gleich zur Sache zu kommen, eine bittere Aktualität. Denn das, was die mittlerweile als inquisitorischer Hexenhammer etablierte Empörungskultur leistet, hat mit den individuellen Freiheiten, die die bürgerliche Demokratie zu gewährleisten vorgibt, nichts zu tun. Obwohl auf der einen Seite von einer Individualisierung der Gesellschaft gesprochen wird, ist gerade das Recht, sich als Individuum zu entscheiden, als eine blasphemische Abart in Verruf zu kommen. 

Insofern ist das, was als Individualisierung so gerne bezeichnet wird, auf der einen Seite die Befreiung von einer Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft zu verstehen und auf der anreden Seite die Segnung von Raffgier und Egomanie. Das Recht, sich zu äußern, auch wenn es dem vermeintlichen gesellschaftlichen Konsens widerspricht, ist damit nicht gemeint. Wer sich gegen das, was als die Meinung der Regierung und ihrer Unterorganisationen stellt, wird zum Paria.

Die Opfer haben Namen, sie heißen Jan Joseph Liefers, Nena oder Joshua Kimmich. Ihre Vergehen, folgt man der geifernden Konsensmeute, sind mal das konkrete Vorgehen der Regierung in Frage zu stellen, mal an die Menschen zu appellieren, zu überlegen, was sie mit sich machen lassen und mal sich dafür zu entscheiden, eine abweichende Meinung in der Impffrage zu haben. Was jeweils folgte, war die Heilige Inquisition neudeutscher Färbung. Betrachtet man die „Vergehen“, derer sich die Erwähnten schuldig gemacht hatten, so kommt man sehr schnell zu dem Schluss, dass sich da nicht mehr abgespielt hat als die Meinungsdiversität in einer demokratischen Gesellschaft. 

Da letzteres aber zum Normalfall geworden ist, muss geschlussfolgert werden, hapert es gewaltig in Sachen Demokratie. Machen wir uns nichts vor: die Zeiten der Freiheit liegen hinter uns und die Konditionierung der Bevölkerung auf mentale Hinrichtungsrituale bei Petitessen und dem Verschweigen und Bagatellisieren von gravierenden Unrechtshandlungen oder offensichtlichem Regierungsversagen haben eine Gesellschaft geschaffen, die nicht mehr Lage ist, ihren eigenen Idealen zu folgen und die sich zudem noch anmaßt, anderen in der Welt vorzuschreiben, wie sie zu leben haben.

Die bittere Wahrheit kristallisiert sich immer mehr heraus, dass die Befürchtungen, die sich bei vielen Nationen bei der deutschen Wiedervereinigung regten, ihre Berechtigung hatten. Das Kuriose dabei ist die Tatsache, dass die damals befürchtete Entwicklung, Deutschland würde sich zu einer Großmacht klassischer Erscheinung entwickeln, die mit mehr Geld, mehr Militär und mehr  Machtgebaren in der Welt um Anteile kämpft, nicht exklusiv eingetreten ist. 

Das Imperiale, mit dem aus Deutschland nun die Welt beglückt wird, trägt nicht nur Uniformen, sondern es zitiert die Wissenschaft, hat das Gesicht junger Frauen und appelliert, die Menschenrechte einzuhalten und und die Lebensgrundlagen zu erhalten. Nicht schlecht, könnte man denken, wenn es nicht getränkt wäre von Autoritatismus, von latentem oder offenen Militarismus, von der Akzeptanz von Kriegen im Namen von vermeintlichen Werten, die im eigenen Land nicht mehr gewährleistet sind, von Dogmatismus, von sozialem Egoismus und einer Verabscheuung all dessen, was erforderlich ist, um eine Gesellschaft zusammenzuhalten: Gemeinschaft.

Es ist ein süßes Gift, mit dem der neue deutsche Imperialismus an der Ecke steht und dealt. Aber es bleibt Gift, und die Dosen, mit dem es gehandelt wird, sind tödlich.  

Gut organisiert und eitel?

Nun, in der Diskussion um Flucht und Asyl und die Rolle, die dieser Staat in der europäischen Gemengelage einnehmen soll, da tauchen die Fragen wieder auf, mit denen sich Deutschland nicht beschäftigen mag und die oft dazu führen, dass sich Unberufene mit ihnen beschäftigen und politisches Schindluder treiben. Jacob Augstein sprach in seiner Kolumne im Spiegel von der Notwendigkeit einer deutschen Leitkultur. Das ist beachtlich, weil ein Konservativer, der das in der Vergangenheit forderte, von einer damals noch existenten Linken gehörig auf die Finger geschlagen bekam. Aber natürlich nicht nur besagter Kolumnist, überall wird nun wieder die Frage gestellt, wer die Deutschen sind und wohin sie wollen.Quasi als Randnotiz, aber dennoch ein sehr kluger Einwurf war ein Kommentar zu diesem Blog, in dem es hieß, die Deutschen definierten sich nicht über sich selbst, sondern sie suchten anderen zu gefallen.

Was erst einmal banal daherkommt, birgt einen scharfen Blick. Nehmen wir die Berichterstattung dieser Tage. In nahezu keiner Publikation fehlt eine internationale Presseschau zu dem Thema, wie besonders und einzigartig Deutschland doch ist bei der Aufnahme und Bewirtung anrollender Flüchtlingszüge. Und in Analoge zur Fußballweltmeisterschaft 2006 wird von einem weiteren Sommermärchen in Deutschland gesprochen. Es sind Eitelkeiten, die da publiziert und immer wieder zitiert werden, die nichts aussagen über ein Selbstverständnis, das diesem handelnden Staate zugrunde läge. Das Verlangen, zu gefallen, scheint eine nicht zu unterschätzende Triebfeder zu sein bei vielem, was vor allem in internationaler Hinsicht realisiert wird.

Und wieder beginnt die Suche nach Werten, die dann sehr kontrovers diskutiert werden und die alles bewirken, bloß keine Einigung. Ein Konsens über die Werte Deutschlands ist nicht zu erlangen. Daher existiert auch keine Strategie oder zumindest eine Diskussion darüber, wohin sich dieses Land in der Zukunft entwickeln müsse, um eine Rolle spielen zu können, die diesen Werten entspräche. Und, lassen wir uns nicht einlullen von vielen Jahren relativer Ruhe, ein solch kolossales Schiff wie Deutschland mit seiner Wirtschaftskraft ohne Kurs in internationalen Gewässern, und nicht umsonst wurde in der Weltfinanzkrise immer wieder vor allem von Schäuble das Bild bemüht, man führe auf Sicht, ein solcher Koloss hat unbegrenzte Möglichkeiten der Havarie mit an Bord.

Wenn die These stimmt, dass die Deutschen gefallen wollen und dieses ein definiertes, auf Werten basierendes Selbstbild ersetzt, und wenn es stimmt, dass das wesentliche Muster des deutschen Kulturkreises die Organisation an sich ist, dann ließe sich vieles auch historisch anders deuten. Nicht, dass es dadurch besser würde, sondern gerade das Gegenteil. Aber es erklärte, wieso diese immer wieder destruktiven Potenziale derartig freien Lauf bekamen und ein tief empfundenes politisches Regulativ schlichtweg nicht stattfand oder genauso kalt und technisch liquidiert werden konnte wie alles andere auch. Die Organisation, also das, was die Deutschen tatsächlich von so vielen anderen Ländern unterscheidet, die Fähigkeit, komplexe Abläufe zu bündeln und zu koordinieren, diese Organisation als Geist, als Inspiration, als Spirit für eine Nation zu nehmen, das wagten bis dato nur die Hasardeure. Und wie armselig sähe es auch aus, neben der Wucht von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit oder der verpflichtenden Jagd nach dem Glück? Dennoch, das Muster der Organisation scheint das Bindende, mehr noch als die Sprache, zu sein, das das alles hier zusammenhält. Kombiniert mit der Eitelkeit, den anderen zu gefallen. Reicht das? Für eine Nation?

Über das Prinzip der Gegenseitigkeit

Manchmal, wenn die Tagesnachrichten mehrheitlich über das Scheitern von Bemühungen berichten, zwischen Parteien mit unterschiedlichen Interessen zu einem Kompromiss zu kommen, ist es sinnvoll, sich über das Konstrukt eines Konsenses, der zu einem praktischen Handeln führen soll, Gedanken zu machen. Der Zeitpunkt ist in vielerlei Hinsicht wieder einmal gekommen. Voraussetzung für alles, was weiter führt, ist eine gelungene Kommunikation. In einem Zeitalter, dass sich selbst unter anderem als das der Kommunikation und seiner Techniken definiert, ist es erheblich, die Grundlagen noch einmal zu beleuchten. 

Da ist die Allerweltsweisheit, dass Kommunikation nur dann funktioniert, wenn alle Beteiligten sich daran halten, im Prozess der Kommunikation selbst ein Verhalten an den Tag zu legen, dass ihnen selbst als eine wesentliche Voraussetzung gilt. In Variation des Kategorischen Imperativs heißt das, sich selbst nur so zu verhalten, wie man es selbst von den anderen Interakteuren erwartet. Das bedeutet, die anderen wahr zu nehmen, sie anzuhören und ihnen zu unterstellen, dass sie selbst mit dem Interesse eines Gelingens zu dem Unterfangen angetreten sind. Denn selbst möchte man nicht mit der Anschuldigung konfrontiert werden, etwas anderes im Schilde zu führen und in „Wahrheit“ mit einer zweiten Agenda unterwegs zu sein, die beinhaltet, die anderen Teilnehmer hinters Licht zu führen. Diese Voraussetzung kann jedoch nur dann erfüllt werden, wenn allen unterstellt werden kann, dass sie das Ziel der Kommunikation, nämlich eine Verständigung zu erreichen, als ihr eigenes anerkennen. In der modernen Kommunikationsforschung heißt das, es existiert eine gemeinsame Intentionalität. Ist diese nicht gegeben, dann ist das Scheitern programmiert.

Bei Betrachtung der großen Enttäuschungen, die gegenwärtig allgemein kommuniziert werden, ist genau diese gemeinsame Intentionalität nicht gegeben. Der Versuch der Kommunikation, die in einem praktischen Lösungsmodell für Interessenkonflikte eine Perspektive finden soll, entsteht jedoch nicht aus einem intrinsischen Interesse der Konfliktlösung, sondern aus einem vor der Öffentlichkeit bestehenden Legitimationszwang. Es existiert ein Druck, der den Akteueren signalisiert, dass mit Verwerfungen zu rechnen ist, wenn sie sich nicht mühen, zu einer durch Vernunft geprägten Lösung zu kommen. Das wiederum korrespondiert nicht mit der eigenen Agenda. Sie besteht in den auffälligsten und mächtigsten Fällen in dem Ziel, die andere Seite zu bezwingen.Das Scheitern ist so sicher wie die Nutzlosigkeit der Übung.

Dei beiden großen Konflikte, die in diesen Tagen die Öffentlichkeit bewegen, der Konflikt in der und um die Ukraine wie das Desaster um die griechische Ökonomie, sind von einem Mangel an gemeinsamer Intentionalität geprägt. In der Ukraine geht es um geostrategische Dominanz, in Griechenland um den Schutz einer mächtigen Gruppe der Krisenverursachung selbst. Die Akteure, die durch den Legitimationsdruck von außen mobilisiert sind, bekunden, an einer fairen Kommunikation interessiert zu sein, aber sie weichen nicht ab von ihrer Agenda. Die daraus resultierenden Handlungen enden folglich so, wie sie begonnen haben: Sie manifestieren die gegenseitigen Anschuldigungen, ganz andere Ziele zu haben als die vorgegebenen und sie offenbaren die ständige Verletzung der Regeln eines zielgerichteten Kommunikationsprozesses selbst.

Da schlösse sich die Frage an, welche politische Dimension es hätte, wenn das ganze ideologische Beiwerk von der eigenen Überlegenheit von Werten und Menschenrechten den harten Zielen, die damit verbunden sind, wiche. Wenn offen bekannt würde, dass es um Landgewinn, um Schürfungsrechte, um Märkte, um Bankenschutz und um nackte Dominanz ginge. Es stellte sich die Frage, welche Mehrheiten dann zustande kämen. Ob sie anders aussähen, steht dahin, aber es wäre den Versuch wert und es beendete das unwürdige Spiel einer trügerischen Bereitschaft, sich in den Sphären der Vernunft zu bewegen.