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Es ist Sommer!

Es ist Sommer, die Sonne scheint reichlich und es herrscht Klarheit über das, was nach dem Sommer kommen wird. Was will man mehr? Gut, da existieren unterschiedliche Gemütszustände im Land. Das war immer so und das wird immer so bleiben. Da sind die ewigen, preußischen  Defätisten, die schon immer wussten, dass der Untergang kurz bevorsteht. Und da sind die rheinischen Positivisten, die nach dem Motto, dass es noch immer gut gegangen ist, beim Frühstück dem Ei den Kopf abschlagen und mit der Zunge schnalzen. Diese Spaltung auf dem Felde der nationalen Emotion, diese Spaltung wird wohl bleiben bis ans Ende dieses Landes, es sind die Relikte aus dem Dreißigjährigen Krieg, der ewige Kampf von Katholizismus und Protestantismus, der anderen Nationen Europas im Innern erspart geblieben ist. Hier, im bevölkerungsreichsten Land jenseits von Russland, da herrschen tief in der Seele sowohl Ihre Majestät Kassandra als auch seine Grazie, der König Luftikus, dem das Weh der Welt am Arsch vorbei geht und der gerne noch ein Viertele schlotzt, bevor er vor das Weltgericht zitiert wird.

Sie fragen sich, wohin diese Gedanken führen? Die Antwort ist gar nicht so schwer. Denn zu erwarten, dass es da eine Richtung, eine Entwicklung geben würde, die sich gegen die ganze Unordnung, die entstanden ist, stellte, ist angesichts der mentalen Disposition dieses Landes eine Illusion. Sie stirbt zwar nie, weil wir alle hoffen und leiden und zuweilen etwas neidisch auf andere Länder schauen, wo zumindest die Herzen im gleichen Rhythmus schlagen, aber sie bleibt dennoch, was sie ist: eine Fata Morgana, eine Vorstellung von der Erlösung, die es nie geben wird.

Es existieren Beispiele in der klugen Literatur, von der Antike bis heute, aus denen wir uns Anregungen holen könnten, wie umzugehen ist mit einem Makel, das immer bleiben wird. Wie man diesen Makel sogar umdeuten könnte zu einer Stärke, die dazu führt, stets den Widerspruch mit einzukalkulieren und sich nicht durch die Euphorie zur Unbedachtheit verleiten zu lassen. Aber, auch das wissen wir, wir neigen nicht zur Erlösung, sondern wir suchen das bittere Leid, die ewige Pein, weil nur sie es ist, die alles andere rechtfertigt. Den Müßiggang, die Übertreibung, ja, sogar die tiefe Sünde. Wir wollen leiden, wir wollen aber auch Monster sein.

Und, auch das gehört wiederum zur Tiefe unserer Psychologie, wir sind entsetzt darüber, dass unsere Nachbarn und viele andere in der Welt uns tatsächlich für diese Monster halten. Das verdanken wir der Geschichte, in der wir unterwegs waren und Leid wie Höllenqualen unter die Menschheit gebracht haben. Und das verdanken wir unserer eigenen Reaktion darauf. Die Bitternis über die eigene Monströsität, die ewige Selbstanklage bei gleichzeitiger Beibehaltung eines überheblichen Dogmatismus führen bereits bei anderen zur Alarmstufe Rot. Wenn die Deutschen so reuevoll und bitter unterwegs sind, dann dauert es nicht lange, bis sie mit einer Medikation auftreten, die eine bessere Zukunft bereiten soll. Und zwar obligatorisch für alle. 

Wenn dem so ist, dann singen selbst bei den lustigsten und leichtlebigsten Völkern die Kassandras das vergebliche Lied des drohenden Unheils. Und die Klugen unter ihnen werden denken, dass die Deutschen gut beraten wären, sich zunächst selbst zu befreien, bevor sie das zugunsten anderer tun wollen. Aber, wer hört in der Kakophonie einer sich ändernden Welt schon auf die Klugen? Und, in Deutschland selbst, da hört man nicht gerne auf die Signale von außen. Die Selbstbeschäftigung ist die einzige Branche, die in diesem Land immer Hochkonjunktur hat. 

Regen Sie sich nicht auf. Es ist Sommer. Die Sonne scheint, und der Herbst ist noch weit. Es ist noch immer gut gegangen. Selbst in der Hölle. Phasenweise, versteht sich.