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Der 17. März und der Blick in den Abgrund

Eine Koalition, bestehend aus Strömungen von Sozialamt, Militarismus und Neoliberalismus konnte, bei näherer Betrachtung, keine große Halbwertzeit haben. Natürlich ist man hinterher immer schlauer. Aber, bei kühler Reflexion, war es von Anfang an ein sehr gewagtes Experiment, das sich unter der unglücklichen Bezeichnung der Ampel auf den Weg machte. Doch das ist Schnee von gestern. Zumindest sollte die damit verbundene Lektion nicht aus den Köpfen verschwinden, wenn man sich die aktuelle Konstellation der nach den Wahlen entstehenden Koalition genauer betrachtet. Um bei den anfänglich genutzten Kategorien zu bleiben, ist es ein toxisches Gemisch aus Neoliberalismus, vereint mit einer dramatischen Portion von Lobbyismus, Sozialamt und Militarismus. Was also, so die Frage, die wir uns stellen sollten, ist bei dieser Kontur zu erwarten? Besserung?

Hinzu kommt, dass in mancher Hinsicht ein Wahlbetrug stattgefunden hat, wie er in der Geschichte der Republik in dieser Dimension noch nicht vorgekommen ist. Nicht nur die rotzfreche Aufschneiderei des in allen Belangen noch vor der offiziellen Wahl zum Kanzler desavouierten F.M. hinsichtlich der Schuldenbremse, sondern auch in Bezug auf die Zugeständnisse an die Grünen. Was da vollzogen wurde, ist eine weitere Einzahlung auf das Konto der AFD. Sie wird, so die Prognose, bei den nächsten, vielleicht gar nicht so weit entfernt liegenden Wahlen, als stärkste Partei daraus hervorgehen. Markant wie bekannt ist, dass das Verhalten der Akteure eine verheerende Referenz für die von diesen Figuren kontaminierte liberale Demokratie abgegeben hat. Wer tatsächlich glaubt, es gäbe ein „Weiter so!“ ohne dramatische Zäsuren, hat den Boden unter den Füßen verloren.

Das trifft nicht nur auf den Vertrauensverlust des aktiven Politikerportfolios, sondern ebenso auf die Organisationen der propagandistisch überhöhten Zivilgesellschaft zu. Keine, absolut keine dieser Zusammenschlüsse waren an jenem 17. März, dem Tag, als der bellizistische Staatsstreich im Parlament vollzogen wurde, auf der Straße und sah einen Anlass zum Protest. Wahrscheinlich saßen die schnuckeligen OMAS GEGEN RECHTS bei Torte und Eierlikör in der guten Stube und feierten sich selbst, während sie die akklamatorischen Berichte des Staatsfernsehens mitverfolgten. Wenn es eines Hinweises bedurfte, um nahezu alle Akteure der reklamierten liberalen Demokratie als eines nur noch sich selbst verantwortlich glaubendes Ensemble zu demaskieren, dann war es dieser 17. März.

Was der Mann mit dem ähnlichen Namen mit seinem Komplott noch vollzogen hat, ist die Gewissheit, dass die Bundesrepublik Deutschland sowohl mit ihrer Rolle als mäßigende Kraft im Orkan der Weltgeschichte genauso Geschichte ist wie ihr Wohlstand mit Perspektive. Abgesehen von einigen älteren Herren der deutschen Historiographie, ob sie nun Münkler oder Winkler heißen, die glauben, wenn sie mit im Strom der Militarisierung schwimmen und nach der ranzigen Wurst der medialen Aufmerksamkeit schnappen, rückten sie noch einmal ins Rampenlicht, existieren außerhalb der bundesrepublikanischen Trunkenheit noch ausgewiesene historische Analytiker, die auf einen Umstand hinweisen, der alle großen Imperien bei ihrem Fall begleitet hat: Wenn der Aufwand für Militärausgaben und Schuldzinsen alle anderen Investitionen des Staates überschreitet, ist der Niedergang gewiss. Nun, die Bundesrepublik ist kein Imperium. Aber das bewahrt sie nicht vor dem Fall. Und da, es ist so bitter wie unvermeidlich, ist der Blick in den Abgrund der einzig realistische.  

Komplott im Kartenhaus

Wir haben es aufgegeben von Gesetzmäßigkeiten im Verlauf von Geschichte zu sprechen. Das hat zu schlimmem Dogmatismus geführt, weil so manch ganz Schlaue immer schon wussten, wohin der Lauf der Dinge führt und mit ihrer vermeintlichen Gewissheit viele Menschen hinter das Licht oder in geistige Abhängigkeit führten. Und obwohl das Phänomen Geschichte nicht so erklärbar ist wie die Vorgänge in einem Chemielabor, so weist es doch Muster auf, die sich aus den Prinzipien menschlichen Handelns und Fehlens ableiten lassen und die immer wieder kehren, ob im alten Rom, in den zeitgenössischen Machtmetropolen Washington oder Moskau oder eben auch in der Türkei.

Da, so überschlagen sich momentan die Meldungen, faucht derzeit ein Tayyip Recep Erdogan, derzeitiger Ministerpräsident, über das größte Komplott in der türkischen Geschichte. Natürlich ist dieses Komplott gegen ihn gerichtet und natürlich kommt es aus den USA, auch wenn dahinter ein Landsmann steckt. Muster Nummer Eins könnte nicht präziser formuliert werden: Gerät ein Machthaber, zudem einer, der sich mehr und mehr absolutistisch definiert, ins Schlingern, so hat er selbst keine Fehler gemacht, sondern andere, schlimme Finger haben ihn damit behaftet, und zwar aus dem Ausland.

Erdogans AKP, die vor gut zehn Jahren zum ersten Mal die Wahlen in der Türkei gewinnen konnte, hatte nicht nur einen politischen, sondern auch einen moralischen Neuanfang in der Politik versprochen. Mit sehr hohen ethischen Ansprüchen, die in eigenen Bildungsinitiativen für die Kader realisiert wurden, sollte das Land modernisiert werden, ohne die traditionelle, in den Kanon des Islam vertrauende Landbevölkerung zu verlieren. Dabei gab es ein Bündnis und eine Arbeitsteilung, die in diesen Tagen aufbricht und die nie formellen Charakter hatte. Während Erdogan, der einstiger Sesamkringelverkäufer und Upcomer aus den informellen Zonen Istanbuls, das politische Ressort übernahm, kümmerte sich der in den USA lebende Islamgelehrte Fetullah Gülen um die ethische Festigkeit von Kader und Staatsapparat.

Tatsächlich gelang vieles in der Türkei: Die Korruption vor allem im Bausektor und bei der Vergabe von Ämtern wurde zurückgedrängt, das Bankenwesen wurde schonungslos reformiert und ist heute weitaus seriöser als manches im Zentrum Europas, die Kurden wurden zum großen Teil entkriminalisiert und das Bildungswesen wurde radikal modernisiert. Wirtschaftlicher Aufschwung und politische Stabilität führten zu großer Zustimmung für die AKP wie Ministerpräsident Erdogan. Der Fortschritt in der Türkei führte zu sozialen und sozio-kulturellen Veränderungen, mit denen zumindest der Architekt Erdogan selbst nicht gerechnet hatte. Die ökonomische Internationalisierung des Landes zeitigte eine Teilhabe an internationalen Krisen und die vor allem in den Metropolen Istanbul und Izmir entstandenen jungen, akademischen und weltoffenen Eliten kamen mit Ansprüchen daher, die weil jenseits des bekannten Traditionalismus lagen. Den wirtschaftlichen Schwierigkeiten begegnete Erdogan mit einem schrittweise immer aggressiver formulierten neuen osmanischen Imperialismus, den er vor allem in Nordafrika während der Arabellion vortrug und den neuen Eliten im eigenen Land versuchte er mit dem Schlagstock beizukommen.

Vor allem letzteres nahm ihm der an hohen ethischen Ansprüchen festhaltende Fetullah Gülen übel. Leute aus diesem Bildungssektor sind es auch, die nun gegen die neue Nomenklatura der AKP vorgehen, die sich allzu schnell an des System angeglichen haben, das sie vor zehn Jahren noch so vehement zu bekämpfen suchten: Ein Netzwerk korrupter Politiker, die das Staatswesen den Hunden zum Fraß vorwerfen. Während Erdogans ideologisches Kartenhaus zusammenfällt, spricht dieser von einem Komplott. So einfach ist das nicht und die jetzige türkische Krise ist eine weitaus tiefere, als es noch erscheint. Sie sollte uns alle besorgen.