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Spott: Charakter einer Henkersmahlzeit

Diejenigen, die die vermeintlich goldenen Zeiten des Dritten, des tausendjährigen Reichs noch selbst erlebt hatten, waren voll von Geschichten über die Funktionsweise der Propaganda auf der einen und deren ironische Umkehrung durch große Teile der Bevölkerung auf der anderen Seite. Das scharfe Auge und die spitze Zunge des Volkes gab es schon immer. Im alten Rom, wo bereits Graffitis die mächtigen Kaiser dem Spott freigaben,  im Ancién Regime des monarchistischen Frankreichs oder in der spanischen Diktatur, die sich durch Schilder in Gasthäusern des Spottes erwehren wollte, auf denen das Singen bei Strafe verboten war. Und heute, im so genannten und durch Begriffsverwirrung bis zur Unkenntlichkeit entstellten Kommunikationszeitalter, ist das nicht anders. Auch wenn sich die Stimmen häufen, die glauben beobachten zu können, dass sich in dieser Hinsicht nichts täte, sie liegen falsch.

Es ist richtig, dass da eine mächtige Maschine läuft, die glauben machen will, dass die Wirklichkeit dem entspricht, was als die objektive Sichtweise der Dinge täglich millionenfach verkauft wird. Ebenso richtig ist aber auch, dass die Welt bei Umfragen trotz der Überdosis an manipulierten Sichtweisen ganz anders aussieht. Vielleicht, aber das nur am Rande, wären diejenigen, die sich in der Verantwortung wähnen, gut beraten, sich die Sichtweise der Bevölkerung etwas mehr zu Herzen zu nehmen und diese nicht kategorisch als zu dumm für die eigene, mehrheitlich desaströse Polititk zu deklarieren. Dann ginge ihnen vielleicht ein Licht auf, warum die Prognosen für die AFD im Moment für diese so rosig aussehen. 

Dass Politiker zunehmend mit ihren Aussagen nicht mehr ernst genommen werden und dem Spott ausgeliefert sind, hat mit der Diskrepanz zwischen ihrer Wirklichkeit und dem täglichen Erleben großer Teile der Bevölkerung zu tun. Und sie wird befeuert durch die offizielle Rechthaberei und dem Insistieren hinsichtlich einmal falsch getroffener Entscheidungen. Wer immer noch glauben machen will, der Krieg in der Ukraine sei das alleinige, wahnwitzige Werk des Satans, der im Kreml residiert, wer immer noch glauben machen will, die NATO in der Uniform der Ukraine könne diesen Krieg „gewinnen“, wer immer noch glauben machen will, dass die Sanktionen gegen Russland selbiges tödlich treffen würde und kein Schuss ins eigene Knie sei, wer immer noch glauben machen will, dass die schnell und in der Hektik gesuchten neuen Kooperationspartner in der Phalanx eines weltweiten Krieges um die amerikanische Monopolstellung Vertreter des Gedankens der liberalen Demokratie seien, wer immer noch glaubt, dass die Militarisierung des eigenen Haushaltes die Zukunft sicherer machen würde und wer immer noch glauben machen will, der alte Slogan „Kanonen statt Butter“ würde schon irgendwann, wenn die propagandistischen Hunde laut und lange genug bellten, in die Köpfe des Volkes eindringen und für Zustimmung sorgen, der darf sich nicht wundern, wenn als letztes Mittel der Spott auf den Schlachtfeldern der öffentlichen Meinung das Kommando übernimmt.

Nicht, dass die Entwicklung in toto zu preisen wäre! Denn das Lachen ist ein Substitut für das Ausbleiben einer realen Alternative auf dem Terrain der Politik. Gäbe es Alternativen, d.h. politische Bewegungen und Parteien, die formulieren könnten, wie eine von Demokratie und Zivilisation getragene Politik in der Zukunft aussehen müsste, dann wäre der Spott nicht so auf dem Vormarsch. So sehr es Spaß macht, sich ihm hinzugeben. In gewisser Weise hat er den Charakter einer Henkersmahlzeit.  

Die Vergewaltigung der Sprache

Wer weiß, vielleicht befinden wir uns längst in einem Zeitalter, in dem zumindest im Westen der Individualismus noch wie ein Banner hochgehalten wird, aber es sich schon längst abgezeichnet hat, dass es sich um eine Illusion gehandelt hat, die zwar in der bürgerlichen Epoche eine Berechtigung hatte, aber in der technokratisch bestimmten Massengesellschaft zu Staub zerbröselt ist. Denn, genau betrachtet, wo ist denn Individualismus, der den Namen verdient, wenn nicht ein Privileg einiger Weniger, die es sich leisten können, in einer durch Vorschriften und Regelungen durch deklinierten Welt? Wer kann es sich noch leisten, sich einem durch die Gewalt der Meinungsmaschinen im Kommunikationszeitalter fabrizierten Mainstream zu widersetzen, ohne sozial ausgegrenzt und an den sprichwörtlichen Pranger gestellt zu werden?

Es ist nicht nur die Zivilcourage, die vonnöten ist, um sich einem durch keinen politischen Akt vollzogenen, aber trübe wirkenden Kollektivismus zu widersetzen. Mut findet sich immer und überall, auch wenn die Angst zu einem festen Bestandteil der kollektiven Befindlichkeiten mutiert ist. Doch die Courage wirkt oft sehr verzweifelt, weil das Wesen ihres Aufbegehrens von vielen gar nicht mehr verstanden wird. Darin liegt vielleicht der Fluch der Gegenwart. Die allgemeine, erst unterschwellige, jetzt offene Vergewaltigung der Sprache, um der Wahrheit über die Gegebenheiten keine Chance mehr zu geben, hat genauso um sich gegriffen wie die Möglichkeit, dieses Werk zu dechiffrieren geschwunden ist. Es bedarf einer nicht geringen Portion an Bildung und Technik, um die Perfidie der Verschleierung zu durchschauen und zu dekonstruieren.

Nehmen wir ein ganz unverfängliches, gar nicht politisches Beispiel, um zu demonstrieren, was damit gemeint ist. Momentan schwirrt so ein Begriff durch den Kommunikationsäther, der von der Automobilindustrie lanciert und der sicherlich nicht ohne Hilfe von Marketingagenturen zustande gekommen ist. Es handelt sich um den Begriff des autonomen Fahrens. Der Sinn des Begriffes Autonomie hat seine Geläufigkeit aus dem Verständnis, in der Lage zu sein, selbst zu bestimmen, was für den Akteur gut oder schlecht ist, ohne Bevormundung einer dritten Kraft. Es ist folglich ein Begriff, der auch politisch sozialisiert ist mit den Konnotationen von Freiheit und Unabhängigkeit.

Was die Automobilindustrie jedoch damit bezeichnet, ist ein weiterer, gewaltiger Schritt weg von Individualismus und Unabhängigkeit. Das autonome Fahren beschreibt als Endziel das Ende des Individualverkehrs, die Steuerung derer, die in einem Auto sitzen, durch Bord- und als nächstem Schritt Satellitencomputer, die außer dem Fahrtziel alles regeln. Das, was daran autonom sein soll, kann sich nur auf die Steuerungssysteme beziehen, nicht aber auf die Individuen, die sich in dem Automobil befinden. Und gelungen ist die Umdeutung und interessant, aber auch enttäuschend dabei ist, dass selbst die schlimmsten Automobilafficionados diese Mystifikation weder erkennen noch dagegen revoltieren. Es handelt sich um ein typisches Manöver, wie der Sinn eines Begriffs zweckrational umgedeutet wird und eine phlegmatische Öffentlichkeit so etwas ohne Protest hinnimmt.

Was bereits in einer Frage, die die Mobilität von Menschen betrifft, ohne große Wellen des Widerstandes gelingt, ist im Bereich der Politik längst Usus und gehört zum Tagesgeschäft. Wer in der Lage ist, den Sinn von kollektiven Begriffen umzudeuten, der kann die Emotionen im großen Spiel bereits neu anordnen und aus einer rational zu betrachtenden Angelegenheit die wildesten Zornräusche konstruieren. Man denke nur an das Wort Versteher. Etwas vor gar nicht länger Zeit positiv Besetztes ist zu einem regelrechten Hetzbegriff mutiert. Erst wird die Sprache vergewaltigt und dann wird ihr der Sinn geraubt.