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Der große Hass und die schlichten Regeln

Wer sich dem kommunikativen Grundrauschen dieser Tage aussetzt, der bekommt zwei Begriffe immer wieder zu hören. Es sind Wut und Hass. Etwas abgesetzt in der Rangliste, aber nicht weit davon entfernt ist es die Lüge. Sowohl Wut als auch Hass sind Begriffe, die einer extrem negativen Emotion zugesprochen werden müssen, die sich in der Regel negativ entlädt. Von denen, die sich zum Teil selbst mit einer der beiden Begrifflichkeiten charakterisieren, wird oft die Lüge in einen kausalen Zusammenhang zu ihrem jetzigen Gemütszustand gebracht. Interessant bei dem Bekenntnis zu den die hohe Emotion beschreibenden Begriffe ist die Tatsache, dass die Wut dem Bürgertum vorbehalten zu sein scheint, während der Hass, dem etwas Primitiveres anhaftet, folglich für die Unterschichten reserviert ist. Es könnte gefolgert werden, dass selbst in den Zeiten der Rage die Klassengesellschaft vor den armen Menschenkindern nicht halt macht.

Nur die Lüge, wo sie auch immer zu verorten ist, für Massenzustände bestimmter Bevölkerungsteile verantwortlich machen zu wollen, greift dann doch etwas kurz. Trotz vieler Dissonanzen sei hier auf das längst verblichene Buch Sloterdijks Zorn und Zeit verwiesen, in dem er treffend darauf verwies, dass sich Gesellschaften mit einem Elefantengedächtnis regelrechte Depots anlegten, in denen der Zorn über jede Schmähung akkumuliert werde. Dieser These folgend, ist der immense Hass und die große Wut, die momentan die Gesellschaft prägt, nicht das Ergebnis irrationaler Kurzschlüsse von ungebildeten Proletariern oder wohlstandsverwahrloster Bürger, sondern eine logische Folge einer langen, komplizierten historischen Entwicklung.

Es wäre anmaßend, diese historische Kausalität hier, in wenigen Worten auch noch erklären zu wollen. Aber es wäre ein Versuch, aus der täglichen, grausigen und zu nichts führenden Konfrontation über die aktuellen Gemütszustände etwas machen zu können, das dieser Gesellschaft weiterhilft. Eine Prämisse dafür ist die Feststellung, dass wir es weder im einen wie im anderen Fall, und hier soll weder der Wutbürger noch der johlende Mob in seiner destruktiven Wirkung unterschätzt werden, mit einer rein personifizierten Erscheinung des Irrsinns zu tun haben. Und auch, dass die Lüge, auch hier einmal ein aktuelles Wort Sloterdijks, deren Äther nie so dicht war wie heute, nur den Versuch darstellt, aus einem bereits existierenden ein noch größeres Dilemma zu machen. Und es ist hilfreich, dass in anderen europäischen Gesellschaften Ähnliches geschieht. Die Angst geht um auf diesem Kontinent, und es sind nicht nur die aktuellen Tagesereignisse, die sie speisen. Es liegt tiefer, und auf diese Gründe muss der gesellschaftliche Diskurs stoßen.

Und, by the way, es gibt historische Ursachen für die vollen Zorndepots, daran herrscht kein Zweifel, aber es gibt keinen Grund für die Verrohung der Sitten, für die ständigen Attacken gegen die Zivilisation. Da spricht vieles dafür, die Dinge persönlich zu nehmen und ihnen auf den Grund zu gehen. Der Respekt vor dem Individuum wie vor den Gütern der Gesellschaft darf bei aller Schmach über das eigene Schicksal nie zur Disposition stehen. Wer das als Nichtigkeit in den Wind schlägt, muss sich darüber bewusst sein, Bestandteil des Problems und nicht der Lösung zu sein. Die Regeln für die Kommunikation stehen, so wie sie immer gestanden haben. Sie sind schlicht, sehr schlicht. Respekt vor dem Gegenüber, Zuhören, auf die Argumente eingehen. Es ist die Grundlage nicht der heutigen, sondern menschlicher Kommunikation generell. Wut und Hass sind die Säure, die sich in ihr Fundament frisst.

Das Wesen der Korporation

Es reicht nicht aus, eine Institution zu gründen, um sie zu einer wirksamen Akteurin des Geschehens werden zu lassen. Doch der Irrglaube herrscht oft in der technokratischen Welt. Den Buchhaltern der gegenständlichen Bilanzen ist es genug, ein Kästchen auf einem Blatt Papier zu haben, das die Institution und ihren Zweck darstellt. Im Appendix mag dann noch stehen, wer in dieser Institution versammelt sein muss, damit sie ihren Zweck erfüllt. Das ist formal wichtig und richtig, aber damit fängt die Arbeit erst an.

Institutionen sind die Organisation unterschiedlicher Perspektiven mit dem Ziel, sie zu einer bestimmten Wirkungsrichtung zu vereinen. Das können unterschiedliche professionelle Sichtweisen sein oder unterschiedliche Gruppeninteressen. Der Unterschied gehört zum Wesen der Korporation, aber er muss allen Beteiligten deutlich sein. Die unterschiedliche Perspektive ist es gerade, die innerhalb der Institution die Bereicherung darstellt. Sie als Abweichung zu bezeichnen heißt, den Zweck der Institution als bereits erfüllt zu unterstellen.

Der Diskurs innerhalb der Institution, der, wie gesagt, unterschiedliche Sichtweisen wie Interessen zum Thema hat, muss geleitet werden von dem Konsens der formalen Zweckbestimmung. Das erscheint zunächst als ein Widerspruch, weil die Subjektivität der einzelnen Akteure zumeist zum dem Schluss verleitet, gerade ihre Sichtweise entspräche dem Zweck der Institution. Institutionalisierung jedoch ist der formale Rahmen für eine Meinungsbildung aus Diversität heraus. Das Sammeln verschiedener Aspekte, die die den Zweck der Institution zu stützen vermögen, ist die Arbeitsweise der institutionellen Konstituierung.

Dieser Prozess bezeichnet das Wesen der Korporation wie das Wesen der Institution und er ist analog und er verhält sich analog zu den Funktionsbedingungen der Kommunikation. Letztere funktioniert nur, wenn alle Seiten mit einer gemeinsamen Intentionalität ans Werk gehen. Nur, wenn klar ist, dass alle Beteiligten, die am Prozess der Kommunikation teilnehmen, den Willen haben und signalisieren, dass sie trotz unterschiedlicher Voraussetzungen eine Verständigung wollen, kommt Kommunikation zustande. Und genauso ergeht es der Institution. Sie wird nur dann ein wirksames Instrument der Zweckbestimmung, wenn die internen Teile, d.h. die unterschiedlichen personifizierten Aspekte innerhalb der Institution daran interessiert sind, den Zweck der Institution zu unterstützen und dieses für alle vernehmlich signalisieren. Alles andere sind Machtkämpfe auf der Strecke, die das Ziel sabotieren. Die Aufgabe institutioneller Sinnhaftigkeit wird am besten illustriert durch die Dominanz des Partikularismus. Er ist der Leichengräber der Korporation.

Mit der Gründung einer Institution ist es nicht getan. Der Prozess einer geeigneten Strategie und Programmatik wird muss gehen über den Diskurs. Dabei sind sowohl die unterschiedlichen Sichtweisen der Interakteure zu betrachten wie die unterschiedliche Sozialisation und das damit verbundene Rollenverständnis zu klären. Beides ist ein langer Prozess, der oft als unnötig und zeitraubend diffamiert wird. Die Diagnostik von fehlgeschlagenen Institutionen führt jedoch immer wieder zu genau diesem Defizit: Die mangelnde gedankliche Klärung der subjektiven Sichtweisen und unterschiedlichen Rollenverständnisse. Dass Institutionen in der Regel ins Leben gerufen werden, damit sie gleich arbeiten und funktionieren, macht die Sache nicht leichter, weil die Investition in die Klärung der eigenen Disposition bei laufenden Geschäften erfolgen muss. Aber ohne geht es eben auch nicht. Wer das Wesen der Korporation ausblendet, wird schwerlich Erfolg haben bei dem Versuch, eine solche, die funktioniert und eine neue Qualität ausmacht, ins Leben zu rufen und am Laufen zu halten.

 

 

Verschleiernde Kodizes

Von Kommunikation bis Transparenz, von Augenhöhe bis Wertschätzung, von Achtsamkeit bis Nachhaltigkeit, unsere Sprache wird zunehmend zu einem Kanon an Begrifflichkeiten, die eines gemein haben: Sie beschreiben sowohl einen ethisch-moralischen Anspruch als auch eine Leere in der sozialen Identität, die durch die Programmatik des Begriffs mit gutem Inhalt gefüllt werden soll. Das ist starker Tobak, denn in einer Zeit, in der sich Begriffe wie die angeführten mehren, spricht sehr vieles dafür, dass die Ursachen für Sinnentleerung, Entehrung und Erkaltung mächtiger werden. So wirken diese Begriffe auch weniger wie ein durchdachtes Programm mit politischer Wirkung, sondern eher wie ein Schrei der Hilflosen. Denn selbstbewusste Subjekte wie handlungsfähige Kollektive holen sich die Informationen, die sie brauchen, zwingen die Handelnden, ihr Handeln zu begründen, sehen denen, die sie kontrollieren, direkt in die Augen, haben das Selbstbewusstsein, dass dazu notwendig ist und sind soweit Realisten, dass sie in ihrer Selbsteinschätzung den Irrtum der chronischen Überforderung mit ins Kalkül ziehen.

Was aus den oben genannten Begriffen spricht, ist die Masse derer, die sich ohne Widerstand einem langen Prozess der Entmündigung unterworfen haben. Getrieben hat diesen Prozess ein triumphalistisches Politikgefühl, ausgelöst durch das Ende des Ost-West-Konfliktes, der angeblich das Ende der Geschichte zur Folge hatte und damit die ewige Demokratie einläutete. Eine Politikerkaste, die demselben Glauben nachhing, suggerierte denen, die sie vertritt, dass sie es schon richten werde. Und die Masse glaubte den Unsinn und entließ sich selbst aus der anstrengenden Pflicht, Politik mitzugestalten und für Demokratie zu kämpfen. Das Grillen am 1. Mai wurde attraktiver als die Demonstration und Krankenscheine halfen unspektakulärer, sich von der Arbeit zu entfernen, als ein Streik. Der Kampf wich dem Siechtum, und die politische Präzision den seichten Pamphleten, in denen die Welt heute ersäuft.

Einher mit der ungeheuren Ent-Politisierung der Gesellschaft ging das wohl mächtigste Täuschungsmanöver der Nachkriegsgeschichte, das nur deshalb gelingen konnte, weil der Prozess der Ent-Politisierung in einem derartig hohen Tempo gefahren wurde. Während viele Gewerkschaften das Thema der politischen Bildung aus den Bildungsplänen strichen und dafür Computerkurse anboten, begann der aus den Hochschulen strömende neue bildungsbürgerliche Mittelstand, die eigene Ernährung in den Mittelpunkt der Lebensplanung zu stellen. Viel von denen, die Marx und Hegel gelesen hatten, verpfändeten ihr kritisches Bewusstsein am Tresen des Vegetarismus und trugen so dazu bei, von den wachsenden Belastungen, die die neuen Organisationsformen der Arbeit schufen, abzulenken. Seitdem streitet sich die entmündigte Klientel über Ernährungsweisen und Unverträglichkeiten, als seien es die lebensbestimmenden Faktoren im digitalen Zeitalter.

Die Verselbständigung der digitalen Maschinerie hat die Appendix-Existenz des Individuums in einem bisher ungeahnten Maße gesteigert. Die aus der digitalen Logik und Infrastruktur abgeleiteten Compliance-Systeme haben den Zuchtstab von Arbeitsanweisung und Betriebsordnung ergriffen und führen ein unerbittliches Regiment über die Arbeitenden. Letztere kommen jedoch in den seltensten Fällen noch auf die Idee, dass es sich bei dieser Art von Compliance um von Menschen gemachte Werke handelt, die bestimmten Menschen und ihren Interessen dienen. Nein, der Eindruck hat sich verfestigt, dass die technische Logik die einer höheren Ordnung sei und aufgrund dessen folgerichtig dem schnöden Bedarf humaner Wesen nicht folgen müsse. Die Diktatur der technischen Logik gilt als unangreifbar und die der Menschen, die hinter diesem Artefaktum stehen, werden gar nicht mehr wahrgenommen. Ohne politische Sensorik und Begrifflichkeit erscheint die Welt als ein unübersichtliches Chaos sozialer Enttäuschungen. Die Abkehr von einer Politik, die keine ist, wäre der Anfang von einer Politik, die diesen Namen verdient. Anstrengender würde sie sein. Erheblich.