Schlagwort-Archive: Klaus Kleber

Radio Pjöngjang

Ausgerechnet Klaus Kleber, der Jurist, der sich zu einem durchaus respektablen Journalisten gemausert hat und den wir alle aus dem Heute Journal kennen, ausgerechnet Klaus Kleber verglich die Tagesthemen der ARD mit den Nachrichtensendungen Nordkoreas, in denen mit kalter Miene vom Blatt abgelesen werde. In seiner eigenen Sendung, in der er selbst erscheint wie das letzte Relikt aus einer Ära, als man noch eine Vorstellung vom Gehalt einer Nachrichtensendung hatte, dominiert nicht die Regie aus Pjöngjang, sondern die aus Bollywood. Was die Moderatorinnen in diesen Format an den Tag legen, ist lauer Zeitgeist, eine Mischung aus lapidarer Sprache und anti-autoritärem Trotz und weit entfernt von dem, was es zu reklamieren sucht.

Unerwarteter und erstaunlicher Weise waren die Kommentare derer, die Klebers Auslassungen in spiegel online gelesen hatten, durchweg kritisch. Sie teilten nicht die Auffassung, dass eine Nachrichtensendung locker und unterhaltsam sein müsse, um als qualitativ wertvoll bezeichnet werden zu können. Nahezu einhellig dokumentierte die Leserschaft ihren Willen zu Konzentration und Seriosität. Das beruhigt, ist aber wohl eher ein Zufallsergebnis.

Der scheinbar an Unterhaltungskriterien entwickelte Diskurs kaschiert allerdings eine sehr verbreitete und seit längerer Zeit ebenfalls in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durchaus etablierte Form der Meinungsbildung und gezielten Manipulation. Vor allem die Kolleginnen von Herrn Kleber sind für alle, die eine Nachrichtensendung anschalten, um Nachrichten zu erhalten, ein ständiges Ärgernis. Wie Modelle aus der anti-autoritären Kinderladenbewegung werfen sie ihr infantiles Politikverständnis mit einem rotzigen Ton und sprachlich restringiert in die längst ausgeschlagene Waagschale, um ihre persönliche Meinung zu einem Maßstab für die Zuschauerinnen und Zuschauer zu machen. Dabei ist das Politikverständnis bemitleidenswert eng gefasst, der sprachliche Duktus allenfalls ausreichend für eine Casting-Show und der Emotionsexhibitionismus eher ein Fall für das Dschungel Camp oder Big Brother.

Die Entwicklung des Heute Journals korrespondiert mit dem vermeintlichen nachlassenden Vermögen der Zielgruppen, aus einer kalten Information, die als ein Faktum für sich steht und die aus einem bestimmten Kontext zu deuten ist, sich eine eigene Meinung zu bilden. Es ist nicht nur seltsam, dass es immer noch viele Menschen gibt, die diese Art und Weise des Informationserwerbs bevorzugen, sondern auch in der Lage sind, den manipulativen Charakter der immer mehr um sich greifenden Nachrichtendeformation zu entlarven.

Das Problem liegt also nur zum Teil an den massiv betriebenen und auf allen Kanälen forcierten Entmündigungsversuchen, sondern in der Unfähigkeit, eine wirksame Opposition zu organisieren. Das Phänomen, das sich nolens volens hinter dem Vergleich mit Pjöngjang verbirgt, ist der Zusammenhang von Unterdrückung und Bevormundung und dem Maß notwendiger Gewalt. Während Regimes wie das in Nordkorea noch mit einer sehr eindimensionalen Vorstellung von Steuerung und Bevormundung agieren und notfalls mit dem Einsatz von Uniformierten daher kommen müssen, sind unter hiesigen Verhältnissen die bunt gekleideten und nett anzusehenden Mickey Mäuse aus dem Heute Journal in der Lage, zersetzende Herrschaftsideologie unters Volk zu bringen. Dort, wo sich Menschen organisiert gegen die modernen Raubzüge gegen den Humanismus zur Wehr setzen, rügen sie mit Liebesentzug und dort, wo die Illusion einer nie zu realisierenden Versöhnung gepflegt wird, reagieren sie mit einem verheißungsvollen Augenaufschlag. Und sie suggerieren schelmisch den bedingungslosen Individualismus als das höchste Gut. Das ist die schöne neue Welt, oder, wenn man so will, das moderne Radio Pjöngjang.