Das Wort geht der Tat voraus, schrieb Heinrich Heine, so wie der Blitz dem Donner. In seiner bis heute immer wieder lesenswerten Abhandlung Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland brachte er das im Titel beschriebene nicht nur in seiner eigenen, unerreichten Weise auf den Punkt. Er versuchte zudem den Bürgerinnen und Bürgern im benachbarten Frankreich, das ihn als Exilanten aufgenommen hatte, zu erklären, wie die Deutschen vor allem denken und fühlen. Angesichts der von ihm rekonstruierten Ideengeschichte warnte er die Franzosen vor einem vulkanartigen Ausbruch im Nachbarland. Angesichts der Ereignisse, die von Deutschland aus im darauf folgenden Jahrhundert ausgehen sollten, eine nahezu prophetische Vorhersage.
Dabei ist der Grundgedanke einfach und in der Regel zielführend. Die formulierte Sprache dokumentiert tatsächlich in vielerlei Hinsicht Denkweise und Intention. Diejenigen, die sich aufgrund dieser Erkenntnis der Textkritik verschreiben, gelten als Menschen mit strategischen Kompetenzen. Das soll nicht herabgemindert werden, denn wäre es so leicht und offensichtlich, täten es sicherlich mehr. Denn wer will sich schon den Vorteil nehmen lassen, die Menschen, deren Welt und die zu prognostizierenden Entwicklungstendenzen einfach zu ignorieren.
Unser Alltag bietet die beste Gelegenheit, sich dem textkritischen Handwerk zu nähern. Und ist man einmal dabei, dann macht es regelrecht Spaß, auch wenn die Erkenntnisse manchmal gar nicht so spaßig sind. Kürzlich hörte ich zum Beispiel jemanden sagen, da sei ein großes Problem und es gebe noch keine Regelung, wie man damit umgehe. Aber man arbeite daran und wenn das Regelwerk vorliege, sei das Problem gelöst. Man müsste diesem Menschen dankbar sein, denn ihm gelang es, aus einer Allerweltskonversation einen Prototyp der Malaise unserer Zeit zu illustrieren.
Denn bei dieser Formulierung handelt es sich um eine weit verbreitete, sogar politisch zuweilen mehrheitsfähige Auffassung, dass Probleme nicht gelöst werden, sondern lediglich geregelt werden müssen. Dass ist eigentlich schon eine böse Form des Defätismus. Aber es kommt noch schlimmer, wenn man nämlich realisiert, dass die Welt als eine überwältigende Ansammlung von Problemen und nicht als ein unerschöpfliches Phänomen von Chancen begriffen wird. Das, was wir in unserem Leben antreffen, sind Herausforderungen, mit denen wir produktiv, kreativ, stark und geistreich umgehen müssen. Die Perzeption dieser Welt als riesiges Arsenal von Gefahren führt zu zweierlei: Zum einen zu einem Aufbau einer gigantischen Bürokratie, natürlich auch im übertragenen Sinne, die sich mit der Verwaltung der Probleme beschäftigt. Und der Atmosphäre der Angst. In ihr, selbst nur über die Regelung von Gefahren zu räsonieren, dient nicht dazu, positive Strategien zu entwickeln.
Wenn man so will, führt der erwähnte lapidare Satz in letzter Konsequenz dazu, dass ungeheure gesellschaftliche Energien unproduktiv dafür genutzt werden, schlechte Zustände zu verwalten. Die Art und Weise, wie dieses geschehen soll, wird durch eine alles überlagernde Angst bestimmt. Rückblickend auf die Geschichte der letzten Jahrzehnte scheint sich die Diagnose zudem zu bestätigen: Hinter uns liegt ein stetiges Ansteigen der Staatsquote und eine ganze Abfolge von Katastrophenszenarien, die allesamt das Ende der Menschheit bedeutet hätten, wären sie denn eingetroffen. Ob es die Kriegsszenarien des Kalten Krieges waren, das Waldsterben, die atomaren Katastrophen, die weltweiten Epidemien, die politischen Antworten auf die tatsächlichen Herausforderungen entstanden immer wieder aus Angst und Hysterie. Und man begegnete ihnen mit neuen Behörden. Positive Strategien lassen sich allerdings nur aus einer positiven Betrachtung der Welt und ihrer Erscheinungen ableiten. Auch, wenn es sich um Probleme handelt. Gerade dann.
