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Englisch-nasser Bluesrock

Mick Abrahams. Hoochie Coochie Man

Wenn jemand sein Ding macht, so heißt das noch lange nicht, dass er oder sie Karriere macht. Aber es hält sich die These, dass diejenigen, die ihr Ding machen und sich nicht aufgrund irgendwelcher Karriereziele verbiegen lassen die Glücklicheren sind. Ob das so ist, können diese Menschen nur selbst beantworten, aber dass sie eher als Subjekt denn als Objekt in die Geschichte eingehen werden, gilt als ziemlich sicher. Der englische Gitarrist Mick Abrahams ist so einer, der sein Ding gemacht hat. 1943 in Luton, Bedfordshire geboren, gehörte er zu den Musikern, die 1968 das Album This Was unter dem Bandnamen Jethro Tull aufnahmen. Vielen gilt dieses Werk als das beste, was diese Band jemals produziert hat, aber Auseinandersetzungen innerhalb der Band über die Musikrichtung, die sie einschlagen sollte, sorgten dafür, dass Abrahams sich nach dieser einen Platte verabschiedete, weil ihm der Sinn nach Bluesrock und nicht nach Folk war. Konsequenterweise tauchte er dann in Formationen wie Screaming Lord Sutch und vor allem Blodwyn Pig auf, die durch ihre musikalische wie textliche Aggressivität und ihr exzentrisches Auftreten dem gesetzten englischen Bürgertum den Garaus machten. Das große Geld wurde allerdings nicht verdient, das machten Bands wie Jethro Tull.

Das Schicksal Mick Abrahams wollte es, dass er zurück nach Bedfordshire ging, wo er sich als Fahrer, Wächter und Finanzberater verdingte, und nur noch zum Spaß spielte und ab und zu mit seiner Musik lokale Initiativen unterstützte. Mick Abrahams machte sein Ding, ohne Kompromisse. Heute ist er 70, hat in den letzten Jahren einige Attacken auf seine Gesundheit überstanden und macht vor allem in der letzten Dekade mit neuen CDs auf sich aufmerksam. Das entscheidende bei der Musik, die er heute macht, ist die Konsequenz, die mit einer ganzen Lebenserfahrung dahintersteckt.

Das jüngste Album, Hoochie Coochie Man, verrät durch seinen Titel schon die programmatische Ausrichtung. Natürlich handelt es sich um Blues, aber in der rockigen Version Englands, es ist englisch-nasser Bluesrock, der manch Bekanntes neu inszeniert und vieles Neues wunderbar herüberbringt. Mick Abrahams ist ein extrem guter Gitarrist, dessen Spielweise mit seinem Leben korreliert. Die Gitarre kommt kristallklar, scharf konturiert, in deutlich nachvollziehbaren Konturen daher, sie macht klare Aussagen und verzichtet auf Suggestionen.

Umrahmt wird das Repertoire von zwei Klassikern, Hoochie Coochie Man als Intro, was vielleicht nicht ganz so gelungen ist, weil der Titel immer an der Version des Übervaters Muddy Waters gemessen wird. Beschlossen werden die 16 Stücke dann mit Stormy Monday, dessen Interpretation allerdings so gelungen ist, als käme sie von der britischen Insel. Die eigenen Kompositionen sind solider Bluesrock, der durch Konsequenz wie Perfektion besticht, da gibt es wenig zu mäkeln und er bewirkt ganz einfach gute Laune, was häufig zu sehr als Kriterium unterschätzt wird. So gut Mick Abrahams als Gitarrist daher kommt, so befremdend ist die Stimme für das Genre. Da singt eben ein Taxifahrer oder Wachmann. Bei dem Titel What Am I Living for kann man sich bildlich sehr gut vorstellen, wie Abrahams im Unterhemd in einem englischen Reihenhaus am Frühstückstisch sitzt, ungekämmt, und sich morgens bei Pancake & Tea diese philosophische Frage stellt. Das ist authentisch und sympathisch zugleich. Man muss halt wissen, wie man mit Regen und verhangenem Himmel im Leben umgeht.

Nützliche Hinweise aus dem Imperium Romanum

Als die Patrizierfamilien ihre Macht etabliert hatten und Rom zu dem Imperium geworden war, das wir aus den Geschichtsbüchern kennen, setzte eine Entwicklung ein, die nicht untypisch für einen solchen Zustand ist. Die Fortpflanzungsraten dieser Elite entsprachen quantitativ nicht mehr den vielen Funktionsstellen, derer es bedarf, um die Macht zu sichern. So setzte auch in Rom das Klagelied ein, die Römer stürben aus und das Imperium sei in Gefahr. Das stimmte so nicht, denn was in Gefahr war, war einzig und allein das Monopol der alt eingesessenen Patrizierfamilien, die gerade begannen einer Entwicklung zum Opfer zu fallen, die manch böse und vorlaute Zunge heute mit dem Terminus der spätrömischen Dekadenz bezeichnet. In Bezug auf die Reaktion des Imperium Romanum auf die demographische Baisse der Patrizier ist das ziemlicher Unfug, denn Rom besass genug Größe und Souveränität, um das Problem zu lösen: Es eröffnete den jungen Talenten aus den vielen Provinzen die Perspektive, in der Kapitale Karriere zu machen und besass damit auch noch Weitsicht, denn der neue Karrierepfad für die Sprösslinge aus dem Osten, dem Süden und dem Norden sorgte für eine politische Stabilisierung des Imperiums und hatte eine immense integrative Wirkung.

Der Sprung in das Germanistan unserer Tage fällt angesichts derartiger Gedanken etwas schwer, zeigt er doch, was die geschenkte Republik so schwerfällig und töricht macht im Vergleich zum römischen Imperium. Die Klage über den demographischen Wandel kennen wir schon sehr lange. Er müsste keine Besorgnis auslösen, wenn es um die Rente ginge, auch wenn das als ideologische Spitze immer wieder angeboten wird. Die Renten sind nicht wegen der Demographie in Gefahr, sondern weil die Rentenkassen ohne die Zustimmung der dort Versicherten immer wieder geplündert wurden und werden. Das demographische Problem ist verkettet mit der auf Wachstum basierenden Ökonomie, die den Zenit längst überschritten hat und sich vor allem vor dem Hintergrund asiatischer Produktionsbedingungen längst in ihre destruktive Variante verkehrt hat.

Aber selbst wenn wir den Wachstumsgedanken kritisch hinterfragten und uns über eine neue, qualitativ anders konzipierte Ökonomie Gedanken machten, hätten wir das Problem, keine neuen Aspekte der Weltgesellschaft mehr intellektuell integrieren zu können, weil wir die Potenziale des eigenen Landes nicht nutzen. Analog zum Imperium Romanum sollten wir uns schleunigst von der nicht antiken, aber anachronistischen Definition des Staatsbürgertums verabschieden, das dem jus sanguinis, also der Ableitung der Staatsbürgerschaft aus dem Blut entspringt und uns dem jus soli zuwenden, das die Staatsbürgerschaft dort entstehen lässt, auf welchem Boden der Mensch geboren wird. Denn wer den Pass hat, der gehört dazu und hat einen Anspruch auf die Chancen der Gesellschaft. Alles andere ist, man verzeihe den drastischen Ausdruck, nationalistische Propaganda, die im 21. Jahrhundert in einer modernen Gesellschaft nichts mehr verloren hat.

Seit der Ära Kohl, an der die deutsche Bevölkerung stärker beteiligt war als sie heute zuzugeben beliebt, dominiert dieser Anachronismus den politischen Diskurs. Er verschließt Perspektiven und verspielt die Zeit, die bleibt, um Zukunft zu gestalten dramatisch. Angesichts der laufenden Verhandlungen über eine große Koalition wäre es an der Zeit, dieses Thema an zentraler Stelle mit auf die Agenda zu nehmen. Die Potenziale von Migranten liegen in ihrer Jugend und Diversität. Etwas, das das Land bitter nötig hat. Und es existiert keine integrativere Kraft als eine erfolgreiche Karriere. Die jedoch hängt ab von vollen Rechten. Das zu ignorieren, ist ein grobes Vergehen.