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Von Bagdad nach Stambul

Manchmal wäre es schön, in die Sphären der Literatur vergangener Zeiten enteilen und den Orient in seiner mal märchenhaften, mal abenteuerlichen Art hochleben lassen zu können. Da kommen die Märchen aus 1001 Nacht in den Sinn, oder das Werk Karl Mays, vor allem das Von Bagdad nach Stambul. Letzteres wird, wenn es nach dem türkischen Herrscher Erdogan geht, nun doch ein wenig belebt, und zwar von deutscher Seite.

Die Lage, so verzwickt sie ist zwischen dem neuen türkischen Sultan und der alten Kanzlerin, hat etwas von einer Amour fou. Da sind die diktatorischen Exzesse des neuen Sultans, da ist seine rotzfreche Rhetorik gegenüber dem Reich der Deutschen, da ist sein Irrtum hinsichtlich der Bedürfnisse einer neuen städtischen Bevölkerung. Aber da ist auch ein Flüchtlingsdeal, für den die Kanzlerin dem Herrscher in tiefer Dankbarkeit ergeben ist und da ist eine NATO-Mitgliedschaft, die beide Länder auf Verderb aneinanderschweißt.

Da ist aber auch eine Europäische Union, die so ihre Maximen und Kriterien hat. Da sind eine Weltbank und ein IMF, die sich in Krisen genau anschauen, was da so einzelne Regierungen treiben. Wenn es also darum gehen soll, aus einer scheinbar tiefen Verwerfung eine gegenseitige Hilfe zu machen, von der beide Seiten profitieren, dann ist diplomatisches Gespür genauso vonnöten wie eine gewisse politische Skrupellosigkeit.

Wen wundert es da, dass der neue Sultan auf die Idee kam, sich ein richtig großes Projekt auszudenken, mit dem er sein eigenes Land und dessen darbende Wirtschaft stützen könnte und bei dem ihm gerade die Deutschen helfen sollen, die zwar sehr verstimmt ob der empfangenen Schmähungen sind, die aber andererseits einen Heidenspaß daran haben, wenn sie einen tollen Deal machen und richtig Geld verdienen können.

So fragte Erdogan den deutschen Außenminister Maas kürzlich bei dessen Besuch in der Türkei danach, ob die Deutschen nicht Lust hätten, ihm ein großes Eisenbahnmodernisierungsprojekt zu finanzieren. Das brächte ganz unterschwellig die türkische Wirtschaft wieder auf die Beine, und, so ganz nebenbei, würden aus dem Projekt heraus die richtig großen Aufträge auch an deutsche Firmen gehen. Als kurz nach dem Besuch des saarländischen Weltmannes ein Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium in Ankara gesichtet wurde, war den gut unterrichteten Kreisen klar, um was es dabei ging.

Und nun ist es offiziell. Etwas Besseres als der Tod des saudischen Journalisten Khashoggi konnte Erdogan nicht passieren. Kaum hatte er sich über das schief gegangene Verhör mit demselben in der saudischen Botschaft echauffiert, konnte er in den Medien des deutschen Mainstreams doch tatsächlich als ein eingefleischter Kämpfer für die Pressefreiheit und den Humanismus ausgegeben werden.

Und prompt erschien heute der schwergewichtige deutsche Wirtschaftsminister, gefolgt von einem langen Tross wichtiger Persönlichkeiten aus der deutschen Monopolwirtschaft, im osmanischen Sultanat, um das dortige Eisenbahnnetz zu erneuern und den Traum von einer Bagdad-Bahn zu entfachen.

Und die Beobachter im fernen Deutschland reiben sich die Augen, wie schnell sich die Vorzeichen ändern können im fernen Orient. Kaum wird ein armer Tropf durch einen noch größeren Verbrecher gemeuchelt, schon erscheint der Kontrahent von gestern als der logische Freund. Und schon sitzen beide Hand in Hand im Wüstensand und schwören sich unter dem Stern des Südens, dass nichts auf Erden sie wird wieder auseinanderbringen können. Aber, auch das ist bekannt, nichts trügt mehr als diese Stimmung.

Der Dschihad aus dem deutschen Kriegsministerium

Steffen Kopetzky. Risiko

Mit dem I. Weltkrieg wurde deutlich, dass die Machtverhältnisse auf dem Erdball in der bestehenden Weise nicht mehr unverändert würden fortbestehen können. Der Unterschied zwischen Heute und Damals bestand wohl vor allem darin, dass zu Beginn des XX. Jahrhunderts offen über die Interessen gesprochen wurde, um die es ging. Nämlich um den Zugriff auf Rohstoffe und die Beherrschung der globalen Infrastruktur. Heute steht der Artikulation von Interessen eher eine moralisch gefärbte, auch idealistische Betrachtungsweise entgegen, ohne dass die Gier nach dem Wesentlichen gestillt wäre. Am Vorabend des I. Weltkrieges jedoch stand vor allem Deutschland bereit, sich in das Konsortium der imperialen Weltmächte einzuordnen und dem britischen Löwen gehörig seine Schranken zu zeigen.

Vor diesem Szenario entfaltet Steffen Kopetzky seinen Roman „Risiko“. Akteur ist zunächst die Besatzung der Fregatte BRESLAU, die im Mittelmeer vor der albanischen Küste einen eher als begrenzt um bezeichnenden Einsatz fährt und von der kleineren Räubergeschichte durch den Ausbruch des I. Weltkrieges überrascht wird. Geschickt webt Kopetzky ein Netz über mehrere Handlungsebenen, die ein sehr gutes, präzises, und in vielerlei Hinsicht auch historisch verbürgtes Bild ergeben über die Wirkungszusammenhänge im Kriegsvorfeld wie die ersten Operationen, die diesem Ereignis zugerechnet werden können. Der Erzähler versteht es vor allem, die eher profanen, aber handlungstragenden Figuren, die einen solchen Krieg ausmachen mit bekannten Namen zu verbinden. Da tauchen Namen wie Dönitz oder Camus auf, allerdings jenseits ihre späteren Bekanntheitsgrades, sondern in ihrer tatsächlichen Funktion während des Ereignisses.

Ohne die Handlung bemühen zu müssen, ist es gestattet, eines der deutschen Strategeme auszuplaudern. Sich der maritimen Übermacht des Britischen Empire bewusst, hatten die deutschen Strategen aus dem Kriegsministerium eine Idee entwickelt, unter der bis heute alle ihre Epigonen bereits gelitten haben. Es sollte versucht werden, vor allem von Afghanistan, also im Rücken des englischen Kolonialkoloss Indien, einen Dschihad auszurufen, der die ganze islamische Welt erfassen und den englischen Kolonialherren das Leben unmöglich machen sollte. Um dieses zu realisieren, wurde eine Expedition ins Leben gerufen, die sich von Konstantinopel aus über Bagdad und Isfahan auf dem Landweg nach Afghanistan bewegen sollte. Der Großteil des Romans schildert diesen Weg.

Mit der sehr interessanten politischen Konstellation und den durchaus realistischen Einblicken in die Spiele der damaligen Diplomatie kollidiert in diesem nie langweiligen Roman, der immer mit sehr durch die Erfahrungen eines Erzählers geprägt ist, der weiß, worüber er berichtet, mit einem Szenario, das sehr an Karl May erinnert. So wird der berühmte Autor, konkret in der Erzählung mit seiner Schrift „Von Bagdad nach Stambul“ nicht nur erwähnt, sondern irgendwann, zunächst kaum merklich, übernimmt der viele Generationen geprägt habende Erzähler selbst die Regie und aus einem Narrativ, das zunächst schien wie eine epische Re-Inszenierung des I. Weltkrieges mit dem Schwerpunkt auf dem durch die Deutschen ersonnenen Dschihads, wird langsam aber sicher eine Abenteuergeschichte aus dem Morgenland, in der vieles zwischen Realität und Träum verschwimmt.

Auch diesen Wandel in dem Romankonstrukt kann die vereinigte Leserschaft hinnehmen, wenn sie nicht der Illusion anhaftet, dass ein Roman bei den Fakten bleiben muss und nicht ins Spekulative abgleiten darf. Kopetzky schert sich darum nicht, ganz im Gegenteil, er setzt letztendlich auf die Hypothese, was hätte geschehen können, wenn der deutsche Dschihad erfolgreich gewesen wäre. Auch diese Frage ist durchaus berechtigt. Es ist ein lesenswerter, gut erzählter und geistreicher Roman. Aber es ist ein Roman.