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Alles ist verhandelbar?

Wenn eine Theorie das die Gesellschaft steuernde Milieu in den letzten Jahrzehnten beeinflusst hat, dann die des Kommunikativen Handelns. In ihrem Zusammenhang wird auch von dem Diskursmodell des Jürgen Habermas gesprochen, quasi als Referenz für den Autor eines voluminösen, zweibändigen Werkes. Und, wie es so ist bei komplexen, ausdifferenzierten und sich auf Meta-Ebenen bewegenden theoretischen Abhandlungen, im blauen Dunst der Alltagsroutinen bleiben zumeist ein, zwei griffige Sätze im Raum stehen. Und die reichen aus, um sich darüber zu verständigen, ob man die vermeintliche Quintessenz teilt oder nicht.

Der Satz, der nach dem Modell des Jürgen Habermas im Raum steht, ist der, dass alles verhandelbar ist. Ganz so platt hat es der durch und durch akademisch geprägte Mensch natürlich weder ausgeführt noch gemeint. Was er jedoch unterstellt, ist die Fähigkeit der Gesellschaft, in einem räsonablen, gewaltfreien Raum die essenziellen Fragen des Daseins diskutieren und reflektieren zu können, um, als Quintessenz, zu vernünftigen Lösungen kommen zu können. 

Was als Modell schön dasteht, ist von der rauen, dreckigen und eigensüchtigen Praxis gesellschaftlicher Realität allerdings weit entfernt. Wie sagte doch, gewähren Sie mir eine kurze Reminiszenz, mein damaliger Lehrer der Politologie so treffend, das mag für die Atmosphäre einer Hochschule Geltung haben, im wahren Leben sich widerstreitender Interessen und Konflikte ist es aber eine Illusion. Und nicht nur der gute Klaus von Beyme kam zu dieser Einsicht, auch ein Habermas hat sie mehrfach schmerzhaft erfahren können, unter anderem beim Prozess der deutschen Einigung, denn Diskurs über das Neue fand da gar nicht statt. Da wurde abgewickelt und angeschlossen. Punkt. Eingang in die Theorie fand diese nicht unbedeutende Episode allerdings nicht.

Aber was sollen diese Petitessen aus dem Anmerkungsapparat der Geschichte! Interessant wird bleiben, dass sich dieser verhängnisvolle, weil zum Signet des falschen Scheins gewordene Satz in die Hirne vieler eingebrannt und zu einem Stadium der politischen Dekadenz geführt hat, das nur noch auf das Finale wartet. Alle, die durch die heiligen Hallen der akademischen Bildung gewandelt sind, wurden mit dieser Theorie in der einen oder anderen Variante konfrontiert und ein guter Teil derer, die sich danach in das Metier der professionellen Politik begeben haben, sind davon beeinflusst.

Das Interessante wie Fatale dabei ist, dass die Handelnden mehr oder weniger ihr eigenes, akademisches, gewaltfreies Milieu mitbrachten und sich in diesem weiter unterhielten. Fatal deshalb, weil es mit der gesellschaftlichen Realität nichts zu tun hat. Die Folge ist ein Diskurs des politischen Systems über Dinge und Befindlichkeiten, der am harten Brot der gesellschaftlichen Existenz vorbeigeht. Und je schlimmer die Krisen, desto gravierender die Auswirkungen. Alles, was aus dem politischen System kommuniziert wird, erweckt beim staunenden Publikum mehr und mehr den Eindruck, als handelte es sich dort um Menschen, die in einer anderen Welt lebten. Und, machen wir uns nichts vor: genau so ist es.

Die Fiktion von der Möglichkeit, alles zu verhandeln, ist, aufgrund ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen Irrelevanz, kaum ein Mittel, um Formen von Herrschaft zu verschleiern, denn die Evidenz der unmittelbaren Erfahrung, das allgemeine Wissen darüber, wie die Dinge wirklich laufen, steht dem entgegen. Was das Mantra der Theorie des Kommunikativen Handelns jedoch bewirkt, ist die Entfremdung der Bevölkerung von der handelnden politischen Klasse. Da gibt es nichts mehr zu verhandeln! 

Die Atomisierung der Öffentlichkeit

Im Jahr 1962 wurde die Habilitationsschrift von Jürgen Habermas bei Luchterhand als Buch veröffentlicht. Unter dem Titel „Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft“ wurde die vorwiegend sozialwissenschaftliche Arbeit einer größeren Öffentlichkeit zugänglich, die folgenschwer sein sollte. Wie so oft in der Geschichte ist die Wahrnehmung und die Diskussion um diese Arbeit selbst ein virulentes Menetekel dessen, was erarbeitet wurde. Das Buch war publiziert und theoretisch jedermann zugänglich, gelesen und verstanden wurde es aber in einem sehr überschaubaren Kreis von Menschen. Das, was in diesem Frühwerk von Habermas bereits normativ angelegt war, nämlich ein gesellschaftlicher Diskurs über das, was für das Gemeinwesen vonnöten und politisch empfohlen sein sollte, konnte  von der demokratisch definierten Öffentlichkeit nicht vollzogen werden. Dafür fehlte Wissen und Bildung. Bis zu seinem Diskursmodell, das bis heute die Diskussion über die Demokratie prägt, sollte vieles aus seiner Feder unter dieser Insuffizienz leiden.

Doch von vorne. Habermas unternahm in seiner Arbeit vom Strukturwandel der Öffentlichkeit den Versuch, zu erklären, wie es historisch zu grundsätzlich unterschiedlichem Verständnis von Öffentlichkeit kommen konnte. Ausgehend von der griechischen Antike, in der Definition und Wahrnehmung von Staat und Gesellschaft zusammenfielen, rekonstruierte er den Weg bis in das kapitalistische Industriezeitalter. Der Holismus im Staatsverständnis mutierte von dem antiken Universalismus, in dem das Gemeinwohl der Bürgergesellschaft den zentralen Fokus bildete hin zu den europäischen Formen der Monarchie, in denen vor allem der Absolutismus durch das Gottesgnadentum die Vernunft und den mit ihr einhergehenden Diskurs aller Beteiligten verbannt wurden. Es entstand eine Repräsentanz von Wahrheit, die in das Jenseits verbannt war und und die Untertanen außen vor ließ. 

Erst mit dem Aufkommen des Bürgertums als einer Klasse von Gewerbetreibenden, die vor allem durch die Produktion von Waren zunehmend politisches Gewicht erlangten, kam der Wunsch eben dieser Klasse auf, an den politischen Geschicken teilzuhaben. Es begann mit der bis heute entscheidenden Frage nach dem Nutzen politischen Handelns. Dieses neue Bedürfnis einer zahlenmäßig wachsenden Schicht führte in der europäischen Neuzeit zu dem Gegensatz von Repräsentation und den von unten gespiegelten Interessen.

Mit dem Bürgertum und den von ihm durch die Produktion von Waren zunehmend befriedigten Bedürfnissen auch nicht durch die Macht präsentierten Schichten entstand ein Pressewesen, dass vor allem dem Bedürfnis des Bürgertums selbst zu begegnen suchte. Zeitungen entstanden, die über die Politik informierten und dazu genutzt wurden, in Caféhäusern, Salons und Leseclubs in einen Diskurs über den Sinn und die Wirkung der herrschenden Politik zu diskutieren. Der Diskurs war geboren, beschränkte sich jedoch auf den Kreis derer, die die Kulturtechniken beherrschten und über relevante Bildung verfügten. Im Grunde handelte es sich um eine individuell wie kollektiv geschulte Öffentlichkeit, nämlich eine literarische Öffentlichkeit, die den Anforderungen eines rationalitätsfunktionalen Diskurses genügte. Die Bedingungen dieses Diskurses waren 

Wahrheit (theoretische Vernunft) 

Richtigkeit (praktische Vernunft), sowie

Wahrhaftigkeit (Ästhetische Vernunft).   

Die bürgerliche Gesellschaft hatte ihrerseits den Repräsentationsanspruch des Absolutismus durchbrochen, blieb jedoch mit ihrem Anspruch auf die kulturell sublimierten Mitglieder der eigenen Klasse beschränkt. Zudem etablierte sich die Dichotomie von Öffentlichem und Privatem, einer Trennung, die es im antiken Vorbild nicht gegeben hatte und die als der geistige Tribut an die mit der bürgerlichen Gesellschaft einhergehenden Dominanz des Individuums in Betracht gezogen werden muss. 

Die Einschränkungen, die der Öffentlichkeitsbegriff der bürgerlichen Gesellschaft mit sich brachte, sind Im Strukturwandel der Öffentlichkeit durch Habermas benannt: Besonders durch das Tempo der Technologie und die Monopolisierung des Besitzes verursacht, bleibt ein Großteil des Publikums stumm. Werbung, Public Relations und die Kulturindustrie tragen zu einer fortschreitenden Atomisierung der Öffentlichkeit bei. Die Arbeit endet mit dem Postulat einer Re-Politisierung der Öffentlichkeit.

Die Quintessenz der Arbeit zeugt von historischer Weitsicht.

Die gesellschaftlichen Schäden der instrumentellen Vernunft

In der deutschen Philosophie ist sehr vieles reflektiert worden, aber nichts so spärlich wie ihr eigentliches Ende. Nietzsche war der letzte deutsche Philosoph, der in der Tradition des die klassische Deutsche Philosophie ablösenden Emanzipationsgedankens stand und diesen radikal weiter verfolgte, nämlich im Mikrokosmos des scheiternden Individuums. Den letzten Lichtschein, den Nietzsche mit Fortschreiten seiner Krankheit noch sah, war das Debakel, das Wagner daraus zu machen drohte und deshalb wandte er sich von ihm ab. Der Faschismus manifestierte das Ende der Geschichte deutschen Denkens und verfrachtete die Philosophie in die Konzentrationslager des Instrumentalismus, wo alles, was Selbstreflexion und Emanzipation zum Inhalt hatte, unter dem Gestank menschlichen Fleisches vernichtet wurde.

Mit Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und später Jürgen Habermas erfolgte die Anglisierung des Denkens in Deutschland, was als eine große Befreiung gesehen werden muss, aber auch zur Folge hatte, dass die Rezeption immer von einem großen Unverständnis getragen wurde. Als Horkheimer nach der Rückkehr aus dem amerikanischen Exil und einigen Jahren des Studiums der neuen deutschen Gesellschaft vor dem Gemeinschaftswerk mit Adorno, der Dialektik der Aufklärung, 1967 seinen großen Tusch mit der Kritik der instrumentellen Vernunft erfolgen ließ, verstand man hierzulande intellektuell, was er aussagen wollte, aber der Bruch war nicht aufzulösen. Die Ideologisierung der Mittel hielt sich, d.h. die Anwendung von Instrumenten zur geplanten Erzielung eines Zweckes blieb in der alten Verständnistradition hängen und führte zu einer philosophischen Bewertung der Instrumente. Genau davor jedoch hatte Horkheimer in seiner Schrift gewarnt, es als die Gefahr für die Freiheit schlechthin bezeichnet. Es bewahrte die Deutschen vor der Fähigkeit, Werte unabhängig von Instrumentarien zu diskutieren und trieb sie in die Falle, Instrumente wie Werte zu begreifen. Der Pragmatismus gegenüber den Instrumenten, wie er im anglophonen Sprachraum Usus ist, erlebt bis heute Deutschland als Bannmeile.

Stattdessen hat sich der Instrumentalismus, dieses Derivat der instrumentellen Vernunft, in Deutschland verfeinert und perfektioniert. Er dominiert jeden gesellschaftlichen Diskurs und verhindert das Vordringen zum Wesen bestimmter Fragen. Wenn es um die Umwelt geht, nimmt die Diskussion um den Dosenpfand mehr Raum ein als die Frage einer prinzipiellen Vorstellung des Umgangs mit Ressourcen, wenn es um Amokläufe an Schulen geht, ist die Diskussion um Waffengesetze und Videoüberwachung primordial, ohne dass die psychologischen und soziologischen Ursachen eine Chance auf Reflexion hätten, wenn es um Politik geht, wird exklusiv das Personal, aber nicht die Programmatik analysiert, wenn es um Führung geht, werden flächendeckende Zielsysteme installiert und nicht die grundlegenden Beziehungen geklärt und wenn es um die Volksgesundheit geht, dann diskutiert man nicht das Wissen und die Urteilskraft der Menschen, sondern die Kennzeichnungen auf der Lebensmittelverpackung. Der Instrumentalismus verhindert das Vordringen zum Wesen und die Schaffung von Grundlagen, die Lösungen von Problemen und Klärungen von Konflikten erfordern. Es handelt sich um ein Drama, das nicht nur ungeahnte Kosten verursacht, weil es keine Lösung gibt, sondern es dokumentiert auch, dass die Chance auf eine Zukunft verspielt wird.