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Fake News ohne Erröten

Angesichts des heutigen Jahrestages der russischen Invasion in die Ukraine und der auf allen Kanälen laufenden Berichterstattung befanden sich unter anderem historische Dokumente, die zum Nachdenken zwingen. Mir fielen Reportagen aus Formaten wie Monitor und Report auf, in denen vor acht Jahren auf das „Muskelspiel“ der NATO direkt an der russischen Grenze hingewiesen und gefragt wurde, ob diese Gebärden nicht als massive Provokation gewertet werden müssten und wie lange das noch gut, d.h. friedlich vonstatten gehen könne. Wir kennen die Antwort. Es ist nicht gut gegangen. Und es war geplant. Und wer heute etwas anderes erzählt, beteiligt sich an der Verbreitung der Unwahrheit. Diejenigen, die diesen Krieg provoziert haben, die ihn heute befeuern und die daran verdienen, werden sich irgendwann zu verantworten haben. Und, dazu bedarf es keiner elaborierten Prognostik, die Kritik und die Abrechnung wird von denen kommen, die den Preis vor allem für das Junktim von EU und NATO bezahlt haben: die Bevölkerung der Ukraine. 

Wer heute gerade mit dem Schicksal der Ukrainerinnen und Ukrainer argumentiert, wenn es um die Fortsetzung und Eskalation des Krieges geht, ist nicht nur zynisch, sondern gehört auch zu den Terroristen, die auf diese Art und Weise die politischen Konstrukte der EU-Staaten mit auf dem Gewissen haben. Eine im Kriegsmodus befindliche Kaste von Politikern, die den Crash mit inszeniert haben und dann in lautes Geschrei ausbrechen, dürfen sich nicht wundern, dass dieses Spiel bereits durchschaut ist und zu dem massiven Vertrauensverlust geführt hat, der sich in einer Wahl nach der anderen niederschlägt. Und solange die Agenten der Waffenindustrie, medial gehypt und gebrandet bis zum Erbrechen, keine offiziellen Gegenstimmen erhalten, wird der Prozess der Erosion weitergehen. Und, das nur zur Beruhigung aller, die sich die serienmäßig produzierten Fake News über das Kriegsgeschehen und seiner Bewertung nicht mehr anschauen und anhören wollen, sei eines zum Trost gesagt: die Stimmung kippt nicht nur hier, sondern auch in der Ukraine. Der Grad der Zerstörung und Auflösung ist derart fortgeschritten, dass staatliches Handeln ohne direkte fremde Unterstützung nicht mehr möglich ist.

Man muss keine subversiven Phantasien haben, wenn man sich die eingangs erwähnten Reportagen ansieht und sich fragt, wie es kommen kann, dass dasselbe Personal, das damals vor dem Zündeln von EU und NATO gewarnt hat, sich heute inbrünstig gegen die russischen Übeltäter stellt. Spannend wäre ja zu wissen, mit welchen Mitteln die Besagten zur Räson gebracht wurden? Reichten da Direktionsrechte aus? Wurden sie bestochen? Haben sie dem Druck nicht mehr standgehalten? Waren die Raten für das Eigenheim zu hoch? Fakt ist, dass schon sehr viel dazu gehört, in einem relativ kurzen historischen Zeitraum sich mit zwei entgegengesetzten Einschätzungen vor die Kameras zu stellen, ohne unter einer dauerhaften Errötung zu leiden. 

Wenn immer wieder von der deutschen Verantwortung geredet wird, ist damit die Beteiligung an imperialistischen Manövern gemeint. Zumindest von denen, die kontinuierlich den Schaden anrichten. Diese Schändung des Begriffes der Verantwortung muss revidiert werden. Sie müssen Verantwortung für das übernehmen, was sie bereits angerichtet haben. Für das Desaster in Afghanistan, für das Desaster in der Ukraine und – noch aktueller und unsäglicher – für das Desaster in Gaza. 

Von Welten, die auseinanderdriften

Es gab Zeiten, und die sind noch gar nicht solange her, da wurde von Parallelgesellschaften gesprochen. Gemeint waren damit Gemeinschaften von Immigranten, die so funktionierten, als lebten sie weiter in dem Land, aus dem sie gekommen waren. Quasi wie Inseln im hiesigen gesellschaftlichen Strom. Und Parallelgesellschaften, die es tatsächlich gab und gibt, wurden als ein Indiz für eine gescheiterte Integrationspolitik gewertet. Warum sowohl der Begriff als auch das damit beschriebene Problem in den Hintergrund getreten ist, lässt sich nur zum Teil beantworteten. Die wohl verbreitetste Antwort, die man erhielte, wenn man in die Runde fragt, wäre die, dass die großen Krisen, die sich seit dem Jahr 2008 die sprichwörtliche Klinke in die Hand gaben, vieles einfach überstrahlt und in den Hintergrund gedrängt haben.

Ganz sauber ist die Antwort natürlich nicht. Richtig ist, dass mit der Weltfinanzkrise aus dem Jahr 2008 die eigentliche Zeitenwende eingeleitet wurde. Die weltweite Dominanz des Dollars steht seitdem zur Disposition und solange das der Fall ist, wird sich noch einiges ereignen, was nicht ohne die Substantive Krise und Krieg auskommen wird. Aber, da wir uns im immer wieder kosmopolitisch gefühlten aber im tiefsten Innern provinziellen Deutschland befinden, sollte eine Aufreihung der Krisen, wie sie sich hier offenbarten, reichen: Weltfinanzkrise, erste Ukrainekrise, Flüchtlingskrise, Brexit, Covid, zweite Ukrainekrise. 

Das ist, um auch diese in der wundervollen deutschen Sprache möglichen Weise zu beschreiben, nicht von schlechten Eltern. Denn so aus dem Nichts kamen diese Ereignisse nicht. Sie waren das Ergebnis einer bewusst gewählten Politik. Die Weltfinanzkrise resultierte aus dem zugelassenen Hazardspiel an den Börsen, die erste wie die zweite Ukrainekrise ist das Ergebnis eines Junktims von EU- und NATO-Mitgliedschaft, die so genannte Flüchtlingskrise folgte den Kriegen in Syrien und Afghanistan, der Brexit war eine Folge der deutschen Reaktion auf die Flüchtlingskrise und bei Covid offenbarten sich die Auswirkungen der Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Selbstverständlich reichen die angeführten Gründe nicht exklusiv aus, um alles zu erklären. Nur eines steht fest: die Krisen brachen nicht herein wie von höheren Gewalten ausgelöst, sondern sie waren das Resultat eigener Politikgestaltung.

Dieser Sachverhalt ist, und das ist das Erstaunliche, von einem Großteil der Bevölkerung erkannt worden. Erstaunlich deshalb, weil die gesamte mediale Verarbeitung dieser Krisen einem großen Rühren im Topf der Mystifikation gleicht. Da werden alle möglichen Narrative angeboten, die alle eine Zutat beinhalten, nämlich eine große Variation von Feindbildern. Mal sind es die faulen und korrupten Griechen, mal die bösen Russen und ihr Präsident, dann die bescheuerten Engländer oder die Verschwörungstheoretiker jeglicher Couleur. Dass Politik für die Resultate politischen Handelns verantwortlich gemacht würde, diese banale Erkenntnis gehört zu den Todsünden, die begangen werden können. 

Im Vergleich zu dem Anfangs angeführten Begriff der Parallelgesellschaft ist das beschriebene Phänomen eine ganz andere, bedeutend gefährlichere Kategorie. Es handelt sich nämlich um Parallelwelten, die sich herausgebildet haben. Diejenige, in der die politische Klasse und die Medien leben, und die Welt, wie sie vom Rest der Gesellschaft erlebt wird. Dort sieht man den Konnex von Politik und gesellschaftlicher Lebenswelt. Nur, und das ist das Explosive, dass das Problem der Parallelgesellschaft als Petitesse erscheinen lässt, existiert keine Sprache mehr, mit der dieses Missverhältnis kommuniziert werden kann. Obwohl das Vokabular das gleiche ist. Und es sind Welten, die immer weiter auseinanderdriften. 

Vom bürokratischen Wahn heimgesuchte Sensenmänner

Als das Rauchverbot in Gaststätten in Europa eingeführt wurde und in Deutschland das entsprechende Gesetz konsequent umgesetzt wurde, besuchte ich einen Freund im französischen Lyon. Als wir abends in ein Restaurant gingen, war ich verblüfft, weil in dem Lokal geraucht wurde. Als ich meinen Freund darauf hinwies, dass das doch eigentlich gar nicht mehr sein dürfe, wies er mich darauf hin, dass mitten im Raum zwei Tische ausgewiesen waren, auf denen keine Aschenbecher zu sehen waren und sogar Schilder mit dem Rauchverbotszeichen standen. Für ihn, den Franzosen, war das völlig o.k. und dem Gesetz Genüge getan, für mich, den Deutschen, wirkte das eher wie eine Persiflage. 

Die Episode sagt sehr viel aus über die unterschiedlichen Sichtweisen und Befindlichkeiten in Europa. Jetzt, so kurz vor den neuerlichen Europawahlen, wird heftig darüber gestritten, ob die EU notwendig ist oder nicht, oder in welcher Form sie notwendig ist und was an ihr auf keinen Fall Bestand haben sollte. Das sind gute und wichtige Fragen und wer nur mit dem Slogan durch die Lande läuft, wir bräuchten „mehr davon“, hat schon lange nichts mehr verstanden. 

Es gibt viele Aspekte, die da zu beleuchten sind, zum Beispiel das immer wieder auftretende und alles andere als Frieden stiftende Junktim von EU und NATO, aber darum soll es hier nicht gehen. Was nahezu alle, mit denen ich ins Gespräch komme, monieren, ist der von der EU ausgehende Bürokratismus. Betrachtet man sich die Richtlinien und Verordnungen, die tatsächlich in Brüssel entstehen, so stellt sich tatsächlich die Frage, ob in Europa keine anderen Sorgen bestünden als Gurken oder Glühbirnen. Manche Dinge, wie die Vergabeordnung, sind, das muss zugestanden werden, aus dem Wunsch entstanden, die Korruption zu bekämpfen. Designed wird das alles übrigens immer von einer relativ kleinen Bürokratie, die da in Brüssel sitzt, die Stadt Berlin hat mehr Beschäftigte als die gesamte EU.

Doch neben den viel zitierten Gesetzen und Verordnungen existiert ein Faktor, der den meisten Kritikern entgeht und der dazu beigetragen hat, alles, was aus Brüssel kommt, gründlich zu diskreditieren. Und das ist die deutsche Art und Weise der Umsetzung. Genau betrachtet ist die bürokratische Exzessivität der deutschen Interpretation mit dafür verantwortlich, wie sehr die Idee einer wie auch immer gearteten europäischen Organisation diskreditiert ist. Wer daran zweifelt, dem seien die innerhalb deutscher Verwaltungen entstandenen Einheiten zur Umsetzung der Vergabeordnung zur näheren Betrachtung empfohlen. Dort sitzen vom bürokratischen Wahn heimgesuchte Sensenmänner, die jede noch so gute Idee an der Umsetzung verhindern, denn bevor irgend etwas losgehen kann, haben sie das Gift der Paralyse verspritzt und alle Beteiligten in den Zustand verlorener Zuversicht und gebrochener Motivation versetzt.

Und damit kommt eine Schlussfolgerung zur Geltung, die bei einer oberflächlichen Europakritik zunächst niemand im Sinn hat: Ein wie immer geartetes Europa kann nur dann funktionieren, wenn in Deutschland ein radikaler Bruch mit dem bürokratischen Sicherheitsdenken stattgefunden hat. Wie viele Scherze existieren darüber, dass in Deutschland keine Großprojekte mehr innerhalb eines definierten Zeit- und Geldrahmens gelingen? Es sind unzählige, und sie sind berechtigt, das hat aber mit der desolaten Befindlichkeit des eigenen Landes und seiner verkommenden Mentalität der Überregulierung und Risikoarmut zu tun. Gerechtigkeit muss sein. Der schwerfällige eigene Bürokratismus lähmt mehr als vieles, das in Brüssel entsteht.