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Die inspirative Grenze der Vergangenheit

Bill Frisell. Big Sur

Der 1951 in Baltimore, Maryland, geborene Gitarrist Bill Frisell wird in der Regel als dem Jazz zugehöriger Musiker bezeichnet und zumeist und nicht zu Unrecht in einem Atemzug mit John Scofield und Pat Metheny genannt. Mit letzterem studierte er zusammen, gelernt hat er vor allen Dingen bei Jim Hall. Während Metheny und Scofield als reine Jazzmusiker klassifiziert werden, fällt die Eindeutigkeit bei Frisell eher schwer. Neben seinen Arrangements, die dem Jazz zugerechnet werden können, machte er ebenso erfolgreiche wie intensive Exkursionen in die Pop-wie Filmmusik. Mit seinem neuen Album Big Sur, einer Hommage an Kalifornien, begibt er sich auf ein neues Feld, das in den Werbetexten als eine Jazzproduktion bezeichnet wird. So eindeutig wie angegeben ist die Geschichte jedoch nicht.

Allein das Line-up dokumentiert ein sehr ungewöhnliches Arrangement. Neben Bill Frisell an der Gitarre warten Eyvind Kang, viola, Hank Roberts, cello, Jenny Scheinman, violin und Rudy Royston, drums, auf. Das Album wurde exklusiv auf der Glen Deven Ranch in Big Sur, Kalifornien, komponiert und eingespielt und im Herbst auf dem Monterey Jazz Festival im Spätsommer 2012 uraufgeführt. Auf insgesamt 19 Stücken dokumentiert die Formation eine Herangehensweise, auf die man sich erst einmal einlassen muss. Eine spontane und sichere Klassifizierung ist nicht möglich, mischen sich doch immer wieder Jazz-Elemente, die durch die Interpretation von Instrumenten der klassischen Musik verfremdet wirken mit eindeutigen Entlehnungen aus der Country-Musik und so manchen Stellen, die mehr an klassische Kammermusik als alles andere erinnern.

Das Intro, Music of Glen Deven Ranch, wirkt wie eine Untermalung für die Verfilmung des Landlebens aus dem 19. Jahrhundert, Going to California dagegen ist in der Lage, die Ambigiutät dieses letzten US-Staates vor dem pazifischen Ozean deutlich zu machen, der durch seinen Zauber in der Lage ist zu berauschen, andererseits aber auch den Traum von der Unbegrenztheit des Zuges Richtung Westen zerstört. Highway 1, vom Rhythmus Rudy Roystons in einer sehr offenen Dynamik hinterlegt, inspiriert zu den Gedanken über die Unendlichkeit der Mobilität. We All Love Neil Young wiederum ist in einer so unverfänglichen Weise eine Country-Einspielung, dass man sich fragt, ob die vollkommen unkritische Übernahme einer derartigen Romanze ernst gemeint oder ein zynischer Hinweis ist. Big Sur, der Titel-Song, wirkt exklusiv psychedelisch, Walking Stick (for Jim Cox) macht endgültig deutlich, dass die musikalische Reise dieses Albums einer romantischen Episode der Vergangenheit gilt. Und Far Away, das letzte Stück, gibt wiederum Hinweise darauf, dass das Leben in der Post-Moderne um Lichtjahre von dem Projekt Big Sur entfernt liegt.

In Zeiten, in denen wieder einmal vom Ende des Jazz geredet und geschrieben wird, ist es nicht verwunderlich, dass Protagonisten des Genres sich in anderen Epochen Inspiration zu holen bereit sind. Das vorliegende Projekt Bill Frisells mag als eine solche Veranstaltung gelten. Von der Qualität der Akteure ist es ohne Zweifel über alles erhaben. Von dem inspirativen Gehalt scheinen die Versuche in eine Sackgasse zu führen. Melodisch wie thematisch handelt es sich um eine Verklärung des Bundesstaates Kalifornien, in einer Art, wie es ihn schon lange nicht mehr gibt. Refugien haben ihre Grenzen, doch die Freiheit des Experiments sei jedem zugestanden.

Das Unspektakuläre der Perfektion

John Scofield. A Moment´s Peace

Der Gitarrist John Scofield ist Referenz an sich. Ihn, der nunmehr kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag steht, damit zu schmücken, mit welchen Größen des Jazz er bereits in jungen Jahren gespielt hat, hieße, seine eigenen Verdienste in den Schatten zu stellen. Ein Musiker, der technisch seinen Stil entwickelt hat und diesen exzellent beherrscht und der den Zugang zu auch bekannten Kompositionen so interpretiert, dass seine eigene Note das Stück erschließt, ohne dessen Kern zu zerstören, zählt zweifelsohne zu den Großen seines Faches. Mit seiner neuen CD, A Moment´s Peace, hat er sich das herausgenommen, was ihm zusteht: Er hat Bilanz gezogen in einem Moment der Besinnung und hat dieses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Auf insgesamt 12 Stücken passieren verschiedene Phasen der musikalischen Entwicklung Scofields Revue, ohne das Unfertige eines Entstehungsprozesses noch zu beinhalten. Technisch sauber und brillant geht er durch die Welten, ohne die Dynamik des Fehlerhaften noch aushalten zu müssen. In den ersten drei Stücken, Simply Put, I Will und Lawns greift Scofield auf seine frühe Phase der Jazzinterpretationen zurück, nur glatter und mit weniger Emphase, als er das historisch gemacht hat. Mit Throw It Away dokumentiert er den Bruch mit seiner eigenen, konventionellen Interpretation und die Genese seines eigenen Stils, der getragen wird durch modal-melodiöse Phrasierungen, die das Kontemplative in den Vordergrund stellen. I Want To Talk About You wirkt demzufolge wie die Stabilisierung dieser neu gewonnenen Dimension, aus der Scofield sich nicht mehr herausbewegt hat. Dieses kann man kritisieren, aber es ist immer wieder die gleiche Paradoxie: Wird der Musiker honoriert für seine Offenheit allem Neuen gegenüber oder schränkt sich seine Anhängerschaft auf das Gewohnte ein und straft ihn ab, wenn er gewillt ist, neue Dimensionen zu erschließen?

Auf A Moment´s Peace bleibt John Scofield bei seinen eigenen Entscheidungen. Mit Gee Baby Ain´t Good To You, You Don´t Know What Love Is und Porgy I Loves You greift er auf in Stein gemeißelte Klassiker zurück, die er in einer sehr inspirierenden, aber in keiner revolutionären Weise interpretiert. Wobei der Blues des erstgenannten Stückes kristalliner nicht zum Ausdruck kommen kann. Ob allerdings dadurch nicht die Leidensgeschichte des Blues verloren geht, sei dahingestellt.

A Moment´s Peace ist eine Referenz an die eigene Entwicklungsgeschichte. Die Interpretationen sind und bleiben brillant, sie verdeutlichen die Sprünge von der Akklimatisierung an den Jazz, den Weg zu den modalen Interpretationslinien und die nun wohl sich abzeichnende Affinität zu den reinen Formen des Genres. Das ist das Werk meisterlichen Könnens, aber keine revolutionäre, innovative Intervention. Wer diese erwartet, wird enttäuscht, wer John Scofield, so wie er ihn kennen gelernt hat, im Stadium der Reife genießen möchte, der kann das ausgiebig tun. Ein exzellenter Scofield ohne Verweise auf die Zukunft!