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Die höchste Form des urbanen Blues

Thelonious Monk. Solo (1954 – 1961)

Er war der Outcast schlechthin. Und dabei ist seine Biographie schon wieder stereotyp für einen Afroamerikaner, der es im Jazz zu etwas gebracht hat. Geboren und die ersten Jahre verbracht in North Carolina, dann die Übersiedlung in den New Yorker Stadtteil Harlem, Mekka des Jazz, der Vater geht stiften, der Sohn wächst bei der Mutter auf. Sie bringt ihn zum Klavier und dort beginnt, stimuliert von Kirchenchören und House Rent Parties, die Genese des revolutionärsten Jazz des XX. Jahrhunderts.

Thelonious Monk, dessen Schaffen nun in der reinsten verfügbaren Form unter dem Titel Thelonious Monk. Solo (1954 – 1961) vorliegt, gilt neben Charlie Parker und Dizzy Gillespie als Mitbegründer des Bebop, jenes Genres, das alles aus den Angeln hob, was die binäre Musik bis dato zu bieten hatte. Obwohl Monk zu Recht zu den Vätern des Bebop gezählt wird, was die Konstruktion seiner Stücke wie die Infantilität seiner Melodielinien hinreichend dokumentieren, wird er kaum damit assoziiert. Monk hatte die Größe, sich nicht darum zu scheren, was die anderen von ihm dachten. Er schwamm immer gegen den Strom, selbst gegen den, der ihn selber trieb. Ihm fehlt das Herzrasen des Bebop-Mainstreams, aber er illustriert seine Konstruktionsprinzipien wie kein anderer.

Monk Solo umfasst vieles von dem, was Monk komponiert hat. Und nahezu alles, was er komponiert hat, wurde zum Jazz-Standard. Die Interpretation seiner eigenen Stücke auf diesem Album verdeutlicht die Genialität dieses bipolaren Musikers. Die wohl bekannten Stücke bekommt die Hörerschaft präsentiert in ihrem konstruktiven Aufbau, in ihrem Standardarrangement und in mehreren eigenwilligen Interpretationen. Gerade diese Art, die Stücke zu spielen, ohne Orchestrierung, ohne rhythmische Fremdakzentuierung und ohne melodischen Ornamente, zeigt das kühl kalkulierende, das verfremdende und das aufbrausende Temperament Thelonious Sphere Monks.

Die biographischen Daten, die auf der einen Seite so wichtige Zugänge schaffen, um das handelnde Subjekt zu verstehen, treten in dieser Werkschau wieder in den Hintergrund. Ob Alkohol oder Benzedrine, ob bipolare Störung oder sanfter Soziopath, alles, was diesen Outcast in seiner sozialen Existenz zu beschreiben hilft, tritt bei Monk Solo zurück.

Hier tut sich etwas auf, das die Jazzgeschichte selten zu bieten hat. Hier ist die Hörerschaft mit dem Komponisten im Werkstudio, jenseits der Brände und Polizeisirenen der Insel Manhattan, jenseits des Zeitgeistes, jenseits der Gravitationskräfte des Alltags und wird Zeuge, wie die wohl urbanste Form des Blues entwickelt wurde. Es ist keine Geheimformel, aber eine extrem eigenwillige Perspektive, mit der Monk die wohl bekannten Schemata zitiert, verfremdet und moduliert wieder beschleunigt. Wenn das Gewohnheitsohr die Beschleunigung erwartet, dann nimmt er das Tempo heraus, wenn eine Akkordfolge logisch erscheint, folgt eine Dissonanz und wenn das Verharren erwartet wird, dann nimmt dieser Genius wieder Fahrt auf, voller Verachtung.

Wer die Muße hat und es aushält, der sollte sich Monk Solo zu Gemüte führen. Nicht einmal, nicht zehnmal, sondern für den Rest des Lebens. Die existenziellen Etüden, die von Thelonius Monk zu hören sind, sind Anfang, Höhepunkt und Ende eines Genres zugleich. Und dem Superlativ folgt bekanntlich die Tristesse. Aber ist das nicht auch das Wesen dessen, was als Blues beschrieben wird?

Innovation auf Basis der Tradition

Jazz Ensemble Baden-Württemberg. The Doors Without Words

Wie oft mündet das Covern von großen Pop- oder Rocktiteln durch Jazz-Ensembles in einer grandiosen Enttäuschung. Zumeist basieren solche Einspielungen auf dem Kalkül, durch eine Form der Verseichtung noch einmal Kasse zu machen. Was dabei herauskommt ist nicht selten die Herausfilterung der Authentizität, die zu Kaufhaus- oder Fahrstuhlmusik führt. Umso mutiger ist es, sich ausgerechnet an die großen Titel der Doors zu machen. Stand diese Band in ihrer Zeit mit dem Frontmann Jim Morrison doch für das épater-le-bourgeois in der Tradition Charles Baudelaires und Arthur Rimbauds, für den Affront gegen den Mainstream und alle Illusionen von einer unbeschwerten, seichten Welt. Vielmehr waren The Doors ein Fanal für den Untergang, die Desillusionierung und die Herrschaft des Bösen. Das Jazz Ensemble Baden-Württemberg, welches sich aus mittlerweile durchaus etablierten, aber noch jungen Jazzmusikern zusammensetzt, hat dieses Wagnis unternommen. Was dabei herauskam hat allen Gefahren getrotzt und kann als ein famoses Beispiel dafür gelten, wie Rockgeschichte durch den Jazz im Forum der Weltmusik neuen Bestand erhält.

Insgesamt acht Musiker, von Thomas Siffling bis Jo Ambros haben insgesamt neun Doors-Titel eingespielt und ihre Essenz zum Tragen gebracht. Der Vorteil, den die Jazz-Improvisation mit sich bringt, ist dabei voll zur Geltung gekommen. Das Melodie-Thema, welches natürlich nicht fehlen darf, um die Kernaussage zu unterstreichen, ist sehr reduktionistisch eingebracht worden, um dem interpretativen Teil mehr Raum zu geben.

Ob es ein grandioses Solo des Baritonsaxophonisten Sebastian Nagler bei Light My Fire ist, das die ganze Willenskraft und Dynamik materialisiert, oder die eher sphärische Interpretation bei Blue Sunday durch das Tenor Peter Lehels, die funkigen Gitarrenriffs Jo Ambros´ bei Break On Through, die Verfremdungen an der Hammond Orgel durch Johannes Bartmes, flankiert durch die unheilvoll klingende Posaune Uli Rosers bei Riders On The Storm, die mysteriöse Melodieführung des Baritons bei The Spy, die immer wieder von Thomas Sifflings Trompete zur Ordnung gerufen wird, die vom ganzen Ensemble eingespielte und von Sopransaxophon gelöste Atmosphärik, es handelt sich immer um ein Spiel zwischen Bekanntem und Ungewissem, was als ein Wesensmerkmal alle Originale ausmacht. Die Essenz der Doors-Titel besteht gerade in dieser Führung zwischen Vertrautem und Unbekanntem, zwischen der euphorisierenden Stimmigkeit des Daseins und seines desaströsen Schattens.

The End, auf dieser CD folgerichtig das letzte Stück, beginnt mit einem kakophonischen Tusch und nähert sich dann der Melodie durch eine Bedachtsamkeit, die nur durch das Thema des existenziellen Endes zu erklären ist. Das ist große Kunst und produziert alles, nur kein Easy Listening. Das Covern der Doors durch ein Jazz Ensemble ist zu einer Reise geworden, die dem Original würdig ist. Wer das im Fahrstuhl hören würde, wünschte sich ein schnelles Ende des Transports. Wer sich einen neuen Kompass zum Verständnis dieser großartigen Musik erschließen möchte, der hat ihn gefunden. In den Nischen sind nicht nur die Werkstätten der Innovation zu finden, sondern auch die Qualitätssicherung großer Tradition. Doors Without Words ist so ein Nischenprodukt, das mit beidem brillieren kann.

Die Sklavenroute gehört zum Jazz wie die Blue Notes

Marcus Miller. Afrodeezia

Manchmal ist auch die Reaktion auf ein neues Album der Schlüssel zu Dechiffrierung dessen, worum es geht. Das hört sich schräg an, lässt sich aber anhand der neuen CD von Marcus Miller, Afrodeezia, sehr gut illustrieren. Marcus Miller selbst steht für seine Pionierarbeit im Bass getriebenen Jazz, er steht für atemberaubende Kooperationen und er steht für die Orientierungssuche im zeitgenössischen Jazz. Insofern könnte man ihn als Kronzeugen für alles, womit der Jazz zu kämpfen hat, mit heranziehen. Mit seiner letzten CD, Renaissance, hat sich der Amerikaner zu den immer noch vitalen Wurzeln bekannt. Nun, mit Afrodeezia, greift er auf einen Gründungsmythos des Jazz selbst zurück.

Seit seiner Reise in den Senegal und der Besichtigung der Verschleppungs- wie Verschiffungsrouten für Sklaven lässt ihn der Gedanke an die Geschichte der heutigen Afro-Amerikaner nicht mehr los, Miller ist mittlerweile auch im Auftrag der UNO unterwegs. Mit Afrodeezia hat er sich dieser Thematik exklusiv gewidmet. Was dabei herauskam ist im positiven Sinne ein Konzeptalbum mit insgesamt 11 Titeln, die sich der Sklavengeschichte in Afrika widmen. Die musikalische Gestaltung der Themen wird mit dem Einsatz afrikanischer Instrumente und einer sehr variationsreichen Percussion unterstrichen. Exakt bei der Hälfte der Stücke aktiviert Miller mit Papa Was A Rolling Stone den aktuellen Bezug zum heutigen Nordamerika, das Zurückreichen der Reise nicht vom Mississippi-Delta nach Chicago, sondern bereits vom Senegal in den Hafen von Baltimore. Das ist historisch nicht nur authentisch, sondern musikalisch mittlerweile rekonstruierbar.

Dass bei der tonalen Gestaltung in diese historische Reise immer wieder Fragmente eines weltmusikalischen Konzeptes auftauchen, liegt in der Natur der Sache und dass der mit der Modernität kämpfende, urbane Jazz davon keinen Innovationsimpuls erhält, ist logisch. Die Kritik bezieht sich nämlich genau auf diese Kernpunkte. Mangelnde Innovation und zu viel Weltmusik. Dass, analog zu Renaissance, wo Blues und Improvisation eine entscheidende Rolle spielten, nun Marcus Miller mit der historischen Politisierung seiner Träger die sozialgeschichtliche Dimension des Genres in der Vordergrund rückt, dokumentiert, dass dieser außergewöhnliche Bassist nicht durch seine musikalische Welt irrt. Ganz im Gegenteil: Miller arbeitet seit einiger Zeit die Wesensmerkmale des Jazz noch einmal heraus, um deutlich zu machen, worauf es auch bei einer Weiterentwicklung ankommt. 

Mit Hylife, B´s River Preacher´s Kid und We Were There wird die historische Dimension thematisiert, besonders mit Stücken wie Son Of Macbeth, Prism und Xtraordinary werden die eher zeitgenössischen Aspekte dieses Humantransfers behandelt, der Welt der Täter wie der Opfer, deren Trennlinien zunehmend verschwinden. Zusammen mit einer hervorragenden Band und nicht weniger bedeutenden Gästen wie Ambrose Akinmusire, Robert Glasper, Chuck D, Keb’ Mo’, Lalah Hathawa ist so ein Album entstanden, dass aus dem Rahmen fällt und ihn dennoch herstellt. 

Die Sklavenroute gehört zum Jazz wie die Blue Notes. Marcus Miller hat sich ein Herz genommen, um auf diesen essenziellen Sachverhalt hinzuweisen. In Zeiten zunehmend unpolitischer Diskurse in und um die Musik kann diese Geste nicht hoch genug eingeschätzt werden. Und musikalisch, musikalisch rangiert Afrodeezia sicherlich in Höhen, in die monothematische Modernitätsfanatiker erst noch aufsteigen müssen. Manchmal ist die Geschichte revolutionärer als das Hier und Jetzt.