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Eskalation als Ultima Ratio

Seien wir einmal ehrlich: mit den Auserwählten, das wird nichts mehr. Das auserwählte Volk wurde erst getrieben und hat dann das Antlitz der Treiber erworben. Die auserwählte Rasse hat die Peitsche geschwungen und sich dann, nachdem sie es hat besorgt bekommen, servil unter dem Teppich verkrochen. Und das Auserwählte Land hat die Dominanz und deren Last nicht einmal über drei Jahrzehnte zu tragen vermocht und ist dann mächtig ins Schlingern geraten. Eine Reflexion über das Attribut der Auserwähltheit hat diese Bilanz nicht zur Folge gehabt. Ganz im Gegenteil. In allen drei Regionen, in denen einst die Macht zu glänzen vermochte, herrscht exklusiv die Nostalgie der entfesselten Gewalt. Die Eskalation gilt nach wie vor als Ultima Ratio.

Was beeindruckt, ist, dass es im Binnenverhältnis der betroffenen Gesellschaften mittlerweile gehörige Risse gibt. Der jeweiligen Bevölkerung geht der Militarismus und das Dominanzgehabe gegen den Strich. Allerdings schon soweit, als dass die herrschenden Eliten mittlerweile dazu bereit sind, die Flucht nach vorne anzutreten und gewaltig an der Eskalationsspirale zu drehen. Die klassischen Mittel der Opposition in den besagten Ländern sind porös, so dass sich ein Widerstand in den gewohnten Formen nicht bemerkbar macht. Und vieles spricht dafür, dass eventuell neue Formen nicht mehr die Zeit haben, sich zu etablieren.

Der Rest der Welt, der sich in dem Gefühl der Missachtung durch das Ensemble der Auserwählten bestens auskennt, ist jedoch in einer nie da gewesenen Art gegen die Hybris eines enthemmten Israels, der ins Wanken geratenen USA oder auch eines kriegsbesoffenen Deutschlands/EU gewappnet: Finanziell, ökonomisch, in Bezug auf die verfügbaren Ressourcen, diplomatisch und auch militärisch. Glaube niemand,  die eigene Chuzpe wäre nie in der Lage, die asiatischen Giganten zu reizen. Und glaube niemand, es handele sich bei einer weiteren Eskalation um ein auf einem anderen Kontinent stattfindendes Telespiel.

Trump hat sich nicht dem militärisch-industriellen Komplex entgegenstellen können. Die israelische Demokratie hat es nicht vermocht, die Regierung eines Kriegsverbrechers zu verhindern und Deutschland übt sich in der tragischen Komödie. Soviel ist geblieben, von den Auserwählten. Mit dem Eintritt der USA in den Krieg gegen den Iran wurde das Päckchen mit der letzten Notration, die noch etwas Zeit geliefert hätte, um sich in einer emanzipierten Welt neu zu sortieren, hirnlos über den Zaun geworfen. Jetzt gilt die Eskalation mehr denn je als Ultima Ratio.

Nicht, dass Diktaturen wie die im Iran zu beschönigen wären! Einmal abgesehen von den jeweiligen Vorgeschichten, die immer wieder dechiffrieren, dass es kaum eine militante Terrorgruppe in der Welt gibt, an deren Entstehung der westliche Imperialismus in der einen oder anderen Form nicht beteiligt war. Aber was ist mit dem Modell der Demokratie los, dass derartige Gestalten und Vorstellungen von Politik wie den momentan erlebten hervorruft? Der Anspruch auf Überlegenheit erscheint unter diesem Aspekt vor allem dem Blick von außen als böser Witz.

Vieles hätte gut getan. Tabula rasa im eigenen Haus. Und der Austausch von Perspektiven mit den gewaltig daher kommenden neuen Kräften auf dem Globus. Irgendwie passt das Bild, dass die Auserwählten allesamt lange Zeit im abgeranzten Wohnzimmer saßen und bei schwerem Likör von alten Zeiten schwärmten. Und klingeln einmal Boten aus der neuen Zeit an der Tür, dann lässt die Bagage die Bluthunde aus dem Keller und denkt, damit sei es getan.  

Eskalation als Ultima Ratio

Zum Finale: Flaschenpost in der Spree

Die Verstörung ist groß. Auch unter jenen, die Noch-Präsident Obama stets ein gutes Zeugnis ausgestellt hatten. Groß waren seine Pläne gewesen, als er vor acht Jahren mit einer fulminanten Unterstützung ins Weiße Haus gewählt wurde. Die Herausforderungen waren nicht von schlechten Eltern: Da lag ein Land nach dem Finanzdebakel ziemlich in Trümmern, die Immobilienblase war geplatzt, die Arbeitslosenquote schoss in die Höhe, massenweise wurden Menschen aus Häusern vertrieben, deren Hypotheken sie nicht mehr bedienen konnten, das Land hatte, was die Ökologie anbetraf, wichtige Jahre verschlafen, die Gesundheitsversorgung war mehr denn je ein Privileg für die reicheren Amerikaner, und die USA waren als Weltpolizist an ihre Grenzen gestossen. Obama wollte das alles ändern. Gelungen ist ihm einiges. Doch er ist auch grandios gescheitert. Nun, eher Tage als Wochen vor seiner Abdankung, scheint ihn ein Trauma zu Taten zu treiben, die sein Land beschädigen, aber nichts an seinen Optionen ändern werden.

Ja, die Gesundheitsreform war ein Jahrhundertwerk, ja, die Durchbrechung des Monopols der Ostküstendynastien in den höchsten Ämtern des Staates war ein beachtlicher, mit zahlreichen Opfern errungener Erfolg. Die Neudefinition der Weltmacht Nr. 1 jedoch ist nicht zustande gekommen. Zwar haben sich die USA vor allem militärisch aus einigen Konflikten herausgehalten, dafür jedoch auf eine Karte gesetzt, die verheerende Folgen mit sich brachte. Die militärische, ja terroristische Verfolgung der eigenen Interessen durch Drohneneinsätze und die Unterstützung von kriminellen Schergen wie im Falle Syriens haben die USA zwar keine eigene Soldaten, aber in hohem Maße Einfluß gekostet. Das Desaster par excellence spielte sich in den letzten Tagen des Kampfes um Aleppo ab. Die USA mussten mitansehen, wie die eigenen Terrorzöglinge in die Enge getrieben und ausgetrocknet wurden. Da nützte auch kein moralischer Shitstorm in den Vereinten Nationen etwas. Der Meister der Rhetorik hatte sich militärstrategisch böse verspekuliert.

Was bleibt, die Frage, die immer dann gestellt wird, wenn eine Periode sich dem Ende neigt, ist ein fader Geschmack bei allen, die von der Größe träumen, aber nicht den ungeheuren Preis zahlen wollen, den diese erfordert. Wie tief muss ein Welthegemon gesunken sein, wenn er noch einmal nach Berlin reist und Angela Merkel sein Testament verstohlen in die Hände drückt. Deutschland, ausgerechnet Deutschland, soll im Geiste des freien Westens den Ballermann aus ihrem Jacket ziehen und dem Russen unter die Nase halten. Der Aufmarsch an Russlands Grenzen war auch so eine Eskapade, die nicht zu Ende gedacht wurde. Wer, wenn nicht die USA, sollte die verspottete Kontinentalmacht in die Knie zwingen? Da mussten schon große Schwärmer ins Spiel kommen, die sich eine solche Rolle zuweisen ließen. Merkel, von der Leyen und Gauck als Kampfansagen an den neuen Zaren im Kreml? Wie möchten sie sich sehen, später einmal, im Museum der deutschen Geschichte? Vieles spricht für die berühmten Fußnoten.

Obama selbst reiste, nachdem er seine bedeutsame Flaschenpost in die Spree geworfen hatte, zurück nach Hause und ließ noch einmal die Sau raus. Israel offen zu attackieren hinterlässt dort böse Spuren, egal was der Nachfolger auch machen wird und russische Diplomaten auszuweisen ist ein Fakt, dem sich Trump nur schwer wird postum widersetzen können. Doch auch das wird als leidliche Regelverletzung in einer Fußnote enden. Alles verändern zu wollen und zänkisch zu enden, das ist ein schweres Los.

Exterritoriale Revue 0

Jeremy Corbyn, ein bis dato eher unauffälliger Politiker bei British Labour, spaltet die Partei aufs heftigste. Den einen gilt er als Hoffnungsträger, den anderen als die Inkarnation längst überlebter Zeiten. Corbyn selbst vertritt tatsächlich eher klassische Positionen der Arbeiterbewegung: Stärkung nationaler Industrien, eine konservative Energiepolitik, stärkere Besteuerung der Reichen und bessere Löhne für die Beschäftigten in der verarbeitenden Industrie. Der Zuspruch innerhalb Labours ist immens. Tony Blair, Her Majesty of New Labour, hingegen ist entsetzt und giftet böse. Der Versuch, GB zurück in eine Zeit zu versetzen, in der nicht Londons Financial District die Politik des Landes bestimmt, erhitzt gewaltig die Gemüter.

Im Monat August noch wurde der Opfer von Hiroshima und Nagasaki gedacht. Immer noch sitzt das Leid tief und ist die Trauer groß über die abscheulichste Attacke auf ein zivilisatorisches Ballungsgebiet durch den Abwurf zweier amerikanischer Atomraketen im Jahr 1945. Quasi gleichzeitig hat die Partei des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe dem Parlament einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Regierung autorisiert, im Bedarfsfall militärisch exterritorial einzugreifen. Bis dato ist das nicht möglich. Seit der Niederlage im II. Weltkrieg hat das Land eine konsequente und strikte Position der Landesverteidigung vertreten. Angesichts umstrittener Territorialansprüche mit Russland und China kann die Initiative der Regierung auch als Drohung verstanden werden. Massenproteste in Japan sind die Folge. Hunderttausende gingen in Tokio und anderswo auf die Straße.

Ungarn entpuppt sich als das Safe House für radikalstaatliche Ideen zur Sicherung tradierter Verhältnisse. Das EU-Mitglied profiliert sich durch die Regierung Orban nicht als das gemeinsame Haus Europas, von dem die Gründer der EU noch schwärmten. Zunächst wurden Sinti und Roma durch diskriminierende Gesetze weiterhin marginalisiert, dann sollten die nationalen Freimaurerverbände ihre Mitgliederlisten der Regierung übergeben, was diese nicht taten, und nun wird ein Zaun, eine Mauer gebaut, um Flüchtlinge von außen fern zu halten. Deutschland, selbst traumatisiert durch die Existenz einer Mauer über nahezu drei Jahrzehnte, schweigt.

Im Jemen tobt weiter der Krieg. Nach Berichten, die in unseren Sphären kursieren, geht es bei dem Kampf um die Dominanz zwischen Sunniten und Schiiten. Sieht man sich die Strongholds der beiden muslimischen Richtungen an, dann geht es vor allem um die Konkurrenz zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Die im Jemen operierenden Huthi-Rebellen sind Schiiten und werden daher konsequent von saudi-arabischen Streitkräften bombardiert. Der Konflikt innerhalb der islamischen Welt um Vorherrschaft wird im Westen selten thematisiert und analysiert. Die Reduktion des Konfliktes auf Israel und den Iran erklärt vieles andere nicht. Das Morgenland bleibt vielen westlichen Politikern ein Mysterium.

Der Zeitpunkt des offiziellen Abzugs deutscher Truppen aus Afghanistan rückt näher. Das Land wird sich auch danach, unabhängig von der weiteren Form westlicher Militärpräsenz, mit den alten, tradierten Interessen auseinanderzusetzen haben. Warlords und Nomaden dominieren ein wildes Land, in dem es immer um Mohn und Waffen ging. Imperiale Mächte gingen immer leer aus, weil eine militärische Überlegenheit am Boden nie gewährleistet werden konnte. Der Interessenkonflikt um den Heroin-Rohstoff wird bleiben, der über den Zugriff auf im Land vorhandene seltene Erden ist hinzugekommen. Vieles spricht dafür, dass auch die Zukunft des Landes unruhig und gewaltsam sein wird. Und vieles spricht dafür, dass die finanziellen und militärischen Mittel, zu denen im Westen gegriffen wird, um im Spiel zu bleiben, bald nicht mehr mit dem Recht der Mädchen auf Schulbesuch erklärt werden können.