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Botschaft ohne Hoffnung

Irmgard Keun. Nach Mitternacht

Noch so eine Biographie, die angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen auf der Welt wie ein Déja-vu erscheint. Geboren 1905 in Berlin, in den frühen dreißiger Jahren vor allem mit den Romanen Gilgi – eine von uns (1931) und Das kunstseidene Mädchen (1933) bekannt geworden, ist sie bereits 1933, quasi mit ihrem Bekanntwerden als Schriftstellerin, bei den Bücherverbrennungen mit ihren Titeln dabei. Sie landet auf der Liste der Autoren, die in Deutschland nicht mehr veröffentlicht werden. 1935 verlässt sie das Land und landet zuerst im belgischen Ostende, wo sie Joseph Roth kennenlernt, mit dem sie in den nächsten Jahren zusammenlebt. Nach der Trennung und dessen Tod in Paris im Jahr 1940 geht sie unter falscher Identität zurück nach Deutschland, wo sie unerkannt Nazis und Krieg überlebt. Ihre Identität als erfolgreiche Schriftstellerin konnte sie nie wieder herstellen, Irmgard Keun starb 1982.

Der Roman Nach Mitternacht befasst sich mit der frühen Phase der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland. Irmgard Keun wählt die Erlebnisse und Erfahrungen eines Mädchens aus der Provinz, das zunächst nach Köln kommt und von dort weiter nach Frankfurt zieht. Es ist eine Geschichte, wie sie immer wieder vorkommt und die an kein politisches System gebunden ist. Der Weggang von einem Dasein mit wenigen Perspektiven in der Provinz, die Suche nach guter Arbeit und der großen Liebe in der großen Stadt. Das verständliche und weltweite Phänomen wird von Irmgard Keen sehr gekonnt geschildert in einer den Umständen geschilderten naiven Erzählweise. Damit eröffnet sie genau die Perspektive, die erforderlich ist, um die zweite, versteckte, politische Dimension des Themas zu dechiffrieren.

Beschrieben wird nämlich das neue politische Prinzip, das in diesem historisch frühen Stadium mit der später erlebten Wucht noch gar nicht existiert. Es zeigt das Vorgehen der neuen Staatsmacht als eine sehr systematisch agierende Bürokratie. Es zeigt noch mehr allerdings die Handlungs- und Bewusstseinsprozesse in der Bevölkerung. Und das sind historisch erzählte Beobachtungen, die von hohem Wert sind. Da führt das politische Desinteresse und die Uninformiertheit zur Akzeptanz der wildesten Theorien, da lähmt die Spekulation über die wirklichen Kräfte genau diejenigen, die sehr schnell zu Opfern werden können, da dringen die persönlichen Konkurrenzen und Eitelkeiten aus einer privaten Verwerfung in einen politischen Handlungsrahmen und etablieren sich zu den neuen Umgangsformen eines politischen Systems. Das Grausame daran ist die Erkenntnis, dass auch diese Herrschaft geprägt ist von menschlichen Eigenschaften, denen des Neids, der Missgunst und des Hasses.

„Ich stehe auf der Straße, die Nacht ist meine Wohnung. Bin ich betrunken? Bin ich verrückt? Die Stimmen und Geräusche um mich fielen von mir ab wie ein Mantel, ich friere. Die Lichter sterben. Ich bin allein.“

Was immer wieder erscheint wie die naive Erzählung eines jungen Mädchens transportiert gesellschaftliche Wahrheiten, die sich in gekonnt inszenierten Bildern entfalten. Die Geschichte geht so, wie tausend andere Geschichten in dieser Zeit verlaufen sind. Nichts von den Handlungen und Motiven der Protagonisten übermittelt eine Botschaft von Hoffnung. Das war aus der Perspektive Irmgard Keuns auch nicht angemessen. Und das wäre aus der Perspektive heutiger Tage auch eher ein Pfeifen im Walde. Aber gerade diese Konsequenz macht das Buch so lesenswert.

Vom Elend des Exils

Volker Weidermann. Ostende 1936. Sommer der Freundschaft

In einer Zeit, in der das Exil von Menschen wieder zu einem Massenphänomen geworden ist, bei dem die europäische Bevölkerung zunächst nur indirekt betroffen zu sein scheint, hat es durchaus seine Verdienste, auf Perioden hinzuweisen, in denen Exil direktes Schicksal war. Die deutschen Schriftstellerinnen und Schriftsteller während der Nazi-Periode waren jedoch etwas besonderes. Nicht weil sie Deutsche, sondern weil sie Schriftsteller waren. Das Schicksal von Schriftstellern, die ihr Land verlieren, ist gleich zu setzen mit ihrem beruflichen Ruin, weil sie neben ihrer Heimat auch ihr Publikum verlieren und in den neuen Gastländern mit einer anderen Sprache keine Rolle mehr spielen. Die Möglichkeit des Lebensunterhaltes ist gebunden an ihre Muttersprache und den mit ihr korrespondierenden Markt. Nur diejenigen, die bereits Weltruhm errungen hatten und in andere Sprachen übersetzt worden waren, hatten nach wie vor ein großes Publikum.

Volker Weidermann hat mit seiner Erzählung Ostende. 1936. Sommer der Freundschaft einen Beitrag zum Verständnis des deutschen Exils geleistet. Das gilt nicht für die Exilforschung, der alles bekannt ist, worüber er schreibt, aber es gilt für ein Massenpublikum, das sich zum ersten Mal dem Thema nähert. Denn die Grundlage seiner Erzählung ist der vor zwei Jahren erschienene Briefwechsel zwischen Stefan Zweig, dem saturierten und weltweit erfolgreichen Wiener Juden und Joseph Roth, dem verarmten und durch Alkoholismus gezeichneten Ostjuden, die eine enge Freundschaft verband und die sich in dem erwähnten Sommer 1936 in dem mondänen Seebad Ostende trafen, um literarische Projekte zu besprechen und sich gegenseitig beizustehen. Neben diesen beiden, überaus bekannten Vertretern der deutschen Literatur trafen sich dort noch Egon Erwin Kisch, der linke Medienzar Willi Münzenberg, Arthur Koestler, Irmgard Keun, der Dramatiker Ernst Toller, die Schauspielerin Christiane Grautoff und Hermann Kesten.

Das, was idyllisch anmutet, entpuppt sich beim Fortlauf der Erzählung als das, was das Exil immer war und immer ist: Ein Albtraum für alle Beteiligten. 1936 war ein Jahr, in dem die Olympiade in Deutschland bevorstand und die Nazis der Weltöffentlichkeit suggerieren wollten, dass alles, was über sie erzählt wurde, längst nicht so schlimm war wie befürchtet. Dennoch hatten die Bücherverbrennungen bereits stattgefunden und den meisten, die in Ostende versammelt waren, das Exil bereits beschert und sie vom Literaturmarkt abgeschnitten. Dennoch eignen sich bestimmte Nachrichten dazu, immer wieder einen Keim der Hoffnung aufkommen zu lassen, wie zum Beispiel der aufkommende Konflikt in Spanien zwischen dem putschenden faschistischen General Franco und den Republikanern. Auf der anderen Seite wird auch in Weidermanns Schilderung sehr deutlich, dass jenseits der Beschwörung der Hoffnung bereits die Verzweiflung bei den meisten der beschriebenen Akteuren die bestimmende Rolle übernommen hat.

Und dann ist da die geistige Verbundenheit zwischen Stefan Zweig, dem saturierten Weltbürger und dem sich selbst zu Grunde richtenden Provinzler Joseph Roth, die das tiefe Verständnis zweier grandioser Schriftsteller und das gemeinsame Judentum verbindet, die sich aber gegenseitig nicht retten können. Es wird deutlich, dass es nicht an den so unterschiedlichen Lebenswegen und materiellen Lebensverhältnissen lag, sondern an beider Sensibilität, die es verhinderte ertragen zu können, um als Paria zu überleben. Joseph Roth trank weiter und starb 1939 in Paris. Stefan Zweig brachte sich 1942 im brasilianischen Exil um. Ostende wurde 1944 von alliierten Bombenangriffen völlig zerstört. In dem Epilog mit dem Titel Mystery Train beschreibt Weidermann, nahezu lakonisch, wie die Sache des Exils für diejenigen, die im Sommer 1936 versammelt waren, zu Ende ging.

Das Exil war ein Elend. Das Exil ist ein Elend.