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Ein Preis, der zu hoch ist!

Wie oft habe ich sie vernommen! Die Stimmen aus dem eigenen Ich wie aus meinem sozialen Umfeld. Die mir rieten, mich doch mit anderen Kräften und Mächten zu vereinigen. Um meinen Wirkungsgrad zu vergrößern. Um meinen Einfluss in einem ganz anderem Ausmaß zu steigern. Um meine eigene Position zu festigen und auszubauen. Ich habe es nie gemacht. Ich weiß nicht, welches Erlebnis es war. Ich weiß nicht, wer mir den Rat gegeben hat. Und ich weiß nicht, wann ich selbst zu dieser Erkenntnis gekommen bin. Aber irgend etwas in mir, das stark war und jeder Versuchung widerstand, hat mir gesagt, dass es besser sei, den steinigen Weg zu gehen, zu verharren, wo ich bin und das Brot zu essen, das auf dem Tisch lag, als mich auf Allianzen einzulassen, die mich dazu gezwungen hätten, meine Unabhängigkeit als Währung in die Zahlschale zu werfen. 

Nicht, dass ich Allianzen per se für etwas Falsches halte! Ganz im Gegenteil. Wenn sich Interessen treffen und alle, die diese Vertreten nach eigenem Ermessen für einen bestimmten Zweck bereit sind, einen Tribut zu entrichten, dann bin ich dabei. Aber es gibt auch falsche Allianzen. Sie zwingen dich, irgendwann Dinge zu machen und zu vertreten, die deiner Überzeugung widersprechen. So etwas läßt sich schnell identifizieren. Und wer sich auf so etwas einlässt, ohne lange zu überlegen, um eines Vorteils Willen, der hat diese Gunst mit einer sehr hohen Rendite irgendwann zu bezahlen. 

Ich habe mir diese Menschen zur Genüge ansehen können. Sie reüssierten schnell und viele, die das sahen, raunten mir zu, ich sei ein Dummkopf, weil ich es nicht genauso machte. Aber irgendwann kam der Zahltag. Dann mussten sie Dinge tun oder vertreten, die ihnen peinlich waren. Dann konnten sie dir nicht mehr in die Augen schauen und gingen dir aus dem Weg. Und zum Schluss, wenn die große Kurve der Entwicklung ihrem Ende zuging, dann sah ich zumeist unglückliche Menschen. In einem unglücklichen Umfeld. Und alles Geld und aller Status verhalf zu keinem Trost mehr. 

Deshalb bin ich heute dankbar. Sehr dankbar, dass ich ein Sturkopf war und meiner Unabhängigkeit mehr Wert beimaß alles allem Tand der Welt. Wie heißt es so schön im Invictus? Mein Kopf ist blutig, aber ungebeugt. Und wenn ich heute sehe, was viele Menschen, die ich über lange Jahre habe beobachten können und die sehr viel konnten und wollten, wenn ich sehe, was sie heute alles erzählen müssen, um im Geschäft des Lebens zu bleiben, dann erfüllt mich große Trauer. Aber Mitleid, Mitleid habe ich nicht. Oder wie pflegte mein Freund vom Indischen Ozean, der die Welt ohne einen Cent in der Tasche bereist hatte und alle Höhen und Tiefen des Lebens als direkter Zeuge gesehen hatte? Wer mit dem Teufel ins Bett geht, pflegte er zu sagen, darf sich nicht wundern, wenn er die Hölle auf Erden erlebt! 

Selbsteinschätzung: Etappenschwein oder Steuermann?

Natürlich kann man sich darüber aufregen, dass Kretins die Regierungsgeschäfte übernommen haben, dass alle Fragen, die das Leben essenziell betreffen, von den etablierten Medien nicht aufgegriffen werden, dass vieles, was auf der Welt interessant wäre, gar nicht erwähnt wird, dass in den letzten Jahrzehnten auf keinem Sektor signifikante Verbesserungen erreicht und Fortschritte gemacht wurden, nicht in der Bildung, nicht in der Infrastruktur, nicht bei den Wohnverhältnissen, nicht bei der Verteidigung des eigenständigen Denkens. Es existieren tausend Gründe, um sich aufzuregen, um zu schmollen, um wütend zu sein. Aber hilft es? Ist die Frage, die die Deutschen immer so sehr bewegt, nämlich die nach der Schuld, nicht eine müßige? 

Verhältnisse, so wie sie sind, sind immer das Ergebnis vieler Faktoren. Ja, da gibt es immer die Aktiven, und das wird zumeist in der so etablierten Leideform vergessen, da sind auch die Passiven. Die alles haben geschehen lassen, die sich nicht gewehrt haben, die keine Vorschläge gemacht haben, wie es besser sein könnte. Und, auch das sei erwähnt, diejenigen, die sich haben betrügen lassen und die, die nicht gegen den Betrug rebelliert haben.

Gründe für die eigene Passivität gibt es immer, und Gründe für das Böse in der Welt auch. Fest steht, dass wir uns hier, wo wir leben, an einem sehr gefährlichen Ort befinden. Hier wird in einer relativ leichten Übung, die bereits schrecklich genug ist, das eingeübt, was noch kommen wird, wenn es um die Vormachtstellung in der Welt geht. Das Unerquickliche in dieser Frage liegt darin, dass wir mehr oder weniger die Rolle von Statisten spielen. Es ist nicht so, dass wir bei dem Spielchen um die Dominanz in der Welt eine Hauptrolle inne hätten. Wir sind, bleiben wir einmal in der Sprache der Landser, die zur Zeit die Regie führen, ein kleines Etappenschwein, dessen Aufgabe es ist, für den Nachschub an der Front zu sorgen. Und alle, die in einem Anflug von Großmannssucht nun selbstgefällig die Hosenträger schnalzen lassen, Männer wie Frauen, eignen sich allenfalls für die Gaudi-Nummer eines englischen Jahrmarkts aus dem Mittelalter.

Bei allem Amüsement und bei aller Verzweiflung, die aus dieser Vorstellung spricht, sollte nicht vergessen werden, was notwendig ist, um aus dieser Misere herauszukommen. Die eigenen Interessen, nicht die vermeintlichen und übergeordneten, sind dabei immer noch der beste Kompass. Jenseits der irren Kriegsphantasien und dem schicken Geschwafel von allem, was smart ist, geht es um einfache, aber alles ausmachende Aspekte des Lebens. 

Es geht um den Frieden, ohne den alles keinen Sinn macht, es geht um Arbeit, die befriedigt und unabhängig macht, es geht um die Möglichkeit, sich fortzubewegen, es geht um Bildung, es geht um ein gutes Gesundheitswesen, es geht um saubere Luft und Trinkwasser, es geht um das Gefühl, in einer Gemeinschaft zu leben, in der alle etwas beitragen, es geht um den Respekt untereinander und gegenüber anderen. Kurz, es geht um Fakten und Tugenden, die einer Zivilisation zugrunde liegen. Davon, seien wir ehrlich, sind wir weit entfernt. Das, was momentan in der Welt als ein so erstrebenswerter Zustand angepriesen wird, ist eine Schimäre. 

Es liegt an jedem einzelnen Individuum, ob es sich traut, aus dem Kokon der Täuschung und Verlogenheit herauszutreten und sich an dem beteiligt, worauf es ankommt. Wie heißt es noch in Henley’s Invictus?

I ´m the master of my fate,

I ´m the captain of my soul.

Oder, um bei dem bereits bemühten Bild zu bleiben, Etappenschwein oder Steuermann? Das ist hier die Frage.