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Das Treffen in Alaska und der strenge Pfad der Gnade

Es ist ja nicht so, als habe das immer wieder durch Kriege geschundene Europa nicht den Preis bezahlt, den Aischylos den strengen Weg der Gnade genannt hat, die am Weltensteuer sitzt. Oder, um es zeitgenössisch verständlicher auszudrücken: Wenn in der Geschichte irgendwo ein Sinn herrscht, dann offeriert sie den Menschen Momente, in denen sie das Dasein für einen Augenblick begreifen. In der Staatskunst sind Menschen mit diesem Einblick selten, wiewohl es sie immer wieder gibt. Ob sie einem gefallen oder nicht, aber Figuren wie ein Richelieu, ein Zhou Enlai, oder, um in dem auf Irrwegen zumeist zuhause befindlichen Deutschland zu bleiben, gab es auch einen Bismarck und einen Brandt, übrigens die einzigen, die, obwohl sie politisch sehr unterschiedlich sozialisiert waren und gegensätzliche Interessen vertraten, die einzigen waren, die um den Faktor Russland in einem europäischen Frieden wussten.

Der Westfälische Frieden war auch so eine Sternstunde. Als alles am Boden lag und ausgeblutet war, einigte man sich in einem innerhalb von zwei Jahren in Münster und Osnabrück ausgehandelten Frieden auf die Grundlagen der modernen internationalen Diplomatie: keine Einmischung mehr in die inneren Angelegenheiten des anderen, Vereinbarungen auf Augenhöhe und das Streben nach gegenseitigem Vorteil. Henry Kissinger, historisch kein Unschuldslamm, befand jedoch dieses Prinzip, das übrigens in der gesamten angelsächsischen Literatur als die Westfalian Order beschrieben wird, als das Leitsystem mit der größten Friedensaffinität.

Ein Blick in die täglichen Journale dokumentiert in bedrückender Weise, dass sich zumindest die rudimentäre Entität, die sich großspurig als Europa bezeichnet, sich wohl  auf dem weitest möglichen Punkt entfernt von den Frieden ermöglichenden Diplomatie befindet. Da existieren nur kriegerische Aktionen, auch wenn sie sich hinter Zöllen, Embargos und Rechtsakten verbergen. Denn, auch dieses muss man benennen, zu einer tatsächlichen kriegerischen Auseinandersetzung mit den Großmächten dieser Welt ist man gar nicht in der Lage. Und, man mache sich keine Illusionen, wird man trotz der ganzen Auf- und Hochrüstung nicht in der Lage sein.  Man nennt das Friedensdividende. Mental fehlt es an Kriegsvolk, egal, wie sehr sich auch die Agenten der Waffenindustrie anstellen.

Richelieu sagte einmal, ein Diplomat regt sich nicht auf, der macht sich Notizen. Allein diese Aussage würde bei den Vertretern, die momentan in unserem Namen das heilige Feld der internationalen Politik besudeln, nichts als großes Unverständnis hervorrufen. Das Groteske an diesen Figuren ist, dass sie reden, als ginge es auf den nächsten Kreuzzug, aber bitte ohne Risiko und persönliche Konsequenzen.

Von Mao Ze Dong stammt der Satz, dass die Macht aus den Läufen der Gewehre komme. Dieses bezieht sich nicht nur auf innere Konflikte, sondern auch auf die Spieleröffnung, wenn zwischenstaatlich die Diplomatie versagt hat und keine Rolle mehr spielt. In beidem sind Deutschland und die irrlichtende Administration der EU auf dem Weg zum Bankrott. Die Diplomatie wurde über Bord geworfen und die nötigen Waffen, die beim vermeintlichen Feind Eindruck erwecken würden, sind nicht vorhanden. 

Deshalb sitzen am kommenden Freitag in Alaska auch die am Verhandlungstisch, die über beides verfügen: Diplomatie und Gewaltpotenziale. Ob einem das gefällt oder nicht. Die Vereinigten Staaten und Russland sind die Player. So sieht es aus auf dem strengen Pfad der Gnade. Und Dilettanten haben dort nichts verloren.  

Das Treffen in Alaska und der strenge Pfad der Gnade

Angebote, die nicht abgelehnt werden können

Laut Angaben der ZEIT hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz seinem US-Amtskollegen Steven Mnuchin zunächst in mündlicher, dann auch in schriftlicher Form ein Angebot unterbreitet. Es bietet bei Aussicht auf die Unterlassung weiterer Drohungen über Sanktionen gegen die Bundesrepublik in Bezug auf die Fertigstellung der Gas-Pipeline Nord Stream II durch die US-Regierung eine Gegenleistung. Diese besteht in einer sicherlich Milliarden Euro umfassenden Investition in den Ausbau der Häfen von Brunsbüttel und Wilhelmshafen zu Tiefseehäfen, um sie in die Lage zu versetzen, amerikanisches Flüssiggas aufzunehmen. Was Scholz bei diesem Angebot unterstellt, ist, dass die amerikanische Kritik an dem Ostseeprojekt zwischen Deutschland und Russland weniger geostrategischer, sondern mehr wirtschaftlicher Natur ist. Mit dieser Annahme liegt er offenbar nicht falsch. Zumindest Donald Trump hat eine andere Vorstellung von Politik und Diplomatie als der Rest der Welt. Oder ist er damit gar nicht allein? 

Indem Trump den Deals in den Vordergrund internationaler Beziehungen gestellt hat, hat er einen gewaltigen Paradigmenwechsel vorgenommen. Zumindest war er der erste, der es explizit aussprach. Nicht, dass Deals in der internationalen Politik neu wären, doch sie waren zumeist Abmachungen jenseits des Protokolls und sie waren sicherlich auch immer wieder die Bedingung, ohne die Verträge nicht zustande gekommen wären. Aber sie brachen nicht mit den Gesetzen der Diplomatie. Letztere war das Ergebnis des Dreißigjährigen Krieges, nach dem sich die vielen Kontrahenten in den zwei Jahre andauernden Verhandlungen zum Westfälischen Frieden darauf geeinigt hatten, dass man in Zukunft darauf verzichten wolle, in die inneren Angelegenheiten anderer Länder hereinzureden, sich nicht erpressen zu wollen und vor allem alle Vertragspartner als Souveräne auf Augenhöhe zu behandeln. In der amerikanischen Geschichtsschreibung heißt das The Westfalian Order. 

Die Entrüstung über den von Donald Trump vorgenommenen Paradigmenwechsel ist immer dann groß, wenn dieser aus einer Position der Macht auf Deals drängt. Die nahezu ständigen Interventionen Deutschlands in die inneren Angelegenheiten anderer Länder unterliegen der Empörung nicht, obwohl religiöser Eifer und moralischer Imperialismus nicht nur die Ursache für den Dreißigjährigen Krieg waren. Aber sie führten nach drei Jahrzehnten der Zerstörung zu der Einsicht, dass man besser in Zukunft darauf verzichte. Das gegenwärtige Deutschland hat daraus nichts gelernt. Während man das amerikanische Ansinnen auf einen Deal lange entrüstet als Verletzung eines souveränen Landes zurückwies, drohte man gleichzeitig mit Abbruch des Projektes wegen einer mysteriösen, bis heute alles andere als aufgeklärten Attacke gegen einen nationalistischen Oppositionspolitiker im souveränen Russland. Wenn die aus der Westfalian Order abgeleiteten Regeln der internationalen Diplomatie verlassen werden, nehmen die Paradoxien ihren Lauf.

Ob ein Deal zwischen den USA und Deutschland zustande kommt, wird sich zeigen. Der Paradigmenwechsel ist im Grunde vollzogen. Denn in den nächsten Tagen treffen sich die EU-Vertreter in Brüssel, um über das Projekt Nord Stream II zu verhandeln. Auch da geht es in erster Linie um Geld. Die Staaten, die momentan noch Gebühren für die Gas-Passage durch ihre Länder einstreichen, würden diese durch das Projekt verlieren. Die baltischen Staaten, Polen und die Ukraine verlören viel Geld. Obwohl nicht am Tisch, wird der Standpunkt der USA entscheidend sein. Sollten sie die Möglichkeit des Exports von einheimischem Fracking-Gas nach Deutschland genügend reizen, wird Nord Stream II zu Ende gebaut werden. Dann hätte Olaf Scholz den richtigen Riecher gehabt. 

Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, als wäre Francis Ford Coppola als neuer Designer der internationalen Politik zu späten Ehren gekommen. Die Zeiten des gegenseitigen Nutzens sind vorbei. Obsiegen wird der, der über Angebote verfügt, die die Gegenseite nicht ablehnen kann.