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Die schöne neue Welt und das Sektierertum

Kann etwas, das als Bewegung gegen Unrecht entstanden ist, ins Gegenteil umschlagen? Können Maßnahmen und Aktionen, die sich gegen Diskriminierung richten, selbst zu dem alten Übel zurückkehren? Die Antwort ist schlicht wie beklemmend. Ja, das kann so sein und es ist, historisch betrachtet, gar nicht so selten. Bevor ein solches Phänomen sich ins Bewusstsein hocharbeitet, vergeht Zeit. Und diejenigen, die früh darauf hinweisen, stehen schnell am Pranger. Das Argument, das ihnen entgegen stürmt, bezieht sich jedoch auf die Ausgangslage. Es besteht aus dem Vorwurf, den alten Missstand zu vertreten.

Dass wir in Zeiten leben, in denen der beschriebene Umstand bereits zu voller Blüte gereift ist, dürfte all jenen, die sich ein wenig mit den Schwingungen der Kommunikation beschäftigen, längst aufgefallen sein. Alles, was aus den Anti-Diskriminierungskampagnen entstanden ist, hat einen Zustand erreicht, der seinerseits hinter den Ausgangspunkt zurückgegangen ist. Aus der Abwehr gegen Diskriminierung ist eine neue Art der Diskriminierung entstanden, die fröhliche Urstände feiert. Beispiele dafür gibt es genug, ob es um das fleißige Gendern bei positiven Erscheinungen geht, oder ob umgekehrt der alte Sprachgebrauch beibehalten wird, wie bei Terroristen, Gewalttätern, Kinderschändern, Kriminellen oder auch, man mag es kaum glauben, bei Mutanten, das alles bleibt selbstverständlich maskulin, oder ob es die alten weißen Männer sind, unabhängig von ihrer Lebensbilanz, das, was heute so unsinnig als Bashen bezeichnet wird, ist erlaubt. 

Daraus ist ein Gestus entstanden, der sich mit dem der alten Kolonialisten trefflich messen lassen kann. Bei der Betrachtung der Historie ist es noch abseitiger. Dass Mozart und Beethoven nicht mehr gehört werden sollen, weil sie ihrerseits Verklärer des Kolonialismus gewesen sein sollen wird immer weiter gesponnen, da ist man bereits an dem Punkt, dass Julius Cäsar aus den Geschichtsbüchern verschwinden soll, weil er den Müll nicht getrennt hat.

Das, was in der Geschichte immer wieder als der Abweg des Sektierertums bezeichnet wurde, hat sich in der heutigen bundesrepublikanischen Gesellschaft zur Staatsräson gemausert. Nichts ist unversucht, um den gesellschaftlichen Diskurs in diesen Sog einer totalitären, gleichwohl verkommenen Logik der Spaltung und Ausgrenzung und der daraus folgenden inquisitorischen Meinungsbildung zu ziehen. Sieht man genau hin, dann wird deutlich, dass das, was Arthur Koestler in seinem Roman „Sonnenfinsternis“ so bedrückend thematisiert hat, den öffentlichen Diskurs beherrscht: die Befolgung einer totalitären Logik bis zum bitteren Ende der Selbstverleugnung. 

Die Blindheit derer, die diesen Diskurs beherrschen, und das ist die gute Nachricht, führt dazu, dass sie im Rausch der ideologischen Unangefochtenheit den Blick für die Realität immer mehr verlieren. irgendwann, und dieser Zeitpunkt ist bereits erreicht, glauben sie tatsächlich, dass das verhängnisvolle Produkt ihrer eigenen Verblendung dem entspricht, wie das Gros der Gesellschaft, auch das von ihnen malträtierte, tatsächlich empfindet. Die Folge lässt sich historisch eindeutig dokumentieren. Es führt zum Zusammenbruch, zur nachhaltigen Diskreditierung aller gut gemeinten Anliegen und zu einer radikalen mentalen Umkehr. 

Die Bilder von der schönen neuen Welt, aus der das Unrecht verbannt ist, zerfließen zu einem höllischen Inferno, weil die Zorndepots der Beleidigten, Ausgegrenzten und ins Unrecht Gesetzten randvoll sind und in der Gegenreaktion kein Platz mehr ist für Vernunft und Maß. Aber, auch das lehrt die Geschichte, die die Inquisitoren unserer Tage aus gutem Grunde meiden wie der Teufel das Weihwasser, Sektierertum führt immer zu einem unheilvollen Ende, auch wenn viele glauben, ganz so schlimm werde es schon nicht werden.

Brennt alles nieder!

Notre-Dame de Paris stand in Flammen. Das Ereignis hat eine Diskussion entfacht, die es in sich hat und zeigt, wie gewaltig die Krise der europäischen Identität gediehen ist. Es geht mehr als nur um ein Gebäude. Es geht um nationale und europäische Befindlichkeiten, es geht um Vertrauen und Zuversicht. Der bestürzende Befund ist schlimmer als die angebrannte und eingestürzte Kathedrale. Von allem, weder von der Identität und dem Selbstbewusstsein, noch vom Vertrauen und der Zuversicht ist nicht mehr viel übrig. Und ohne das in der gesamten Tragweite zu überblicken, haben es viele Menschen beim Anblick des Brandes gespürt. Unheil liegt in der Luft. Und wer es leugnet, macht es nur noch schlimmer.

Die Reaktionen selbst reichen, um den Befund zu erhärten: Die einen weinen um die brennende Kirche und das, was sie den Franzosen in der Vergangenheit bedeutete, die anderen spotten über das Symbol des Katholizismus und zählen akribisch auf, wie viele Kulturdenkmäler in aller Welt durch den französischen Kolonialismus und Neo-Kolonialismus bereits vernichtet worden sind. Und es wird darauf hingewiesen, wie die westliche Sentimentalität in diesem Falle wohl von denen, sagen wir einmal den Bewohnerinnen und Bewohnern Aleppos aufgenommen wird, nach deren Schicksal kein französischer Hahn kräht, obwohl in Aleppo bereits eine Hochkultur herrschte, als in Paris noch der Schweinemarkt die größte Attraktion war. Und es wird natürlich darauf hingewiesen, mit welcher Leichtigkeit einzelne Individuen so mal eben 100 Millionen Euro auf den Tisch werfen, während 18 Millionen Franzosen mittlerweile als arm gelten. Wie insgesamt die Spendenerklärungen nach zwei Tagen bereits die Milliardengrenze durchbrachen, während der Brand des brasilianischen Nationalmuseums von einem Jahr bis heute 2,3 Millönchen als Unterstützung hervorgerufen hat.

Das alles zeigt, wie heterogen die Perspektiven sind, was nicht schlimm sein muss, wenn es einen Konsens darüber gibt, worin das kulturelle Erbe besteht und was getan werden muss, um es positiv zu pflegen. Während Präsident Macron die Brandkatastrophe, ganz im Sinne des findigen Parvenüs, als Gelegenheit begreift, wieder eine Gemeinsamkeit im zerrissenen Land herzustellen, sind die Bessermenschen und Inquisitoren östlich des Rheins noch schlimmer abgestürzt. Da werden Bilder des Malers Emil Nolde im Kanzleramt wieder abgehängt, weil jetzt, fast achtzig Jahre danach, herausgekommen ist, dass Nolde mit den Nazis sympathisiert hat. Anstatt die Zerrissenheit besonders der deutschen Kultur dadurch zu dokumentieren, dass im Kanzleramt zusätzlich Bilder von jüdischen zeitgenössischen Künstlern wie von kommunistisch inspirierten Realisten neben die Werke Noldes gehängt würden, kommen sie in den Keller. So entsteht keine Auseinandersetzung mit dem Erbe, mit dieser Auffassung wird das Erbe dekretiert. Übrig bleibt das große Nichts, das nichts vermittelt außer der beklagten Orientierungslosigkeit.

Notre-Dame de Paris ist ein Fanal, im wahren Sinne des Wortes. Es ruft geradezu dazu auf, in eine heftige, aktive Auseinandersetzung darüber zu gehen, was die tatsächlichen kulturellen Errungenschaften der europäischen Zivilisationen anbetrifft. Die schaurigste Figur im Moment gibt die deutsche Bundesregierung ab, die lediglich weiß, dass sie mit ihrem Halbwissen immer Recht hat und immer moralisch im Recht ist. Ginge es nach ihr, so würde auch moniert, dass Notre-Dame de Paris von patriarchalischen, rechten, papistischen Drecksäcken erbaut wurde und der Brand das gerechte Urteil der Geschichte sei. Man müsste nur hartnäckig genug fragen, um eine derartige Antwort zu bekommen. Eine Haltung, die das tatsächliche Erbe der europäischen Zivilisation derzeit bis auf die Grundmauern niederbrennt.

Mohrenköpfle und Indochine, Geschichte und Dogma

Wie weit der ganze Irrsinn von vermeintlicher politischer Korrektheit gehen kann, zeigt eine Posse aus meiner Stadt. In einem Stadtteil existiert eine Konditorei mit dem Namen Mohrenköpfle. Immer wieder erreichen die Tageszeitung wie die Stadtverwaltung aufgebrachte Briefe von Bürgerinnen und Bürgern, die sich auch selbst gerne als die Zivilbevölkerung bezeichnen. Einen sehr langen, im Stile eines Pamphlets verfassten Brief an den Oberbürgermeister bekam ich vor nicht allzu langer Zeit zu Gesicht. Das Werk strotzte von historischem Unwissen und endete mit der Forderung, dass dieser Name die Verherrlichung von Kolonialismus und Rassismus sei und sofort geändert werden müsse, ansonsten solle man den Laden schließen. Was sich vor allem jedoch feststellen lässt, ist die historische Ignoranz derer, die im Rausch einer geistigen Inquisition gerne die Welt auf ihren begrenzten Horizont reduzieren wollen.

Der Mohrenkopf, der als Schutzheiliger der Apotheken fungierte, stammt als Symbol von einem römischen General, seinerseits dunkelhäutigem Nordafrikaner, genauer gesagt Ägypter und Anführer der Tebaischen Legion, mit dem Namen Mauritius. Diese sollte dabei helfen, im Jahr 285 in Südgallien einen Aufstand niederzuschlagen. Als sich diese vor allem aus Christen zusammengesetzte Legion weigerte, in einem Gottesdienst vor dem Einsatz so genannten heidnischen, nämlich römischen Göttern zu huldigen, hatte das Konsequenzen. Das wurde als Aufstand interpretiert und General Mauritius geköpft. Fortan hatte er in der Christenheit einen an Mythos grenzenden Ruf. Der von den Römern geköpfte Mauritius wurde fortan der verehrte Mohrenkopf, der es bis zum Schutzpatron der Apotheken schaffte. 

Überflüssig zu sagen, dass diese Geschichte weder etwas mit dem mehr als tausend Jahre später einsetzenden Kolonialismus zu tun hat noch durch eine böse Art des Rassismus gespeist wurde. Ganz im Gegenteil, er diente den Christen als Hinweis für ihre Lehre, die sich an alle Menschen wandte, unabhängig von Nationalität, Stand und Rasse. Dass die neuen Inquisitoren daraus etwas anderes machen, ist nicht ungewöhnlich. Gespeist wird es in der Regel von gehörigem Unwissen und einer Nonchalance, die gerne auch einmal bereit ist, Existenzen zu vernichten. Inwieweit die Betreiberfamilie, in diesem Fall der Konditorei, in dieser ungehörigen Form von politischer Projektion geschädigt wird, die sich durch Qualität und harte Arbeit einen Namen gemacht hat, wird außer Acht gelassen.

Aber bleiben wir einmal bei dem Vorwurf des Kolonialismus und schauen etwas genauer hin. Nämlich genau bei dem Klientel, das sich in den Debatten der political correctness gerne bereit ist zu echauffieren, genießt ein bestimmtes Speiselokal großen Zuspruch. Es ist ein kleines, nettes Restaurant mit vietnamesischer Küche und nennt sich Inochine. Es benutzt also den Begriff des französischen Kolonialismus, um über Vietnam zu erzählen. Auch das Interieur ist im Stil der französischen Kolonialzeit in Vietnam. Komplettiert wird das Ganze mit Bildern, die an den Wänden hängen und genau diese Epoche des vietnamesischen Schicksals nostalgisch verklären. 

Betrieben wird das Lokal von jungen Vietnamesen, die sehr freundlich sind. Da das Essen zudem gut ist, wünsche ich ihnen weiterhin viel Erfolg. Warum sie sich für die koloniale Sicht auf ihr Land entschieden haben und dort keine Bilder zum Beispiel vom letzten amerikanischen Helikopter hängen, der am 1. Mai 1975 fluchtartig Saigon verlassen musste und damit das endgültige Ende des Kolonialismus symbolisierte, entzieht sich meiner Kenntnis, ist aber auch ihre Sache. Auf die Idee, von ihnen zu fordern, ihr Lokal nicht mehr Indochine zu nennen oder sich neu einzurichten, käme ich nicht und Briefe des Protests an den Oberbürgermeister sind mir auch nicht bekannt. Aber an der Geschichte lässt sich sehr gut zeigen, wie weit der Irrsinn fortschreiten kann, wenn man statt der Geschichte das Dogma im Kopf hat.