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Much Ado About Nothing!

Wer keinen Zusammenhang sieht zwischen den Kriegen, an denen man sich beteiligt und den Menschen, die dort ihrer Heimat beraubt werden, kann nicht als jemand angesehen werden, mit dem ernsthaft über die anstehenden Probleme im Zusammenhang mit Flucht/Einwanderung/Kulturbruch gesprochen werden kann. Und wer die durch eigene Kriege mit verursachte Not dazu nutzen will, um von anderen Problemen und Agenden abzulenken, ist ebensowenig zu einer Lösung fähig oder sogar nicht einmal daran interessiert. Insofern erleben wir momentan eine Aufregung, die an Verlogenheit nicht zu überbieten ist. Denn der Konsens, an dem Kriegsinterventionismus nichts ändern zu wollen, besteht sowohl auf Seiten derer, die nun Gesetze zu verschärfen gedenken, deren strikte Handhabe bereits vieles hätte verhindern können wie bei denen, die die Dramatik bagatellisieren und bestrebt sind, das hohe Gut der Demokratie exklusiv für sich zu reklamieren. 

Das wahre Drama ist die grassierende Verlogenheit. Was fehlt, ist eine den Sachen auf den Grund gehende, sprich eine radikale Analyse des Zustandes, in dem wir uns seit einiger Zeit befinden. Wenn man Figuren aus der ehemaligen Ampel reden hört, dann muss man ihnen jede Form von Friedenswilligkeit wie Friedensfähigkeit absprechen. Es sind Bellizisten vor dem Herrn und sie sind Garanten für eine Flüchtlingswelle nach der anderen. Gerade hat man sich noch durch Waffenlieferungen daran beteiligt, um, wie es jüngst das amerikanische Magazin Time formulierte, die Ukraine unter den Bus zu werfen, da setzen sich die ehemaligen Bewohner aus Gaza in Bewegung, dort Zuflucht zu finden, von wo aus erkleckliche Waffencargos kamen, um nichts als Kriegsasche zu hinterlassen. Und dann kommen die Saubermänner, die alles als richtig erachteten und wollen jetzt die Sicherheitsschlösser klicken lassen. Was für eine Meute. 

Vor wenigen Tagen jährte sich die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Die Befreier wurden ebensowenig geladen wie die Vertreter des Staates Israel. Zu verantworten hatte das zwar die polnische Regierung. Aber ein deutsches Staatsoberhaupt setzt sich in die Ehrenloge und hat weder den Charakter noch die Stamina, um zu sagen, dass so etwas nicht geht und an Geschichtsfälschung nicht zu überbieten ist? Wo ist da das „Nie wieder!“ und ja, wo ist da eine Brandmauer? Da schweigt des Sängers Höflichkeit. Und, um die Frivolität noch zu überbieten, nutzt noch der so genannte Kanzlerkandidat der Grünen die traurigste Kulisse der Nationalgeschichte, um sie für einen eigenen Wahlspot zu kontaminieren.

Ja, ihr, die ihr es habt geschehen lassen, euch unverbrüchliche Rechte vorzuenthalten, ihr habt alle Kriege durch eure Wurstigkeit mitgetragen, und ihr habt jetzt die Chuzpe, von der Rettung der Demokratie zu faseln? Viel Lärm um nichts! Wer so unterwegs ist, hat sein Plazet zu ihrer Vernichtung längst gegeben. Und, indem ihr euch so herrlich verkommen im Wohlfühl-Feuilleton gewälzt habt, warnt jetzt vor Bewegungen, die ihr selbst groß gemacht habt? Das ist beschämend. Mehr nicht. Und, wenn sich die Dinge zuspitzen und es nicht bei reinen Wortdebatten bleiben wird, so denkt daran, dass weder inquisitorisches Denken, noch gewaltgefütterte Feindbilder etwas anderes im Sinn haben als Tod und Zerstörung. Verbal ward ihr bis jetzt sehr virtuos dabei. Bleibe uns die Rendite eures Handelns erspart! Damit zu rechnen ist allerdings nicht.  

Arthur Millers „Hexenjagd“ und die gegenwärtigen Verhältnisse

Bei der Lektüre eines Buches, das sich mit den großen Umbrüchen dieser Zeit befasst und in dem der deutsche Autor nahezu mit seiner analytischen Schärfe brilliert, kam ich an einer Stelle ins Stutzen. Da entledigte er sich radikal von seinem Vermögen, die Dinge aufgrund von Ursache, Wirkung und Wechselwirkung zu durchleuchten. Eines der Phänomene, mit denen wir es aktuell  zu tun haben, glitt ab in das klischeehafte Bild, das vor allem Medien und Politik so gerne machen, wenn sie Souffleuren anderer Interessen gehorchen oder von der Komplexität der Aufgabe schlicht überfordert sind. Da es sich dabei um eines der großen gegenwärtigen Themen handelte, kam mir ein Verdacht in den Sinn, der sich beim Fortgang der Lektüre erhärtete. Denn alles, was an zu Analysierendem folgte, bemaß er wieder mit seinem scharfen Verstand und hielt sich dabei nicht mit Kritik an den beteiligten Akteuren zurück. Kam er aber wieder auf dieses eine, von ihm ausgewählte Thema zu sprechen, dann wartete er mit der Meinung des Boulevards auf. 

Meine Vermutung: Der Autor hat mit diesem einen Thema versucht, sich der allgemein tobenden Inquisition zu entziehen, indem er in einem Punkt das Dogma der Überforderung und Ratlosigkeit kritiklos übernahm. Hier, so sein Fingerzeig, seht, ich bin einer von Euch und ich gehöre nicht zu denen, die den allgemeinen gesellschaftlichen Zustand in toto verurteilen. Denn, das hat die Vergangenheit ihm bereits gezeigt, wenn er das täte, dann werden die Folterwerkzeuge zur Illustration in den Raum gestellt und die eine oder andere Kostprobe verabreicht. 

Als Resümee dieser Beobachtung kann gelten, dass es eigentlich schon soweit ist. Der freie Diskurs um die gesellschaftlichen Belange, von ihrer Funktionsweise, ihren Krisen wie den notwendigen Strategien zu einer Veränderung, ist bereits beendet. Wenn es nur gelingt, ohne große Blessuren seine Sicht öffentlich zu machen, wenn zumindest eine Beteuerung hinsichtlich der vielen totalitären Sichtweisen zu teilen notwendig ist, um nicht vor den Thron des Großinquisitors namens Öffentliche Meinung gezerrt zu werden, ist das autoritäre Zeitalter längst angebrochen. 

Das Beklemmende an der Situation hat zwei Seiten. Die eine bezieht sich auf das Gros derer, die meinen, das replizieren des psychologisch geschickt verordneten Dogmas hätte etwas mit einer demokratischen, aufgeklärten oder humanistischen Denkweise zu tun. Ihnen ist nicht mehr bewusst, dass die Freiheit des Gedankens, des Wortes und der Tat kein Produkt der Gestattung durch eine andere Instanz, sondern nichts als das Ergebnis der eigenen Inanspruchnahme eines Rechts ist. Die andere Seite ist der Zustand der Inquisitoren selbst. Sie sind Gefangene anderer Mächte, deren Existenz sie sich selbst nicht zugestehen. Daher sind sie in erster Linie von der eigenen existenziellen Angst gesteuert, was ihren so oft hyänenhaften Charakter erklärt. Die moderne Inquisition ist von ihrem Wesen her weitaus problematischer als die historische der katholischen Kirche.

Wer an den Thesen zweifelt, möge sich das Stück Hexenjagd von Arther Miller einmal zu Gemüte führen. Geschrieben und uraufgeführt wurde es 1953 (!)  und gelangte schnell zu einem großen Erfolg. Es wurde in vielen Theatern auf der ganzen Welt gespielt, weil es in nahezu universalistischer Manier die Funktionsweise totalitärer Herrschaft durch den inquisitorischen, dogmatischen Denkansatz thematisierte. Viele Sequenzen sind so aktuell, dass es einem den Atem verschlägt. Dürfte ich mir etwas wünschen, dann würde Arthur Millers Hexenjagd wieder von vielen gelesen und mutige Regisseure holten es in die Theater, die massenweise von Schulklassen besucht würden.

Freier Westen? In jedem Winkel residiert der Wahn!

Wir leben nicht nur in wilden und turbulenten, sondern auch in wahnhaften Zeiten. Das Unberechenbare, Schnelle und vieles infrage Stellende gehört sicherlich zu der Ursache des sich epidemisch verbreitenden Wahns. Mit Wahn sei hier der Versuch gemeint, zwanghaft alles mit einem einfachen Schema beantworten zu wollen. Feindbilder sind ebenso hoch im Kurs wie absurde Theorien, wichtig ist nur, dass die Erklärung monothematisch sein muss. Und wer jetzt meint, aha, jetzt haben wir sie, die Verschwörungstheoretiker, hat sich nur zum Teil nicht geirrt. Der Wahn ist nämlich überall zuhause. Er wohnt in den Stuben der Vereinsamung und im Kanzleramt, er residiert bei Neurasthenikern wie bei Komödianten, er liegt mit den Diktatoren im Bett und frühstückt mit der freien Presse. Er ist das Phänomen, das in den bürgerlichen Gesellschaften die Aufklärung beendet hat und in den Autokratien schon immer Dauergast war. Insofern ist ein Resümee bereits zu ziehen: Vernunft, Verstand, Ratio, Kritik, Selbstkritik und Reflexion haben den Kampf verloren. Vorerst.

Denn alle, die sich auf das kulturelle Gut der Aufklärung berufen, sind zu den Gehetzten geworden. Und kommen Sie mir nicht mit Russland, China, dem Iran oder Saudi-Arabien! Im Herzen Europas, dort, wo die Epoche des kritischen des Geistes stattgefunden hat, existiert nur noch Notbeleuchtung. Dort herrschen die Inquisitoren, die mit den denkbar einfältigsten Erklärungsmustern die nich abreißen wollenden Desaster zu erklären versuchen. Und schon sind wir wieder bei den Feinbildern, die einzeln aufzuzählen ein wenig Bildung und Erziehung verbietet, eben weil es so erbärmlich ist. Was das alles, was erschreckt und zerstört, mit dem eigenen Handeln zu tun hat, diese einfache wie grundsätzliche, ja primordiale Frage des kritischen Geistes, steht als allererstes auf dem Index.

Und wer eine Vorstellung von dem Ausmaß der intellektuell-kulturellen Verfehlung im eigenen Soziotop gewinnen will, der sehe sich an, was alles auf dem Index steht. Fülle wie Charakter der Vergehen, die dort notiert sind, lassen nur einen einzigen Schluss zu: Das Ende der Freiheit ist bereits Realität. 

Wobei wir wieder bei dem Wahn wären. Nichts ist verbreiteter, als der Wunsch, alles zu erfassen, alles zu wissen und alles zu reglementieren. Die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung potenzieren dieses Begehren noch. Die Vorstellung, in einer Gesellschaft zu leben, in denen der Staat den Bürgerinnen und Bürgern einen Rahmen garantiert, der ihnen ermöglicht, sich nach ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten zu entfalten, ist allenfalls noch ein historisches Dokument. Der Wahn, alles kontrollieren zu wollen, bezeugt das tiefe Misstrauen gegenüber denen, die den Staat eigentlich ausmachen. 

Und wer sich nicht in die Knechtschaft dieses Wahns begibt, der steht ebenso schnell auf dem Index wie die einzelnen Symptome freiheitlich inspirierten Handelns selbst. Das Credo der Wahnhaften ist Regel und Sanktion. Das, was da zum Vorschein gekommen ist, ist ein Fall für die Pathologie und hat mit Recht und Freiheit nichts zu tun. Dass da, um auf ein bekanntes Lied zurückzugreifen, keine Einigkeit mehr zustande kommen kann, liegt auf der Hand.

Die Geschäfte werden geführt von den Handlangern des Wahns. Wer sich über die Entwicklung entrüsten möchte, braucht keine externen Feindbilder. Es reicht, das eigene Haus auszuleuchten. In jedem Winkel residiert der Wahn. Feinde ringsum? Selbstverstümmelung!