Schlagwort-Archive: Indonesien

Reisen ohne Magie

Ein indonesischer Freund meinerseits hat in jungen Jahren etwas Ungewöhnliches gemacht. Er hatte Geld gespart und wollte unbedingt nach Europa, von dem er so viel gehört hatte. Das machte er dann auch, das Geld reichte nur für die Reise, also arbeitete er und aus einem kurzen geplanten Trip wurden einige Jahre. Er hielt sich vornehmlich in Deutschland in der Schweiz auf, wo er auch seine heutige Frau kennenlernte. Als er der Auffassung war, dass er genug gesehen hatte und wieder zurück nach Indonesien wollte, hatte er kein Geld für den Rückflug. Also machte er sich so auf den Weg. Für die von ihm später mit allen Umwegen nachgerechneten 17.000 Km brauchte er ziemlich genau ein Jahr. Immer wieder nahm er Jobs an, um sich die nächste Etappe leisten zu können, mal war es ein Esel, mal ein LKW und mal ein Zug.

Heute besitzt der Freund ein Hotel an der Westküste Javas und jeder, der die Insel bereist, bekommt den Hinweis, dort in Pangandaran müsse man gewesen sein. Das liegt nicht nur an der atemberaubenden Landschaft, sondern auch an einem Gesprächspartner, der die Unterschiede zwischen den Welten so gut lesen und erklären kann. Jede Runde, zu der der Freund mit der außergewöhnlichen Geschichte gehört, erhält sofort einen anderen Horizont, wenn er dabei ist. Die Gespräche werden kurzweilig und tief, manchmal sehr philosophisch, ohne den Humor zu verlieren oder das tägliche Wehwehchen auszuklammern. Schließlich sitzt, wie man vielleicht früher gesagt hätte, ein Mann von Welt dabei.

Grund für die kleine Erzählung ist eine Beobachtung über das Reisen und seine Veränderung schlechthin. Das Reisen, so wie es der javanische Freund erlebt hatte, war Risiko, Abenteuer und vor allem ein mühseliges Lernen. Ein Prozess, auf den er aus heutiger Sicht aber nie verzichten wollte, weil gerade das ihn zu einer Persönlichkeit gemacht hat. Maxim Gorki, der als Jugendlicher elternlos und ohne Wohnsitz durch das Land zog, nannte die Straße gar seine Universität.

Das Reisen in heutiger Zeit scheint diesen Reiz, den des Ungewissen, als Chance für das Lernen, gerade völlig zu verlieren. Und die Rede ist hier nicht von dem industriell organisierten Massentourismus, der diese Tür selten in der Lage war zu öffnen, obwohl auch dort wahre Geister sich manche Erfahrungen holten, die sie sonst nie gemacht hätten. Es geht um den Reiseprozess, auf den sich Individuen einlassen schlechthin.

Der Schlüssel zur technischen, geräuschlosen Abwicklung von Reisen liegt bei den den Markt überflutenden Apps, auf denen jede Information steht, die der Reisende braucht, und um die er oder sie sich nicht mehr bemühen muss, um an das Ziel zu gelangen. Große Städte wetteifern bereits um die Exklusivität ihrer Apps, in denen selbst die öffentlichen Toiletten und der Weg dorthin exklusiv beschrieben sind. Alles, was es spannend macht, sich in der Fremde zu bewegen, die Suche nach etwas, die zum Verlaufen einlädt, der Dialog mit schrägen Persönlichkeiten, das Wechselbad im Kuriosen, alles das weicht dem einfältigen Nachlesen wie in einer Gebrauchsanleitung.

Das Fremde verliert seine Magie und wird reduziert auf die Funktionsbeschreibung von etwas ganz Gewöhnlichem. Was, neben dem Prickeln, jedoch wie bei vielen anderen Technisierungen verloren geht, von dem die Betroffenen gar nicht wissen, was es ist, ist eine humane Kompetenz, die durch einen erlittenen Lernprozess entsteht. In vielerlei Hinsicht ist es nicht von der Hand zu weisen, wenn behauptet wird, dass die Horizonte wieder enger werden.

Der kulturelle Transfer und die Barbaren

Sehr viel wird geredet und spekuliert. Vor allem über die Frage, wie ein kultureller Transfer zwischen denjenigen, die hier schon immer gelebt haben und denjenigen, die momentan in großer Zahl in dieses Land kommen, zustande gebracht werden kann. Dabei klingt immer wieder durch, dass das große Problem darin zu sehen sei, wie Muslimen beigebracht werden könne, nach welchen Werten sich die Menschen in der Republik orientierten und dass das in den Ländern muslimischer Prägung nicht so sei. Wenn etwas von der Annahme her falsch ist, dann diese Interpretation. Sie lässt einen Sachverhalt außer acht und ignoriert einen anderen.

Weder in Bildungseinrichtungen, wo sich außer den Lehrkräften mehrheitlich junge Leute aufhalten, noch im öffentlichen Raum entsteht der Eindruck, dass es einen Konsens über das gäbe, was als der sittliche Konsens bezeichnet werden könnte. Weder Werte noch die dazu gehörende Ordnung scheinen in einem überzeugenden Ausmaß sozialisiert zu sein. Vielmehr wird die Misere, mit der die Bildung hierzulande beschrieben wird, gerade an diesem Mangel festgemacht. Die Diversität von Wertvorstellungen bzw. die Nicht-Existenz solcher macht das Zusammenleben dort schwer und treibt das Lehrpersonal an seine Grenzen. Und der Begriff von Ordnung, der in der Lage wäre, das Leben bestimmter Werte zu unterstützen, wird ebenfalls nicht mehr identifiziert. Der Schluß liegt nahe, das, was gerne auch als Leitkultur bezeichnet wird, erst neu erfinden zu müssen, um qualifiziert darüber urteilen zu können, was andere erlernen müssen, um sich in dem neuen Gefüge orientieren zu können.

Andererseits ist es eine Schimäre und eine an Ignoranz kaum zu überbietende Impertinenz, alles, was zum Beispiel mit hiesigen Gesetzen kollidiert, als den Normalzustand einer muslimischen Kultur zu identifizieren. Aus welchen Quellen diese scharlatanesken Weisheiten auch immer gespeist werden, mit der Realität haben sie nichts zu tun. In der islamischen Welt existieren zum Teil diktatorische Regime, die die guten Sitten der eigenen Kultur mit Füßen treten. Das ist schlimm, kann aber überall auf der Welt beobachtet werden und es führt zur sittlichen Verrohung. Der Weg dorthin wird hierzulande auch in politischen Strömungen vorgezeichnet, die die totale Barbarisierung der Umgangsformen auf ihr Banner geschrieben haben. Dass sie es sind, die in der muslimischen Mentalität das Elend dieser Welt erblicken, ist einfallslose Demagogie, dass sie hier zum Teil auf Resonanz stößt, dokumentiert das hiesige Defizit an ethischem Konsens.

Es ist ein Thema, von dessen Bearbeitung sehr viel abhängen wird. Deshalb geht es auch an die Person. Ich selbst habe einige Jahre in einem muslimischen Land gelebt und und immer wieder muslimisch dominierte Länder bereist und dort einen starken Konsens darüber erlebt, was gesellschaftlich akzeptabel ist und was nicht. Das wichtigste, vor allem in meinem damaligen Gastland Indonesien, übrigens dem bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt, war der Respekt. Der Respekt vor anderen Kulturen, der Respekt vor den anderen Menschen im eigenen Land und der Respekt vor sich selbst. Und dieses Prinzip haben die meisten Menschen dort durchgehalten, trotz politischer Turbulenzen und Naturkatastrophen und das, was ich dort an interkultureller Kompetenz erlebt habe, stand weit über dem, was man sich hier vorzustellen in der Lage ist.

Es bleibt nichts, als zu empfehlen, sich nicht an der eigenen Unzulänglichkeit zu ergötzen und die Ursache für das Unwohlsein in anderen Kulturen zu suchen. In jeder Kultur existiert ein Verständnis darüber, was gut ist und was schlecht. Eigenartigerweise deckt ich das mit dem, was andere Kulturen ebenfalls an Verständnis hervorgebracht haben. Wenn das nicht mehr funktioniert, ist der Grund nicht selten in der eigenen Ignoranz zu suchen.

Alles Bio

Seit ungefähr eineinhalb Jahrzehnten dringen jedes Jahr im gleichen Zeitraum Meldungen über Waldbrände in Indonesien in unsere Informationsmedien. Berichtet wird dann immer von Brandrodungen, als handele es sich dabei bereits um etwas Unanständiges, was nicht der Fall ist, weil die zu einer uralten Zivilisationstechnik gehören, die weltweit existiert. Was im Falle Indonesiens empörend ist, sind die Rodungen des Urwaldes, vor allem auf den Inseln Kalimantan (Borneo) und Sumatra. Vor allem Kalimantan gehört zu den neben dem Amazonasgebiet wichtigsten Sauerstofflieferanten des Planeten. Die Brandrodungen, die dort stattfinden, haben das Ziel, die Anbaufläche für Ölpalmen zu vergrößern und den Reichtum des Dschungels gegen eine Monokultur auszutauschen. Letztere bringt Profite, uns zwar beträchtliche. Die planmäßige Entfernung eines globalen Lungenflügels hat viele Helfer und die meisten davon wohnen nicht in Indonesien.

Wo eine Nachfrage ist und ein ein Markt vorhanden, da finden sich in der Regel auch die Produzenten. Die weltweite Nachfrage nach Palmöl, einerseits als End-, aber vor allem als Zwischenprodukt für unzählige Bereiche, vom Dieselbenzin bis zum Lebensmittel, hat dazu geführt, dass die Palmölproduktion vor allem in Indonesien und Malaysia zu den Sektoren des unbegrenzten Wachstums geworden sind. Global Player wie Nestle und Unilever spielen hier eine große Rolle und ihr unstillbarer Durst nach dem Stoff sorgt bereits dafür, dass nun auch auf dem afrikanischen Kontinent der Urwald brennt, allerdings nicht so, dass er es in die Nachrichten Mitteleuropas oder der USA schaffte.

Nun existieren zwei Konzeptionen, wie der Vernichtung existenzieller natürlicher Grundlagen weltweit beizukommen ist. Isoliert führen sie wahrscheinlich zu nichts, im Verbund könnten sie etwas bewirken. Das eine Konzept befasst sich mit der Produzentenseite. In Indonesien existieren zwar Gesetze, die den Erhalt des Urwaldes und das Verbot illegaler Brandrodungen beinhalten, aber es fehlt an einer starken Exekutive, die über die Einhaltung der Gesetze wacht. Korruption ist quasi das Palmöl des schwarzen Deals, mit ihr werden die schlecht ausgebildeten, erbärmlich bezahlten und machtlosen Beamten geschmiert, die es zulassen, wenn die Feuerteufel wieder unterwegs sind. Die des Urwalds beraubten und verarmten Jäger und Landwirte sind die Massenbasis, die auf schlecht, aber immerhin bezahlte Arbeit auf den Plantagen angewiesen sind.

Dort anzusetzen ist eine immer währende und stetige Aufgabe Indonesiens, aber ohne internationale Unterstützung, vor allem beim Aufbau schlagkräftiger staatlicher Institutionen, wird es nicht gehen. Und am Beispiel Indonesien ist sehr gut zu sehen, wohin die Deregulierung und Entstaatlichung der wirtschaftsliberalistischen Doktrin führen kann. Der Markt funktioniert demnach prächtig, auch wenn die Menschen und ihr Land wie auch der gesamte Globus schwerwiegend geschädigt werden.

Das andere Konzept befasst sich mit dem Verhalten von Konsumenten und ihrer Fähigkeit, Märkte durch Nachfrage und Verweigerung mit steuern zu können. Die Schwierigkeit bei Palmöl besteht sicherlich im zweifelsfreien, für die Verbraucher identifizierbaren Nachweis, in welchen Produkten es überall verarbeitet ist. Ein weiteres Problem ist der niedrige Preis für Palmöl, das Alternativprodukte dann nur für den gehobenen, alternativen Mittelstand erschwinglich machte. Das sind ja immer die, die sich moralisch so gut fühlen, weil sie sich Konsumzuschnitte leisten können, die anderen verschlossen sind. Und neben diesen Schwierigkeiten existieren eben noch die unlogischen Akte, die nur Bürokratien, denen das strategische Augenlicht nicht gegeben ist, zustande bringen. So schreibt eine EU-Richtlinie 7 Prozent pflanzliche Öle bei Dieseltreibstoff vor. Wegen des niedrigen Preises ist es dann wohl das Palmöl. Eine ungeheure Menge, die die Brandrodungen antreibt wie der Wind. Alles Bio, oder?