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Imperien und ihre Mauern

Imperien, die beginnen, Mauern zu bauen, um ihre Herrschaft zu sichern, haben den Zenit ihrer Macht überschritten. Es geht nie nur um die Physis, es geht um die geistige Führung, die mächtige materielle Werte im Hintergrund hat. Das kann militärisches Equipment sein, das kann der unbändige Hunger der Jugend sein, es kann sich um wirtschaftliche Stärke handeln und schließlich um eine Idee, die in der Lage ist, weit über die eigenen Grenzen hinaus eine Faszination hervorzurufen, die tradierte Weisen und Wege überschreitet. Zumeist sind es verschiedene der genannten Faktoren, die ein Imperium ausmachen. Die Mauer, als ultima ratio jedoch, ist immer ein sicheres Zeichen für den bevorstehenden Niedergang.

Die chinesische Mauer hatte als Bauwerk weniger Erfolg als die Idee, sich vor den umliegenden barbarischen Völkern schützen zu wollen. Denn als Idee herrschte das Reich der Mitte fort, auch nachdem die Barbaren die Mauer selbst diverse Male überwunden und erfolgreich nach der Herrschaft im Reich gegriffen hatten.

Auch beim Limes handelte es sich um den vergeblichen Versuch Roms, am kritischen Punkt der strategischen Überdehnung halt machen zu wollen und sich vor den Barbaren aus dem Norden zu schützen. Die Idee des Imperiums blieb, es selbst, oder seine Teile entlang des Limes, gingen Schritt für Schritt verloren.

Und selbst das sozialistische Bollwerk namens DDR vermochte es nicht, trotz einer Mauer den langsamen Untergang des Imperiums einer neuen Idee, nämlich der des Sozialismus, aufzuhalten. Ganz im Gegenteil: Die Mauer quer durch Deutschland unterminierte den durch den Staat propagierten Internationalismus so gewaltig, dass das Marode der Propaganda aller Welt bewusst wurde.

Bei der hier nur im Staccato vorgetragenen Geschichte von Imperien und Mauern verwundert es gerade nicht, dass ausgerechnet der gegenwärtige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika der fixen Idee einer Mauer verfallen ist, die, wie logisch, dazu dienen soll, das Imperium vor den Barbaren zu schützen. Dabei geht er soweit, mit der Funktionsfähigkeit des Staates als Einsatz zu spielen. Alle Räder stehen still, zumindest in der Administration des Imperiums, um beim Poker um den Wall gegen die Barbaren den Zuschlag zu bekommen. Wieder geht ein Imperium ernsthaft daran, die Idee einer physischen Verteidigungslinie zu opfern. Und wieder wird am Ende der historischen Periode die Erkenntnis stehen, dass eine Mauer das Imperium nicht hat retten können.

Die Bill of Rights der Vereinigten Staaten, die in Konkordanz mit dem Spirit der französischen Revolution die universalen Prinzipien des bürgerlichen Zeitalters formuliert hatte, ist vielleicht das letzte, tragikomische Artefakt, das entstehen könnte, indem sie auf das beabsichtigte Bauwerk an der mexikanischen Grenze geschrieben würde. Denn irrsinniger könnten die Gegensätze nicht illustriert werden. 

Hier die universalen Rechte und Freiheiten, bis hin zum Recht auf die Jagd nach dem Glück, und dort der elektrische Zaun oder der gerollte Stacheldraht, der aus den unverbrüchlichen, universalen Rechten eine Provinznummer macht, die nicht nur auf das Territorium der USA beschränkt, sondern auch innerhalb der USA nur auf einen kleinen Kreis von Menschen bezogen ist. Das ist Street Art der besonderen Art, oder, anders ausgedrückt, es ist der Vordruck für die Sterbeanzeige des Imperiums.

Die Rechte und Pflichten der bürgerlichen Verfassung, aufgetragen auf eine Mauer, die andere davon abhalten wird, von dem Leben, das diese Verfassung verspricht, zu kosten. 

Strategische Kompetenz

Das Zitat wird gerne dem eisernen Kanzler Otto von Bismarck zugeschrieben. Es beinhaltet die These, dass die erste Generation die Ärmel hochkrempele und ein Imperium aufbaue, die zweite dieses Imperium zumeist solide verwalte und die dritte lieber Kunstgeschichte studiere. Was wie ein Zynismus klingt, lässt sich in der Geschichte allzu oft verifizieren. Ob Bismarck, wenn er es denn war, die Familie Krupp im Auge gehabt hat, ist weder gesichert noch wahrscheinlich. Dass es gerade auf diesen Industriegiganten zutrifft, ist wiederum nicht von der Hand zu weisen. Es ist eine interessante Übung, nach Beispielen zu suchen, die diesen Zyklus belegen. Es gibt genug davon.

Die Frage, die daraus resultiert, ist die, ob das Wort übertragbar ist. Zum Beispiel auch auf Staaten. Folgen auch sie dieser ewig wiederkehrenden Weise von Expansion, Sicherung und Sophistizierung, die letztendlich den langsamen Niedergang einleitet? Das wäre und ist keine neue Erkenntnis. Und diese Erkenntnis hat historisch eine derartige Wirkung gehabt, dass sie in manchen Historikerkreisen sogar als ein Gesetz der geschichtlichen Entwicklung betrachtet wird.

Wenn dem so wäre, dann stellte sich die Frage, wozu eigentlich noch die ganze Aufregung über den Niedergang von Systemen, die doch alle nur einem Gesetz folgen, das so ehern wie der Kanzler Bismarck ist. Sie wäre vergeblich und der Rat, der denen, die zum Aufbegehren gegen den unweigerlichen Niedergang tendieren, einfach zu raten, den Augenblick, der so vergänglich ist, einfach zu genießen und das Leben neu zu definieren.

Das Aufregende an der Geschichte ist jedoch, dass immer wieder Phänomene in den Annalen auftauchen, die die vermeintlichen Gesetze rigoros widerlegen. Nicht jedes Imperium verschwindet mit dieser Gesetzmäßigkeit wieder in der Versenkung. Viele halten sich über Zeiträume, die Generationen wie kurze Augenblicke erscheinen lassen und sollten sie einmal ins Schlingern geraten, so dauert es nicht lange und sie tauchen wieder auf. Mit der gleichen Macht und Stärke und mit der ganzen Erfahrung, die sich nicht verflüchtigt hat, sondern in weiser Voraussicht konserviert wurde.

Die Ausnahmen, ob in politischen oder wirtschaftlichen Systemen, haben bei genauer Betrachtung eines gemein: Sie haben eine Vision, die nicht erodiert ist und sie verfügen über genaue Kenntnisse, welche Gefahren in der kollektiven Mentalität schlummern. Vielleicht kommt diese Haltung in der alten chinesischen Militärweise zum Ausdruck, die so lapidar formuliert klingt. Kennst du deine Feinde, kennst du dich selbst, hundert Schlachten ohne Schlappe. Sie impliziert die genaue Beobachtung sowohl der konkurrierenden Systeme als auch die Fähigkeit, von einer höheren Ordnung das eigene Agieren genau zu studieren. Was sich dahinter verbirgt, ist nichts anderes als strategische Kompetenz, die das einzige Mittel zu sein scheint, das Weitsicht und Gegensteuerung ermöglicht. Auch dort, wo diese Fähigkeit vorhanden ist, kann es zum Niedergang kommen, aber dann handelt es sich um Entwicklungen, die tatsächlich nicht kalkulierbar waren. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Das genaue Studium dessen, was die strategische Kompetenz zu nennen ist, kann das Mittel sein, welches helfen kann, die Erosion, die die metaphorische dritte Generation vollzieht, doch noch aufzuhalten. Irgendwie scheinen das viele Menschen auch in der Gegenwart zu merken. Es wird sehr viel von Strategie geredet, was diesem Bedürfnis entspricht. Aber das schlichte Gerede von der Strategie allein macht noch keine Strategie aus. An ihr zu arbeiten, ist die Aufgabe, der sich die stellen sollten, die mit der Entwicklung der Gegenwart nicht leben wollen. Wer da noch laut tönt, er fahre auf Sicht, der hat das Tal der Perspektivlosigkeit längst erreicht.