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Ein Panoptikum der Katastrophe

Eugen Ruge. Pompeji

Die Idee ist gut! Man nehme eine historische Naturkatastrophe und schildere die Situation an ihrem Vorabend. Hinsichtlich aller Zeichen und der damit verbundenen menschlichen Reaktionen. Und schon scheint das ganze Panoptikum von Defätismus, Eskapismus, Populismus, Hysterie, wilden Geschichten und Geschäftemacherei auf, welches mit derartigen Ereignissen einhergeht. Eugen Ruge hat sich den Vorabend des historischen Ausbruchs des Vesuvs im Jahr 79 nach Christus vorgenommen und eine Geschichte erzählt, die aktueller nicht sein könnte. In seinem Roman „Pompeji“ tauchen historische Figuren wie fiktive Charaktere auf, und es wird die Geschichte erzählt, wie sie tatsächlich rekonstruiert werden kann, allerdings auch mit Figuren, die es so nie gegeben hat. Sie beginnt mit den ersten Vorzeichen eines Vulkanausbruchs und verläuft bis hin zu dem Moment der Zerstörung der blühenden Stadt Pompeji und Herculaneum. 

Erzählt wird aber auch von Handlungen und Karrieren von gerissenen Demagogen, die mal auf die eine, mal auf die andere politische Strömung setzen, von Politikern, die, bleiben sie bei ihren Routinen und streben sie nach Stabilität, von den Emotionsschüben der hysterisierten Massen an den Rand gespült werden, von Mystikern, die ihre Stunde als gekommen sehen, von Spekulanten, die sich mit Bau- und Grundstücksgeschäften bereichern und natürlich von Gerüchten, die alle Dimensionen des bisher Wahrscheinlichen sprengen und dennoch Gehör finden.

Eugen Ruge gelingt es, eine gut lesbare, durchaus unterhaltende und spannende Lektüre zu gestalten, die als eine Typologie gesellschaftlicher Reaktionen auf eine drohende Katastrophe bezeichnet werden kann. Ganz im Sinne des Brecht´schen Verfremdungseffekts spielt die Handlung im historischen Rom und ist weit genug weg, um nicht in der Hitze unserer Gegenwart missverstanden zu werden. Und dennoch ist das alles brandaktuell. Wir leben in einer Abfolge von natürlichen und menschengemachten Katastrophen, wir sehen die Versuche, die Verhältnisse zu stabilisieren, wir sehen die Populisten, die wie Pilze aus dem Boden schießen und wir sehen die Katastrophengewinnler, die sich jenseits jeglicher gesellschaftlicher Verantwortung die Hände reiben und ihren Geschäften nachgehen und wir spüren das drohende Unheil, das sich in Wellen von Angst und Aggression ankündigt.

Und dennoch: die teils historisch belegte, teils fiktive Handlung spielt im Jahr 79 und erlebt die Kaiser Vespasian und seinen nachfolgenden Sohn Titus, und die Leserschaft bekommt zu der Gesellschaftsanalyse noch ein kulturelles Panorama vermittelt, das sonst nur in Dokumentationen verfügbar ist. Vor dem Auge entsteht eine Sozialtypologie der damaligen Gesellschaft, die Lebensweise von Beamten, sozialen Outcasts, saturierten Kaufleuten und Adeligen wird lebendig, man erfährt wie die Menschen wohnten, wie sie sich kleideten und wie sie speisten. Es ist, neben dem politisch-pädagogischen Clou, auch eine Sittengeschichte des Römischen Reiches. Das ist viel, das ist mehr, als man im Hinblick auf viele zeitgenössische historische Romane erwarten kann, das ist komponiert und geschrieben in der Dimension eines Lion Feuchtwanger. Eugen Ruge hat einen Roman geblieben, der auch in Schulen gelesen werden sollte! Spannender und lehrreicher kann Literatur nicht sein! 

  • Herausgeber  :  dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 2. Edition (20. April 2023)
  • Sprache  :  Deutsch
  • Gebundene Ausgabe  :  368 Seiten
  • ISBN-10  :  3423283327
  • ISBN-13  :  978-3423283328
  • Abmessungen  :  13.4 x 3 x 20.8 cm

Die Krise als Hochzeit für schlechtes Management

Wie sollte eine Organisation geführt werden? Und wie wird sie geführt, wenn Ausrichtung und Umfeld sinnvoll abgestimmt sind? Die Akteure, die die Verantwortung haben, kennen die Strategie der Organisation, d.h. sie kennen die Ziele und den Zweck und das Selbstverständnis, sie sind in der Lage, beides nach innen wie nach außen so zu kommunizieren, dass der Prozess, in dem die Leistungen der Organisation entstehen, bekannt und akzeptiert ist. Bei Schwierigkeiten wird auf das Dargelegte Bezug genommen und nach Lösungen gesucht. Das Ziel bleibt im Auge, der Zweck bleibt bestehen, die Kommunikation über die Maßnahmen, die ergriffen werden, bezieht sich auf die strategische Ausrichtung wie auf das Selbstverständnis der Organisation. Wenn Ziel, Zweck und Selbstverständnis miteinander korrespondieren, dann ist die Kommunikation nachvollziehbar und folgerichtig. Organisationen wie Akteure, die sich dieser Erkenntnis verpflichtet sehen, bleiben handlungsfähig, auch in schwierigen Zeiten.

Krisen sind der Prüfstein, an dem ersichtlich wird, inwieweit eine innere Konsistenz innerhalb einer Organisation herrscht. Da kommt es vor, dass die Verantwortlichen dort nach den Gründen zu suchen beginnen, wo sie keine Lösungen finden werden. Da tauchen plötzlich Sündenböcke auf, die weder mit Ziel, Ausrichtung und Rahmen etwas zu tun haben. Sündenböcke zu exekutieren verschafft in Krisen etwas Zeit, zur Lösung trägt es nichts bei. 

Wie überhaupt das Phänomen Schuld in Deutschland sehr beliebt ist. Moralische Kategorien haben hier immer noch Hochkonjunktur, auch wenn Verstand und Logik gefragt wären. Wer Schuld auf sich geladen hat, der kann malträtiert werden, an dem können die negativen Emotionen abgearbeitet werden, aber, und das ist entscheidend, es handelt sich bei diesen immer wieder und gerne zelebrierten Exzessen um Schuldige nicht um gewonnene, sondern um verlorene Zeit.

Eine andere, ebenso kurzsichtige wie armselige Krisenstrategie ist der allgemeine Hinweis darauf, dass alles noch viel schlimmer kommen könnte und es daher erforderlich ist, alle Kräfte zu mobilisieren, um das durchzusetzen, was die Verantwortlichen schon immer wollten. Zumeist ist das die Bankrotterklärung des verantwortlichen Managements, weil ihnen in der Krise nichts einfällt als ein Wunschzettel, auf dem die Befreiung von allen ernsthaften Anforderungen an sie steht. 

Diese Kategorie von Krisenmanagern ist in der Regel sehr erfolgreich, da es neben der Exekution von Schuldigen noch etwas gibt, das in der Lage ist, große Kräfte zu mobilisieren: Die Angst. Wer mit ihr operiert, hat nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern bekommt auch vieles zugesprochen, was weder mit Ziel, Zweck und Selbstverständnis der Organisation zu tun hat. Das kann bis ins Absurde gehen, aber wer mit Angst und Schrecken arbeitet und sich somit im wahren Sinne des Wortes zum Agenten des Terrors macht, hat in Deutschland gute Chancen, sich als Manager mit einer guten Reputation zu etablieren. Und die Maßnahmen, die abgeleitet werden aus den Schreckensszenarien, bekommen dann noch das Testat der Systemrelevanz.

Da die absonderliche Art, Krisen zu lösen, sich auf zwei emotionale Knotenpunkte unseres Kulturkreises, Schuld und Angst, fokussieren, sind diejenigen, die auf Rationalität und Logik bauen, nicht im Fokus der Betrachtung. Hingegen genießen Hysterie und Skandalisierung einen großen Stellenwert. In der Krise wird die Hysterie zum Urzustand und der Skandal zum Mittel, um die Hysterie am Leben zu erhalten. Daher sind Krisen hierzulande die Hochzeiten für schlechtes Management.

USA: Hysterie noch untertrieben

Die Reaktion auf den Wahlausgang in den USA mit Hysterie zu bezeichnen, ist wahrscheinlich noch gemäßigt. Ein brachialer Aufschrei erschüttert die deutschen Medien und die sozialen Netzwerke und es scheint, als wäre Adolf Hitler persönlich der Gruft entstiegen und hätte sich als neuer amerikanischer Präsident verkleidet. Ehrlich gesagt, was mich mehr entsetzt, ist die Wirkung der hierzulande gezielt eingesetzten Meinungsmache, die brillant zu funktionieren scheint. Was alles in Europa und an seinen Grenzen wurde hier in den letzten Jahren hingenommen, ohne dass die jetzigen Entsetzer auch nur einen Ton von sich gegeben hätten? Schweigen herrschte bei Aggressionen und Ungerechtigkeiten, kriegerischer Handlung, Waffenhandel, Pauperisierung und jetzt, plötzlich, wird dieses Schweigen durchbrochen von hellem Entsetzen.

Die Furcht, die da mitschwingt, hat ihre Ursachen. Sie hat damit zu tun, dass es jetzt ernst werden könnte. Dass jetzt Deutschland, das völkerrechtlich eigentlich gar nicht existiert, erstmal durch einen Vertrag erwachsen werden muss und kräftig, sehr kräftig zahlen muss für Leistungen, die bis dato vom Vormund USA getragen wurden. Da muss entschieden werden, a) wohin das Land eigentlich will und b) wer die Kosten für welche Entscheidung tragen muss. Dafür die USA bzw. das Wahlverhalten der amerikanischen Bevölkerung verantwortlich zu machen, ist pubertär, mehr nicht.

Und, was ist in den USA geschehen? Eine Mehrheit der Wählerschaft hat sich abgewendet von der gesamten politischen Klasse, eine Mehrheit hat sich abgewendet von der Auslagerung der Wertschöpfung im Rahmen der Globalisierung und eine Mehrheit hat sich abgewendet, wie schon einmal, nach der Ära Bill Clintons, von der Neoinquisition der Political Correctness und der mit ihr verbundenen Arroganz. Das sind keine schlechten Nachrichten, weil die Symbolfigur dieser Welt voller Niederlagen und Verwerfungen für einen Großteil der Bevölkerung keine Mehrheit bekommen hat. Die schlechte Nachricht ist die, dass der positive, kritische Impuls zugunsten eines anderen Zeitgenossen ausfiel, der bis dato durch barbarisches Verhalten glänzte.

Noch einmal: wer die hiesigen Reaktionen betrachtet, wird, wie bei den zurückliegenden Wahlen hierzulande, beobachten können, dass keine Lehren daraus gezogen werden. Alles, das gesamte Ensemble derer, die sich auf der moralisch richtigen Seite wähnen, werden so weiter machen wie bisher, weil sie nicht bereit sind, sich selbst kritisch zu hinterfragen. Das ist die Misere! Denn wer nicht lernen will und nur noch dogmatisch und apologetisch durch die Welt zieht, wird nicht selten von einem noch größeren Dogma erschlagen. Die Zeichen, dass sich die Zukunft hier so gestalten wird, wie sie sich jetzt in den USA gebärdet, stehen nicht schlecht. Dank der ewigen Besserwisserei und des moralischen Überlegenheitsgefühls.

Und wir werden sehen, wie der Antiamerikanismus sich zu neuen Höhen aufschwingt, wie sie herabsehen auf ein Land, das an der wahrscheinlich höchsten Schwelle der Modernität steht und mit welchen Widrigkeiten und Ängsten es aufgrund dessen zu kämpfen hat. Das ist nachvollziehbar und schon einmal gar kein Grund, sich darüber zu mokieren. Vor allem aus einem Land, das es im letzten Jahrhundert auf über 60 Jahre Diktatur gebracht hat. Eine im einen Fall von den USA, im anderen von den vier Siegermächten befreite Puppenstube, der beim Gedanken an die eigene Volljährigkeit Angst und Bange wird. Wer nicht lernen will wird fühlen. Und wer nur fühlt, hat keinen Verstand!