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Die organisierte Hoffnungslosigkeit

In unterschiedlichen Gesellschaften existieren unterschiedliche Übereinkünfte darüber, wie die allgemeine Befindlichkeit zu definieren ist. Das ist nicht unbedingt identisch mit dem, was momentan als Glücksindex durch die Medien zieht, aber es herrscht sicherlich eine Beziehung zu dem Gefühl, was Glück bedeutet. Bei der eingangs erwähnten Übereinkunft geht es jedoch um mehr. Es geht um die Einstellung gegenüber dem Leben und die Haltung im Leben. Und jede Gesellschaft verharrt nicht in dem einen oder anderen Zustand, sondern sie wandelt sich und mit ihr die psychologischen und mentalen Zustände ihrer Akteure.

In den Gesellschaften des früheren Ostblocks ließ sich mehrheitlich im Zeitraffer ein solcher Wandel beobachten. Nach der Implosion der sozialistischen Staaten begannen die Menschen damit, die neu gewonnen Freiheiten zu genießen und entsprechend zu feiern. Es folgte eine von sehr großer Initiative getragene Bewegung von Gestaltung, die mit den neuen ökonomischen Strukturen an ihre Grenzen stieß und dann zu einer Depression führte, die noch andauert, aber aufgrund der Widerstandskraft, die in Jahrzehnten entwickelt wurde, auch in eine rebellische Phase münden kann. Die beschriebenen Phasen waren geprägt durch die allgemeine Übereinkunft, welche Haltung und welche Einstellung vorherrscht.

In der Bundesrepublik, der alten, sieht und sah das anders aus. Sie war nach dem Krieg geprägt von einer Aufbruchstimmung und einer Zurückerlangung des Selbstwertgefühls nach dem verlorenen Krieg. Letzteres wurde allerdings ausschließlich mit dem wirtschaftlichen Erfolg begründet. Es folgte nach einer Phase der Konsolidierung der Genuss der neu erworbenen Freiheiten und einer Rebellion der Jugend gegen das alte Establishment. Freiheit, Laisser-faire und ein uneingeschränktes Pro für die Individualisierung dominierten. Die gesellschaftlichen Kosten für die insulare Glückseligkeit hatte die eigene Gesellschaft aufgrund der konkreten Konstellation des Kalten Krieges nicht zu tragen, das besorgten für die alte Bundesrepublik, im Gegensatz zur DDR, für die schon in der Stunde Null Zahltag war, die USA. Die rebellische Phase, die einerseits mit der Aufarbeitung der Vergangenheit zu tun hatte und andererseits die Verhaltensformen einem offenen Weltmarkt anpasste, endete in den 1970iger Jahren, als die ersten ökonomischen Rezessionen eintraten und der Preis für das Dazugehören zur Weltökonomie eingefordert wurde. Es folgte mehr als ein Jahrzehnt, das bleischwer in den Köpfen hing und in der Passivität der Kohl-Ära dem ganzen Westen die Vitalität kostete.

Nach der Vereinigung traf ein euphorischer auf einen depressiven Teil der Bevölkerung. Das hatte Folgen auf die emotionale Wiedervereinigung, die immer mehr abgestumpften und desillusionierten Westler trafen auf die nahezu manischen Ostler, die Bäume ausreißen wollten, wo keine waren. Das hatte Konsequenzen, die bis heute anhalten. Letztendlich ist das Visionäre im Osten liquidiert worden und zu einer belebenden Infusion im Westen geworden. Die politische Entwicklung insgesamt hat dazu geführt, dass auch in der Skepsis der Westen den Osten majorisiert hat. Bis auf die Phase nach Kohl regierten Konservative das Land, manchmal gepaart mit den Liberalen oder den Sozialdemokraten. Was unter der Chiffre der Konsensdemokratie entstand, ist eine müde und verschlafene, mental satte Gesellschaft, die den Spirit der Demokratie hinter sich gelassen hat und für die konsequentes Handeln kaum noch vorstellbar ist. Die Gesellschaft der Bundesrepublik ist endgültig in der postheroischen Phase angekommen. Und das, was sie am besten beschreibt, ist die Formulierung der organisierten Hoffnungslosigkeit. Letzteres ist das große Band, das alle vereint.