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Versteckte Appelle und torkelnde Boten

Die Reaktion der zumeist regierenden Parteien auf den Aufstieg der AFD, oder, wie es selbst in der öffentlichen Berichterstattung ohne Gänsefüßchen heißt, der Aufstieg des Rechtspopulismus, führt zu Konsequenzen bei den Regierenden, die deutlich machen, dass wenig von dem, was den Trend ausmacht, richtig wahrgenommen wurde. Wäre das der Fall, dann würden zum Beispiel die Medien nicht mit dem Wording der angegriffenen Politik selbst in die Berichterstattung gehen. Und wäre das der Fall, so suchten die Angegriffenen nicht bei Fehlern oder Inkonsistenzen der Angreifer, sondern sie suchten nach Fehlern bei sich selbst.

Viele derer, die den Protest wählten, distanzierten sich von seinem Label. Es ging ihnen, durchaus glaubhaft, vor allem um den Schock, den Schlag ins Gesicht derer, die denken, sie könnten treiben, was sie wollten, weil sich sowieso niemand dagegen auflehnt. Soweit die Fehlannahme. Jetzt den Fokus auf das Medium der Kritik zu richten, gleicht der antiken Metapher von der Tötung des Botens, der die schlechte Nachricht bringt. Die Ursache liegt in der eigenen Politik begründet, die verantwortlich ist für Arbeitsverlust, Lohnsenkung, Subvention von Spekulation, Verhöhnung durch die staatlich monopolisierten Medien und das Verbot von allem, was der so genannte Kleine Mann sich noch leisten konnte, auch wenn es nur ein Schein von Freiheit war.

Doch die Kritisierten begreifen die Botschaft nicht. Vielleicht gelingt es ihnen noch, den Boten zu meucheln, das verlorene Vertrauen, welches sich in der Radikalisierung ausdrückt, das werden sie mit diesem Vorgehen nicht zurückgewinnen. Insofern ist die Art und Weise, wie versucht wird, die Träger der kritischen Botschaft zu verhöhnen, ebenso eine empfundene Verhöhnung derer, die nur warnen wollten. Da liegt es nahe zu vermuten, dass es nur eine Spirale ist, die nach oben zeigt. Die Bräsigkeit der parlamentarisch Herrschenden, die sich momentan bei der Koalitionsbildung wie eine Altkleidersammlung im großen Stil generiert, zerstäubt mit gnadenloser Konsequenz genau das, was letztendlich die Hoffnung auf Besserung in sich trägt: Das Erstarken einer Opposition, die konsequent und böse ist, die sich aber an die Spielregeln hält.

Es ist kein Glück festzustellen, dass die Radikalisierung der Bürgerschaft in unserem Land mit wuchtiger Tendenz wie in anderen Ländern Europas auch nach rechts geht. Es ist das gleiche Unglück, das sich allerdings ableitet aus der gleichen törichten Politik, die auch und gerade im benachbarten Frankreich zu dieser Revolte geführt hat, die bald das ganze Europa überzieht. Diejenigen, die den Begriff der Revolte traditionell für sich beanspruchten, schauen ebenso verdutzt auf das Geschehen wie die Regierenden des Kontinents, die ihren Augen nicht trauen.

Wie immer, wenn sich Dinge zügig verändern, ist es ratsam, die Augen offen zu halten und genau zu beobachten, was passiert. In den europäischen Ländern, in denen die Rechten schon seit Jahren auf dem Vormarsch und in den Parlamenten sind, hat die Barbarisierung des zivilen Lebens nicht stattgefunden, zumindest nie so schlimm, wie es schon in Teilen Deutschlands der Fall ist, ohne dass die Rechten regierten. Das lässt den Schluss nahe, doch sehr genau darüber nachzudenken, was tatsächlich hinter der Botschaft steckt, mit der ein überforderter Bote momentan ungestüm durch den Raum torkelt. Soviel ist gewiss: Es ist der Appell an alle, die bereits in Verantwortung stehen, ihr Leben zu ändern, und zwar radikal.

Hoffnung Brasilien

Die Sätze gleichen sich. Jedes Mal. Zu jedem sportlichen Großereignis internationalen Charakters, vor allem zu Olympiaden und Fußballweltmeisterschaften, starten die Medien ihre Kampagnen. Sie sollen der Bevölkerung die Länder näher bringen, in denen die Wettkämpfe ausgetragen werden. Eine ganze Armada von Journalisten, Produzenten und Analysten bereist diese fremden Orte, um mit Kommentaren, Dokumentationen, politischen Statements oder feuilletonistischer Episodik heimzukehren und uns alle irgendwie heimzusuchen. Denn, betrachtet man diese Feldzüge, mit Information hat das in der Regel wenig zu tun, mit Respekt gar nichts, mit einem imperialen Überlegenheitserguss sehr viel.

Mal werden Länder regelrecht geschreddert, wie China bei der Olympiade oder kürzlich Russland, oder sie werden total gehypt, wie damals Australien, das wohl rassistischste und weißeste Land der Welt, oder man erhebt sich, wenn die von der dortigen Bevölkerung ausgehende Sympathie erdrückend ist, über sie wie bei einem Zoobesuch. Insgesamt folgen diese Sottisen der post-journalistischen Periode dem Konzepte des ungleichen Vergleichs. Wir sind der Mittelpunkt der Welt und alles, was von unseren Standards, Gewohnheiten und Regeln abweicht, geht zivilisatorisch eigentlich gar nicht. Man wird den Eindruck nicht los, dass die Freude an Vielfalt im Keime erstickt werden soll.

Brasilien ist ein aufregendes Land. Es hat eine abenteuerliche Geschichte, in der immer der Drang nach Zivilisation, nach Entdeckung und Ausprobieren mit der wilden Natur, dem Unbezwingbaren, dem Nicht-Normierbaren kollidierte. Das hat zu den Schmerzen geführt, die die Nationenbildung dieses eigenen Kontinents birgt. Und das hat alle, wirklich alle, die in diesem Land sozialisiert wurden, zu großen Patrioten gemacht. Das ist eine Emotion, die man wahr nehmen muss, wenn man über dieses Land berichtet, und die von den meisten nicht einmal bemerkt wird.

Der Sozialist und Gewerkschaftsführer Lula da Silva, der Tintenfisch, wie er liebevoll vom Volk genannt wurde, der selbst aus den Favelas stammte und es zum Präsidenten schaffte, war derjenige, der durch seine Politik Brasilien zu einem gigantischen Sprung ins 21. Jahrhundert verhalf. Er schuf Infrastruktur, Rechtssicherheit und berufliche Bildung. Die Produktivkraftentwicklung Brasiliens manifestiert sich in dem Kürzel der BRIC-Staaten, Brasilien, Russland, Indien und China. Der Reichtum, der in den letzten 20 Jahren in Brasilien angehäuft wurde, ist immens und bietet ungeheure Chancen. Und das, was momentan als Unruhen aus einem Land der Ungerechtigkeiten beschrieben wird, sind Verteilungskämpfe um den neuen Reichtum.

Die Underdogs wollen jetzt etwas abhaben von dem großen Kuchen, der nun auf dem Tisch steht und ohne Fortschritt gar nicht existieren würde. Zu Recht geht es jetzt um Teilhabe in Form guter Gehälter, guter Bildung, vernünftiger Wohnung und passender medizinischer Versorgung. Aber ein Land, das sich für einen von Wirkungsindikatoren gesteuerten Haushalt entschieden hat, wird diese Justierungen ins Auge fassen. Die Proteste erinnern die jetzige Regierung daran, dass es höchste Zeit ist, dieses zu tun. Diesen Kontext als eine Situation zu beschreiben, in der typischerweise eine Regierung es nicht hinbekommt, geht so ziemlich treffsicher am Sachverhalt vorbei. Es geht um soziale Gerechtigkeit in einem überaus dynamischen und, wenn der Terminus bemüht werden darf, fortschrittlichen Land. Da hilft die Selbstgerechtigkeit der Betrachtung von einem Plateau der Stagnation gar nichts. Sie ist eher beschämend. Es wäre angebracht, dem wahrscheinlich momentan dynamischsten Land der westlichen Hemisphäre mehr Sympathie entgegenzubringen. Brasilien und die dort lebenden Menschen sind eine große Hoffnung. Nicht nur für sich, auch und gerade für uns.