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Die Inkongruenz von Anspruch und Macht

Was unterscheidet überregional, wenn nicht global agierende Mächte von der Bundesrepublik Deutschland? Diese Frage ist vielleicht besser geeignet, das Dilemma zu beschreiben, in dem sich das sich neu erfindende Deutschland befindet als eine nur die inneren Kräfte betrachtende Analyse. Die USA, China oder auch Russland, um es ohne Umschweife zu sagen, weisen eine starke Deckungsgleichheit zwischen ihrem Anspruch auf Einfluss und einer diesen unterstreichenden Sanktionsstärke auf. Einfach ausgedrückt, der Machtanspruch, den diese Staaten formulieren, ist im wesentlichen kongruent mit der Möglichkeit, diesen auch militärisch zu unterstreichen.

Deutschland als die in der EU erlebte neue Großmacht verfügt über eine erstaunliche wirtschaftliche Potenz, mit der sich sehr gut in die Angelegenheiten dritter Staaten intervenieren lässt, wie es sich vor allem in Südeuropa zeigt, aber die militärische Option ist aus historischen Gründen nicht vorhanden. Zum einen fuhr die alte Bundesrepublik immer unter dem militärischen Schutzschild der USA und konnte die notwendigen finanziellen Aufwendungen, die ein verstärktes militärisches Engagement erfordert hätte, in aller Ruhe zu zivilen Zwecken verzehren. Zum anderen ist nach dem faschistischen Desaster der Übergang in die Post-heroische Gesellschaft sehr schnell und reibungslos vollzogen worden und selbst eine eher profane Überlegung, wie der wachsende politische Einfluss militärisch abgesichert werden kann, führt zu einer kollektiven Empörung, die in den eingangs aufgezählten Staaten von großem Einfluss eher unbekannt ist.

Nun, an diesem Wochenende, wird sich wieder sehr konzentriert zeigen können, was zwischen dem Großmannsgehabe, das die Vertreter der Republik noch vor kurzem innerhalb der EU an den Tag gefelgt haben und dem tatsächlichen internationalen Gewicht an Defiziten liegt. Die Kanzlerin reist mit einer Delegation in die Türkei und es wäre mehr als ratsam, dem in den Größenwahn abdriftenden Präsidenten der Türkei zu zeigen, wo die Grenzen für ihn selber liegen, bevor noch weiter über die Grenzen für Flüchtlinge geredet wird. Seine Selbsttäuschung ist bereits wesentlich gefährlicher für den Weltfrieden als die Kontingente an Flüchtlingen, die zwischen der Türkei und der EU geschachert werden wie Schlachtvieh. Sehr schnell wird zu sehen sein, ob die Kanzlerin der Republik es einem Obama oder Putin gleichtun kann und den ehemaligen Kringelverkäufer in die Schranken verweisen wird.

Und kurz danach wird US-Präsident zu seinem letzten offiziellen Besuch in Hannover erwartet. Und es ist jetzt schon bekannt, dass er von der Bundesrepublik verlangen wird, sich direkt mit militärischer Präsenz an die russische Grenze zu begeben, um die NATO dort zu unterstützen. Es wäre eine Entscheidung gegen den Gründungsmythos der Wiedervereinigung, der aus dem Verständnis der Versöhnung und dem Ende des Kalten Krieges entstand. Die Frage ist, wo die Regierung steht. Betreibt sie das Ende der europäischen Verständigung, wofür seit den Balkankriegen vieles spricht, dann sendet sie auch Teile ihrer Operettenarmee, die für den Nachwuchs mit Familienfreundlichkeit und Kinderbetreuung wirbt, direkt an die russische Grenze, um zumindest dem eigenen, wiederholten Untergang schon mal in die immer noch heroisch gestimmten Augen schauen zu können. Will sie das nicht, dann sollte die Kanzlerin auch in der Lage sein, das zum Ausdruck zu bringen, und nicht durch den Äther der Allgemeinplätze schlingern.

Ein Land, das Ansprüche formuliert, die es nicht durchsetzen kann, ist eine Gefahr für sich selbst. Ihm haftet immer etwas Monströses an. Angesichts der gegenwärtigen Inkongruenz von Anspruch und tatsächlicher Macht wäre es angeraten, konsequent zu sein, d.h. Positionen zu vertreten, für die man einstehen kann und bescheiden zu sein, wenn das nicht der Fall ist.

Heroische und post-heroische Gesellschaften

Deutsche Feuerwehrleute, die mit internationalen Hilfstrupps nach Fukushima gefahren waren, berichteten von sehr merkwürdigen Geschehnissen. Ein wenig genant, aber dennoch um Wahrhaftigkeit bemüht, erzählten sie, dass sie nach nur wenigen Tagen mit ihren Kollegen aus anderen westlichen Ländern wieder unverrichteter Dinge abgereist waren. Ihre routinemäßigen Vorbereitungen für den Hilfseinsatz, die die Eigensicherung als wichtigsten Bestandteil der Prozedur in sich tragen, lösten bei den japanischen Counterparts große Verwunderung aus. Die Sorge um die eigene Unversehrtheit wurde schließlich zum Hinderungsgrund einer erfolgreichen Kooperation.

Wie die Feuerwehrleute weiter berichteten, waren die freiwilligen Hilfsangebote seitens der japanischen Zivilbevölkerung von den staatlichen Behörden kaum zu organisieren. Fast alle, die selbst ihr Dach über dem Kopf nicht verloren hatten, boten ihr Heim für die Obdachlosen an, andere organisierten Garküchen, wieder andere Kinderbetreuung und direkte Rettungsaktionen. Die japanische Bevölkerung der betroffenen Region hat sich zu einer gewaltigen demokratischen Bewegung des Desastermanagements zusammengefunden.

Heroische Gesellschaften werden als solche definiert, die über einen Konsens in der Frage des eigenen Opferbeitrages verfügen. Es existieren Werte, sei es religiös oder weltanschaulich, die einen Rang besitzen, der das Opfer der eigenen Person für das Ideal der Gesellschaft rechtfertigt. Die Geschehnisse in Fukushima und die Reaktion der japanischen Zivilbevölkerung dokumentieren in sehr starkem Maße, dass die japanische Gesellschaft durchaus noch als eine heroische bezeichnet werden kann.

Nicht nur die deutschen Feuerwehrleute, sondern auch das Verhalten der deutschen Zivilbevölkerung angesichts einer nicht direkten Betroffenheit in Bezug auf den japanischen Tsunami und die Havarie der dortigen Kernreaktoren deutet mitsamt ihren politischen Implikationen darauf hin, dass wir längst in dem Stadium einer post-heroischen Gesellschaft angekommen sind. Letzteres ist kein Makel, aber dennoch die Feststellung wert, weil aus dem Fehlen hinsichtlich eines Opferkonsenses durchaus Prognosen über die Zukunft der inneren gesellschaftlichen Entwicklungen gestellt werden können.

Post-heroische Gesellschaften leiden in starkem Maße über einen die Opferbereitschaft überlagernden Konsensverlust, der es zunehmend erschwert, politische Willensbildung mehrheitsfähig zu gestalten. Eine Interessen folgende Partikularisierung der Gesellschaft ist die Folge und selbst die privilegierten Eliten, die sich in früheren historischen Formationen für das Allgemeine verantwortlich fühlten, gleiten ab in den schnöden Vorteil der Stunde.

Und das, was in der Kommunikationstheorie als die vorhandene Psychostruktur einer gemeinsamen Intentionalität gehandelt wird, gehört ebenfalls der Vergangenheit an. Da wird so etwas wie gesellschaftliche Sinnstiftung wohl als die größte Herausforderung zu benennen sein, auf die wir treffen, in der post-heroischen Gesellschaft.