„Ich kenne die Weise, ich kenne den Reim, ich kenn auch die Herren Verfasser. Sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser.“ Mit dieser Zeile hat Heinrich Heine im Grunde genommen alles gesagt, was in Bezug auf die Glaubwürdigkeit auf das Leitungspersonal gesagt werden muss. Egal, in welcher Konstellation. Es muss allerdings präzisiert werden, dass der Anspruch, der sich daraus ableiten lässt, nur in Gesellschaften gilt, die sich auf Aufklärung und Demokratie berufen. In autokratischen und theokratischen Gesellschaften müssen die Herrschenden dem Volk nichts beweisen. Alles, was sie tun, ist höheren Ortes legitimiert. Aber dort, wo täglich die demokratischen, aufgeklärten Werte hochgehalten werden, gilt der Anspruch besonders.
Zu dem Anteil an Demokratie gesellt sich mit der Aufklärung und der Explosion des Wissens, der Professionalisierung der Forschung und der Industrialisierung die permanente Anforderung, die soziale wie wirtschaftliche Organisationen zu verändern. Der so viel beschworene wie gepriesene Wandel ist zu einer beständigen Erscheinung geworden. Und in Prozessen des Wandels werden immer wieder neue Erfordernisse an entsprechende Veränderungen im menschlichen Verhalten und Handeln formuliert. Diejenigen, die diese Erfordernisse aussprechen und die dezidiert die Verantwortung für den Veränderungsprozess tragen, sollten sich dessen bewusst sein, dass besonders in Veränderungsprozessen von allen Beteiligten genau beobachtet wird, wer sich an die neuen Regeln hält, wer dagegen opponiert und wer nur vortäuscht, sich dem Neuen anzuschließen.
Die Geschichtsbücher sind voll von gescheiterten Veränderungsprozessen. Und sie scheiterten, weil sich die jeweiligen Führungskräfte entweder schon während des Prozesses nicht daran hielten oder weil sie später, sukzessive noch schlimmer wurden als jene Akteure, die sie einmal ablösen wollten. Gut in Erinnerung ist hierzulande noch ein Kanzler, der als Bild in der Öffentlichkeit immer als übergewichtiger Mann mit einer Zigarre im Mund erschien und mit Parolen wie „Maß halten“ und vor allem „den Gürtel enger schnallen glänzte“. Und die kommunistische Weltbewegung kann ein ganzen Liederbuch damit füllen, wie aus Zarenmördern neue Zaren wurden und was George Orwell in seiner „Farm der Tiere“ so auf den Punkt gebracht hat: die Restauration der Verhältnisse durch diejenigen, die sie verändert haben.
Bevor dieses jedoch geschehen kann, ist es ratsam, sich die Akteure von Veränderungsprozessen genau anzuschauen und offen in einen Diskurs über ihr Verhalten zu treten. Ist das, was sie machen, den Zielen dienlich? Führt es zu einer tatsächlichen Veränderung der Verhältnisse? Gegen welche Widrigkeiten haben sie selber dabei zu kämpfen? Was fällt ihnen selbst besonders schwer und was geht leicht von der Hand?
Eines ist sicher: Wenn sich die Protagonisten von Veränderungsprozessen nicht auf eine Diskussion dieser Natur einlassen, sondern nur in einer Diktion auf der Metaebene von den Zielen des Wandels schwafeln, dann haben sie sich den Wein bereits eingeschenkt. Er sei ihnen gegönnt, aber das Recht auf die Regie des Wandels haben sie dadurch verwirkt.
Es existiert so etwas wie die Pädagogik der Veränderung. Dazu gehört, tatsächlich das, was man von anderen fordert, auch selbst zu tun. Dazu gehört auch eine starke und auch praktisch demonstrierte Fehlertoleranz, denn wenn der Weg neu ist, werden Fehler gemacht und es ist notwendig, aus den Umständen, die diese Fehler hervorbringen, zu lernen und nicht die Akteure zu beschädigen. Das heißt also, eine starke Solidarität von oben nach untern muss beobachtbar sein. Ist beides nicht vorhanden, sollte schnell und trocken bilanziert werden, dass es sich um einen fehlgeschlagenen Versuch gehandelt hat.


Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.