Nachrichten aus Germanistan, 15. August 2014
Liebe Freunde da draußen! Kaum habe ich angefangen, mich an diesem Format zu versuchen, schon muss ich Euch so richtig in die Tiefe ziehen. Es geht einfach nicht anders. Warum? Weil die Dinge so sind, wie sie sind und weil vieles komplizierter ist, als gedacht. Anlass für die heutige Überlegung ist die immer wieder aus der Ferne an uns gestellte Frage, wie es denn sein kann, dass sich kaum Menschen von Format zu Wort melden, dass furchtbar windige Figuren Unmengen Redezeit bekommen und große Aufmerksamkeit genießen und dass ein so kulturell und intellektuell geprägtes Volk wie das Deutsche nahezu alles hinnimmt, was sich an Dummheit und gleichzeitig an Demütigung aufsammeln lässt. Und Ihr fragt zweifelnd immer wieder nach dem Zustand der Medien und nach dem Selbstwertgefühl der Bevölkerung.
Gemeint ist damit der Zustand der etablierten Medien, von den privaten, die stark monopolisiert sind bis hin zu den Öffentlich-Rechtlichen. Beide Lager sind zu einem verschmolzen und sie verbreiten ohne einen Schimmer von Schamesröte die Sichtweise von Regierung und dem großen Verbündeten der mehr denn je bestimmt, was in diesem Land zu geschehen hat. Und wer sich dem widersetzt, verliert Ansehen und zuweilen die Existenz. Zum anderen ist da so etwas wie die deutsche Schuld, die anscheinend jede Art von Demütigung rechtfertigt. Ihr sprecht das noch offen an, aber hier wird zum Beispiel die Frage, wer die Ostseepipelines gesprengt und damit einen Terrorakt gegen die kritische Infrastruktur verübt hat, wenn überhaupt, nur mit Glacéhandschuhen angefasst. Noch heißt es, trotz der öffentlichen Drohung Joe Bidens im Beisein eines wie ein Schuljunge in alten Zeiten behandelten Kanzlers, man wisse nicht wer. Und wenn, so fragen sich hier auch alle, wenn man weiß, wer es war, welche Maßnahmen wird es nach sich ziehen? Bei dem, was vielleicht am neutralsten noch als momentaner Überbau oder Nomenklatura bezeichnet werden kann, ist es relativ leicht auszumalen. Was das jedoch mit dem in Germanistan ansässigen Volke machen wird, ist noch lange nicht ausgemacht.
In einem vor genau 190 Jahren verfassten Werk mit dem Titel „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ hatte der im Pariser Exil lebende Heinrich Heine den Versuch unternommen, die Denk- wie Fühlweise der Deutschen dem französischen Publikum verständlich zu machen und näher zu bringen. Aus meiner Sicht ist ihm das nicht nur exzellent gelungen. Der ebenso manchmal riskierte Blick in die Zukunft hatte, sieht man sich den Verlauf der weiteren Geschichte an, phänomenale Kraft. An einer Stelle, an der es um die Disposition der Deutschen ging, erzählte Heine von einer Episode in einer Gaststätte, in dem ein Diskutant sich über einen politischen Mord durch einen Vertreter einer anderen Nation beklagte, der einige hundert Jahre zurücklag. Heine versuchte den französischen Lesern klarzumachen, dass in Deutschland nichts, aber auch gar nichts vergessen werde, während man in Frankreich zumeist lieber im Jetzt und in der Zukunft lebe.
Warum ich das erzähle? Weil ich zumindest glaube, dass alles, was uns hier in Germanistan in den letzten Jahren widerfahren ist, zwar nicht mehr in den Journalen steht und viele Archive bereits geschlossen sind, aber in den Köpfen der Menschen, die von vielem nicht überzeugt waren, deren Rechtsempfinden massiv verletzt wurde und deren Ehrgefühl und Würde durch den herumliegenden Unrat gezogen wurde, dass dies alles längst nicht vergessen ist. You never know where the ball rolls, wie man bei den Briten so schön sagt. Aber hier in Germanistan, da landet er irgendwann im Loch. Aber dann, um noch einmal Heinrich Heine aus der erwähnten Schrift aus dem Gedächtnis zu zitieren, werden die Adler tot vom Himmel fallen und sich die Löwen im fernen Afrika in ihre königlichen Höhlen verziehen.

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