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Die Sonnenfinsternis der Diplomatie und die Heiligsprechung der Einfalt

Auf welcher Schule wird eigentlich das Fach Eskalation gelehrt? Ich kann mich nicht entsinnen, je eine Institution in unseren Breitengraden kennengelernt zu haben, in der das der Fall war. Ganz im Gegenteil, in Schulen und Universitäten wurde zumindest meiner Generation vermittelt, dass die unreflektierte, grenzenlose und durch Gier oder Hass gespeiste Eskalation zu nichts Gutem führt. Und während meines gesamten Arbeitslebens verging kein Jahr, in dem es keine Seminare gab, in denen man Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben konnte, wie man mit Eskalation umgeht und sie wegen ihres kontraproduktiven Charakters neutralisieren kann, um wieder zu einem vernunftgeleiteten Handeln zu kommen. Und, seien wir gerecht, die Generationen nach mir haben das auch nicht anders vermittelt bekommen. Ich hatte eher den Eindruck, dass Konfrontation und Widerstand fälschlicherweise immer mit etwas exklusiv Negativem und mit destruktiven Eskalationsgelüsten gleichgesetzt wurde. Was zu einer Verzerrung und einem Verlust von diskursiver Kompetenz führte.

Umso erstaunlicher ist es, dass wir in allen Sphären der Gesellschaft von Eskalationsgelüsten belästigt werden. Von dem Versuch, kleine Probleme damit zu lösen bis zu internationalen Konflikten, in denen die Handelnden exklusiv nur über das Instrument der Eskalation verfügen. Das Kapitel des Krieges in der Ukraine ist mehr als beredt, eine Eskalationsstufe folgte der nächsten, obwohl es nachweislich Korridore der De-Eskalation gab. Und das Resultat wird immer deutlicher: man hat sich von dem Ziel, der Ukraine zu helfen, immer weiter entfernt. 

Das Gleiche zeigt sich jetzt im Nahen Osten. Noch gestern verkündete die Außenministerin, ihrerseits eine Allegorie für die Sonnenfinsternis der Diplomatie, dass sie, um Israel zu schützen, den Weg frei machen würde für die Lieferung von Kampfjets nach Saudi Arabien. Dass dieses Land seit Jahren einen Krieg gegen den Jemen führt, der seinerseits starke Bande in den Iran hat und dass dadurch der Konflikt zu einem Flächenbrand werden kann, der bereits in der ganzen Region schwelt, spielt bei dieser Kalkulation keine Rolle und dokumentiert, dass die Eskalation per se das einzige Besteck zu sein scheint, über das diese Figur, wie viele andere eben auch, verfügt. 

Es hilft auch nicht, einen Begriff wie die Zeitenwende in den Äther zu blasen, um alle Prinzipien von Vernunft und Diplomatie über Bord zu werfen und wie eine politische Klasse in der Analphase überall, wo man gerade daherstolziert, seine stinkenden Haufen abzusetzen. Gefragt ist das, was Millionen Menschen in diesem Land täglich tun: bei der Arbeit, im sozialen Umfeld, bei ihrem Engagement in welchen Kreisen auch immer. Sie hören zu, sie bringen Argumente vor, sie geben denen, die sich daneben benehmen, das Signal, dass sie sie wahrnehmen. Sie lassen sie ausreden, sie unterstellen ihnen erst einmal gar nichts und sie arbeiten an Vorschlägen, wie man zu einem Weg finden kann, auf dem man sich für eine bestimmte Zeit unter bestimmten Bedingungen arrangieren kann. Stattdessen wird jede Form der Eskalation mit Hass und Rache gespeist, Öl ins Feuer gegossen und die Lunten in Brand gesetzt.

Wer sich in einer solchen Situation, die seit einigen Jahren als Normalität verkauft wird, darüber wundert, dass es so langsam auch im Innern ungemütlich wird, ist in seiner Einfalt kurz vor der Heiligsprechung.