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Westliche Bilder und östliche Realitäten

Henry Kissinger, Fareed Zakaria, Niall Ferguson, David Daokui Li. Wird China das 21. Jahrhundert beherrschen? Eine Debatte

Irgendwie ist es immer noch weit weg. Zwar gilt der Spruch lange nicht mehr, dass es nicht interessiere, wenn in China ein Sack Reis umfalle, aber präzises Wissen über China ist kaum anzutreffen. Leider, wie zumeist, wird der Name des Landes nur ausgerufen, um unheilvoll zu drohen. Das hat Konrad Adenauer schon gemacht, seither hat das Land allerdings zahlreiche Revolutionen hinter sich gebracht. Unbestritten ist seine Stärke, zumindest was die gegenwärtige Wirtschaftskraft anbelangt. Militärisch ist man sich schon nicht mehr so sicher. Was die politische Liberalität anbetrifft, so ist der Ruf verheerend. Kurz, es lohnt sich, endlich gegen Unwissen über China etwas zu tun.

Wie geschaffen für einen Einstieg in die Komplexität des Themas sind Diskussionen verschiedener Fachleute, die sich dem Thema mit kontroversen Thesen nähern. Da ist es gut, dass zum Beispiel die Munk-Stiftung in Kanada derartige Foren organisiert. Im Jahr 2011 war das Thema Wird China das 21. Jahrhundert beherrschen? Eingeladen dazu wurden zwei renommierte Verfechter der These, dass dieses so sein wird und zwei ebensolche Gegner. Namentlich handelte es sich dabei um den Inder Fareed Zakaria, seinerseits bekannt als prominente Figur bei CNN, den Chinesen David Daokui Li, Professor für Wirtschaftswissenschaften und Managementlehre und Top-Berater der chinesischen Zentralbank und die beiden Amerikaner Niall Ferguson, Professor für Geschichte in Harvard und Henry Kissinger, seinerseits früherer Professor und Außenminister der USA.

Während das ganze Szenario der Veranstaltung doch ein wenig an Casting-Shows erinnert und den Eindruck erweckt, etwas deplaziert zu sein liefert sie doch eine Reihe an Informationen und Erkenntnissen, die wichtig sind, um das Land China und sein Agieren besser verstehen zu können. Und es ist bei einer derartig komplexen Angelegenheit eminent wichtig, sich dessen bewusst zu sein, dass Verständnis die Voraussetzung für eine Prognose der Entwicklung ist, was, nebenbei bemerkt, allzuoft vergessen wird.

Die in dem Büchlein dokumentierte Debatte gibt Auskunft über das chinesische Selbstverständnis, dem territoriales Hegemoniestreben schon immer fremd war, es vermittelt Einblicke in die Langzeitdimensionen, in denen dort Politik geplant wird und die sich radikal von der Geschwindigkeit wie Halbwertzeit westlicher Politikkonzepte unterscheiden. Man erfährt über den Langmut chinesischer Planungsprozesse genauso wie über das langsame Umstellen der Wirtschaft vom gigantischen Export an Billigprodukten hin zu einer qualitativeren Bedienung des Binnenmarktes, was übrigens schwerwiegende Folgen für die westlichen Märkte haben wird, und man erhält Einblicke in die dramatischen Entwicklungen, die der Demographie des Landes aufgrund der Ein-Kind-Politik bevorstehen. Und es wird aufgeräumt mit dem Irrglauben, China sei eine exklusive Exportnation. Die Bedeuung des chinesischen Marktes für viele andere asiatische Länder als Exportmarkt bedeutet eine Kohäsion innerhalb Asiens, die im Westen meistens nicht zur Kenntnis genommen wird.

Ebenso wird die Strategie Chinas auf dem afrikanischen Kontinent skizziert, die getragen wird von der Notwendigkeit, an strategische Rohstoffe zu kommen. Und es werden Probleme thematisiert wie der langsame, zu langsame Prozess einer poltischen Systementwicklung, wobei deutlich wird, dass der Westen schlecht beraten ist, sich selbst zu suggerieren, die Blaupause für die chinesische Staatsform der Zukunft läge in den Verfassungsarchiven des Westens.

Neben eher weniger zugänglichen Informationen über China erhält die Leserschaft aufgrund des Szenarios der Kontroverse auch eine ganz gute Übersicht über die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Land aus verschiedenen Blickwinkeln dieser Welt. Daher ist das kleine Buch exzellent dazu geeignet, sich dem überaus komplexen Thema zu nähern.

Ein Weltreich aus Geld, Schnaps und Zeit?

Was wäre die Weltpolitik ohne das Boulevard! Zuverlässig besitzt es seit vielen Jahren die Chuzpe, die Machtverhältnisse im Gefüge der Menschheit zu erklären und zu bewerten. Und spätestens seit der Mutation der Bezeichnung eines Menschen, den man Analytiker nennt hin zu einem, bei dem das artifizielle Wort Analyst vollkommen ausreicht, sind die seichten Gewässer der Kolportage zu Hoheitsgewässern auf hoher See erklärt worden. Einer der Tümpel in der Region der modrigen Weltendeutung ist das Magazin Forbes. Letzteres ist ein in den USA konzipiertes und mit Regionalausgaben überall auf der Welt vertriebenes Magazin für Politik, Wirtschaft, Technologie, Kultur, Lifestyle und eben alles, worüber der gebildete Weltbürger so gerne schwadroniert, wenn er am Buffet oder auf dem Golfplatz steht.

Und als handele es sich um eine Casting-Show im Unterschichtenfernsehen, so werden jährlich die jeweils mächtigsten Männer und Frauen gekürt. Weltweit, versteht sich. Angesichts derer, die in den letzten Jahren ausgedeutet wurden, wird immer wieder deutlich, dass das, was Forbes unter Macht versteht, etwas mit Marketingwerten und positivistischen Einschätzungen zu tun hat, aber nichts mit Verfügungsgewalt im politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Sinne.

Lassen wir einmal den Machtwechsel bei den Frauen beiseite, nämlich von Angela Merkel zu Christine Madeleine Odette Lagarde, von der Kanzlerin einer militärisch schwachen, aber wirtschaftlich starken Republik zur Chefin der Weltbank, die Leitlinien für die Implementierung des Kapitalismus in den wenig entwickelten Ländern festlegt. Gehen wir zum Wechsel in der Männerriege, nämlich von Obama zu Putin. Der Präsident Russlands, ausgerechnet Russlands, soll nun der mächtigste Mann der Welt sein?

Der Anschein, dass auf der reinen Erscheinungsebene gehandelt wird ist allzu groß und bestätigt den Verdacht, dass dem Urteil keine substanzielle Analyse zugrunde liegt. Allein eine historische Betrachtung Russlands, vom Zarismus über die Sowjetunion bis heute bescheinigt zwar die Bedeutung dieses Reiches, spricht ihm aber auch imperiale Macht von Bestand ab. Zwar war es nie angebracht, Russland zu unterschätzen und alle, die dieses taten, sammelten bittere Erfahrungen. Andererseits haben weder das Zarenreich, noch die UdSSR und noch das heutige Russland den wirtschaftlichen Unterbau besessen, um es zur Weltmacht Nummer I zu bringen. Darin lag immer der Makel dieser Reiche, sie wiesen quasi als Charakteristikum immer wieder etwas auf, das die politische Analyse heute als strategische Überdehnung bezeichnet.

Der ehemalige Geheimdienstfunktionär Wladimir Putin hat es sicherlich durch viel Geschick und wenig Skrupel weit gebracht. Er repräsentiert ein politisches System, das die Transition von der monolithischen Staatsauffassung zu einer pluralistischen nicht vollzogen hat und das noch basiert auf den von der alten Sowjetunion geerbten Staatsmonopolen. Der Besitz von Gas und Öl sind die Garanten des heutigen russischen Einflusses. Die Veräußerung von Rohstoffen und die damit verbundene Geldakkumulation ermöglichten die Akquisition eines beträchtlichen Söldnerheeres, sowohl mit als auch ohne Uniform. Relikte eines imperialen Militärapparates, Petrodollars und die eine oder andere geheimdienstliche Finte allein machen aber noch lange keine Hegemonie aus, und schon gar keine, die Bestand hätte. Insofern sind die Auslassungen der Forbes-Redakteure wieder einmal ein ziemlicher Mummenschanz.

Wahrhaftiger hingegen sind die epischen Weisheiten des Landes, um das es geht. In einem der schönen Bilder, die sich die Russen zur Erklärung der Welt liefern heißt es: Tausend Rubel sind kein Geld, eine Flasche Wodka ist kein Getränk und ein Jahr ist keine Zeit. Wie klug, wie einzigartig und wie wenig positivistisch!