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Google Earth, mit politischem Blick

Was sich für viele Menschen anfühlt wie eine Katastrophe, ist entwicklungsgeschichtlich eine ganz normale Angelegenheit. Eine Weltordnung, die für einen, übrigens historisch relativ kurzen, Zeitraum Bestand hatte, ist im Prozess des Zerfalls. Wie die Zukunft aussehen wird, ist noch nicht abzusehen. Um das herauszufinden, bedarf es kluger Analysen und vor allem kalter Betrachtung. Die Hysterie, die als Begleiterscheinung des Ordnungszerfalls überall zu spüren ist, ist verständlich, hilfreich ist sie nicht. 

Ein Bild, das vielleicht hülfe bei der Beruhigung der Gemüter ist das von Google-Earth. Vor allem vom emotional hochgeladenen Standort Deutschland aus wäre es ratsam, weit nach oben zu zoomen, um zu sehen, wie klein sich der eigene Standort im Weltkonsortium ausmacht und zu entdecken, dass es nicht um die provinziellen Konflikte geht, sondern dass bereits richtig große Player auf der Bühne stehen, gegen die mit Luxuslimousinen und dem einen oder anderen Fußballspieler nicht viel auszurichten sein wird.

Während die USA seit der Weltfinanzkrise im Jahr 2008 den Tribut für ihre strategische Überdehnung bezahlen, haben andere ihren Anspruch an gravierende Mitsprache zunehmend angemeldet. Der taktische, nicht strategische, Rückzug der USA, denn der Anspruch auf Hegemonie ist auf keinen Fall erloschen, hat für die Staaten Europas, die in der EU organisiert sind, harte Konsequenzen. Lösten sie das ein, was die USA von Ihnen verlangten, nämlich die Übernahme von Aufgaben und Kosten vor allem im militärischen Bereich, dann würde das nicht nur teuer, denn es brächen alte Wunden auf. Wie reagierten denn die anderen europäischen Staaten, wenn Deutschland wieder zur größten Militärmacht auf dem Kontinent avancierte? Darüber direkt gesprochen wird nicht, aber die schnelle Zusage an die USA, den Forderungen Folge zu leisten, bedeutete genau das. Und wenn dem nicht nachgekommen wird, welche Rolle spielte dann das selbst ernannte Europa noch?

In Syrien zeigt sich gegenwärtig, was der taktische Rückzug der USA bedeutet. Zum einen eine Chance für die von einem Krieg Gebeutelten, zum anderen stoßen Mächte wie Russland aufs Feld und selbst die Restauration des osmanischen Reiches wittert ihre Chance. Die Lage ist komplex wie kompliziert, und den Charakter erhält sie aufgrund eines Sammelsuriums von Fragen nationaler, ethnischer, religiöser wie wirtschaftlicher Interessen, die alle miteinander verwoben sind und die nur gelöst werden könnten, wenn ein jahrelanger, international getragener Friedensprozess für den gesamten Nahen Osten begänne, der versuchte, das alles zu entflechten und zu einer neuen Ordnung zu formen. Gegenwärtig ist das Verlangen nach geostrategischen Vorteilen und nach Zugriff auf Rohstoff zu stark, als dass davon geträumt werden könnte.

Wie insgesamt, weltweit, die Messe noch längst nicht gelesen ist. Da schlingern die USA, Russland kehrt zurück auf die Bühne, China ist erstarkt, weiß aber um die Risiken eines globalen Showdowns und ist klug genug, um diesen nicht zu suchen. Indien wäre noch so ein Riese, der mitspielen könnte, wenn er nicht der eigenen Diversität zum Opfer fällt und sich selbst meuchelt. 

Die USA, China, Russland, Indien und Europa. Das hieße, Südamerika, Afrika und die islamische Welt blieben wieder einmal außen vor. Aber, dass sollte der Blick auf Google Earth vermitteln, kein Moralist im Büßerrock wird das entscheiden, sondern reale Interessen und Kräfteverhältnisse. Und vielleicht noch der Hinweis, dass es sich beim Verlauf von Geschichte um kein Wunschkonzert handelt. Vielleicht tragen solche Erkenntnisse dazu bei, dem hiesigen Hype um Bagatellen und dem Tanz um die Symbolpolitik ihren Reiz zu nehmen.

Voll auf Kurs

Alle, die meinen, sie befänden sich in einem heillosen Tohuwabohu, sei gesagt: dem ist nicht so. Die Berliner Republike ist voll auf Kurs, ohne Abweichung, nicht einmal im Toleranzbereich. Nur, und das ist die Einschränkung, es ist kein eigener Kurs, sondern einer, der in den fernen USA ausbaldowert worden ist, gegen das eigene Volk und den Rest der Welt. Das, was George W. Bush in seinen acht Jahren seinem eigenen Land verschrieben hat, wirkt jetzt in der Welt nach und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland entpuppt sich als eine Gruppe von Bushianern. Sie führt den Krieg gegen das Böse und betreibt rigoros die Politik der Globalisierung. Dabei ist sie bereit, irrwitzige Kollateralschäden hinzunehmen und führten sie auch zur eigenen Demontage.

Die Proklamation des gerechten Krieges gegen das Böse als vermeintliche Reaktion auf die Anschläge auf das World Trade Center in New York im Jahr 2001 durch den damaligen Präsidenten George W. Bush leitete einen Revisionismus ein, wie ihn die Weltgeschichte selten gesehen hat. Das erste Opfer waren nicht die armen Teufel im afghanischen Hochland, die aufgrund der Detonationen der tonnenschweren amerikanischen Symbolfracht das Gehör verloren, sondern die amerikanische Gesellschaft selbst. Alles, was dort noch an funktionierenden Verfassungsorganen und demokratisch-zivilisatorischen Errungenschaften in der Landschaft stand, fiel den Attacken der finanzkapitalistischen Generaloffensive und der Generalmobilmachung durch den militärisch-industriellen Komplex zum Opfer. Die Amerikaner selbst reden, wenn sie über das erste Jahrzehnt im neuen Jahrtausend nachdenken, von The Unwinding, der Abwicklung, und damit meinen sie das, was ihre Gesellschaft an demokratischen und freiheitlichen Grundsätzen bereit war, ihren Bürgern zu garantieren.

Und, wie es sich für eine Weltmacht gehört, waren die Grenzen sehr schnell überschritten und das Postulat einer neuen Weltordnung verkündet. Das begann mit dem Krieg gegen Afghanistan, setzte sich mit dem gegen den Irak fort und füllt mittlerweile Bände von Beispielen für einen so genannten Regimewechsel, der immer, bei jedem Beispiel und in jedem Fall, zu einer drastischen Verschlechterung der Lage der betroffenen Bevölkerung geführt hat. Die ehemaligen Herrscher oder Systeme sind weg, es herrschen Entstaatlichung und Chaos, der IWF, die 5. Kolonne der amerikanischen Hegemonialmacht, destabilisiert eine Region nach der anderen.

Auch Europa gehört zu den Opfern, die ehemaligen ost-europäischen Volksdemokratien, die nach den Schockbädern des Wirtschaftsliberalismus nun vor neuen, heftigen Kämpfen stehen, die die Region abermals destabilisieren werden, bis zur Vernichtung der europäischen Südens und der jetzigen Destabilisierung Zentraleuropas. So, wie es scheint, geht der Plan auf. Europa wird geschwächt und der einzige strategische Bündnispartner, mit dem Europa die USA ausstechen könnte, Russland, ist diskreditiert als vermeintlicher Todfeind. Schlimmer konnte Europa, das bekanntlich bis zum Ural reicht, nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Der Kampf gegen das Böse ist noch lange nicht zu Ende. Seit langem tobt ein Krieg, teils heiß, teils kalt, der nichts anderes zum Ziel hat, als den Zugriff auf die Energieressourcen dieser Welt und der dazu gehörigen Logistik zu sichern. Wäre das für die USA nicht mehr gewährleistet, so wäre das Imperium schnell Geschichte. Deshalb der Eifer in der Destabilisierung sämtlicher Weltregionen. Die Ordnung, die dem amerikanischen Zeitalter die Dominanz gewährt, ist das Chaos, die Destabilisierung von Staaten, die radikale Privatisierung und die Entmannung der Politik als Artikulations- und Gestaltungswesen des Staates schlechthin. In Anbetracht dieser Gemengelage ist die Regierung hierzulande voll auf Kurs.

Die Renaissance der alten Feindbilder

Manche können sich noch daran erinnern. Die Welt hatte klare Bilder. Da gab es die Guten und die Bösen. Wer Zweifel an den fest gefügten Bildern hatte, der hatte sehr schnell ein ernstes Problem. Da war man schnell ein Brunnenvergifter. Gemeint waren damit diejenigen, die dem eigenen Stamm die Lebensgrundlage entzogen. Und wer nicht gleich dieses Stigma bekam, dem wurde zumindest geraten, doch einfach „rüber“ zu gehen. Das war das Lager des Feindes. Kurz: Die Welt war in Ordnung.

Um es zu konkretisieren! Der Russe, oder auch der Iwan, waren die Metaphern für das Böse schlechthin. Alles, was aus dem Westen kam, war gut und alles, was aus dem Osten kam, war eine bolschewistische Verschwörung. Der wohl kurioseste Begriff aus jener Periode stammte eigentlich aus der Zeit, als die Weltgemeinschaft am deutschen Wesen genesen sollte, seitdem sprachen manche bei Opposition jeder Art vom jüdisch-marxistischen Freimaurertum. Der Russe, der stand bereits vor der Tür und wartete nur darauf, bei uns in die gute Stube eindringen zu können, um unsere Mütter, Schwestern und Töchter zu vergewaltigen, unsere Autos zu beschlagnahmen und die Fabriken abzubauen und hinter den Ural zu schleppen. „In 15 Minuten“, so sang Udo Lindenberg in seiner ironischen Weise, „sind die Russen auf dem Kurfürstendamm…“

Seitdem hat sich die Welt verändert. Zwischenzeitlich glaubte man sogar in Europa, dass die alten Feindbilder der Geschichte angehörten. Deutschland durfte sich wiedervereinigen, die Sowjetunion brach zusammen und wich einer losen Staatengemeinde mit einem russischen Zentrum, die Amerikaner konzentrierten sich mehr auf den Nahen Osten als auf Europa und ein ewiger Frieden schien auf lange Sicht möglich. Zwar gab es den einen oder andren Stolperstein bei er Befriedung Europas, wie zum Beispiel auf dem Balkan, aber selbst dort, bei dem Angriff auf Serbien, waren russische und amerikanische Soldaten auf derselben Seite.

Diejenigen, die nach 1990 geboren wurden, hatten für eine kurze Periode ihres jungen Lebens das große Glück, ohne die alten, hässlichen Feindbilder aufwachsen zu dürfen. Das ging so lange gut, wie die verschiedenen Mächte, die sie ja alle blieben, versuchten, bei ihrem Handeln die Befindlichkeiten der anderen mit ins Kalkül zu ziehen. Doch dann begannen Kräfte zu walten, die sich mit dem Status Quo nicht mehr zufrieden gaben und nach mehr Einfluss lechzten. Alte, aber ökonomisch zeitübergreifende Begehrlichkeiten, wie das Streben nach neuen Märkten und die Verfügung über Rohstoffe begannen, sich der Akteure zu bemächtigen und deren Handeln zunehmend zu beeinflussen. Und plötzlich drängte die NATO und die EU stramm Richtung Osten und Russland schmiedete Bündnisse im Nahen Osten, die Westlern die Sprache verschlugen. Und so ging das dann weiter, Schritt für Schritt, auf beiden Seiten.

Während in Russland ein archaischer Patriotismus das Denken vieler Menschen bestimmt, der vieles legitimiert und sogar fordert, ist diese Form imperialer Betrachtungsweise in bestimmten westlichen Kreisen eher rudimentär vorhanden. Als Pendant oder als Nachfolge dieser Einstellung hat sich allerdings eine genauso aggressive Weltsicht etabliert. Es ist die der moralischen Überlegenheit über den Rest der Welt. Da sind nicht mehr die arischen Gene beim Streben nach Hegemonie relevant, sondern das politisch korrekte Bewusstsein. Und obwohl das alles neu erscheint, haben wir, nicht ohne innere Logik, die Renaissance der alten Feindbilder. Auf allen Seiten: Der barbarische Russe, die faulen und korrupten Südeuropäer und der arrogante Deutsche als Überzeugungstäter. Fortsetzung folgt.