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One for the money…

George Washington war ein Mann, der sehr genau wusste, was er seinen Aufzeichnungen anvertrauen konnte und was nicht. Ihm war klar, dass das, was er da nur für sich aufschrieb, später einmal zu historischen Dokumenten höchsten Ranges gehören würde. Soviel Selbstbewusstsein war ihm eigen, weil er eine ziemlich genaue Vorstellung von seiner eigenen geschichtlichen Rolle hatte. Es ging nicht nur um einen Kontinent mit ungeheuren Ressourcen, es ging auch um eine gigantische Nation, die als Blaupause für die europäische Moderne gelten konnte. Und Washington wusste anderseits, wie sehr dieses Projekt bedroht war von den Kleinigkeiten des Alltags, den Widrigkeiten des Anfangs und der Ungeschicklichkeit derer, die nicht ahnten, in welchem gigantischen Strom sie schwammen. Die Tagebücher sind voll von Berichten über letzteres, und immer wieder schwingt die verständige, empathische, und nachsichtige Stimme eines weisen Vaters mit, wenn Washington über all das schreibt. Die Liebe, die ihm viele Nachfahren entgegenbrachten, resultiert aus dieser Zuneigung Washingtons gegenüber seinen irrenden Zeitgenossen und Weggefährten.

Nur gegenüber einer einzigen Gruppe verlor dieser weise Mann die Contenance. Es waren diejenigen, die nichts anderes im Sinne hatten als das schnelle Geld. Wie die Beulenpest, so Washington, saßen diese Gierlappen in allen wichtigen Gremien, die die militärischen Operationen gegen die Britische Krone orchestrierten. Auf jeder Versammlung tauchten sie auf und hinterfragten alles nach den Kosten und den möglichen Gewinnen. Nationenbildung oder die Schaffung staatlich verfasster Institutionen waren ihnen nur sympathisch, wenn dabei ein Geschäft heraussprang. Wenn nicht, pfiffen sie darauf. Washington, der die neue Nation mit einer demokratischen Verfassung im Auge hatte, konnte schier verzweifeln über diese primitiven Jäger nach dem Geld. Und in vielem, was sie damals vorbrachten, glichen sie jenen, die heute als Vertreter des Wirtschaftsliberalismus die Welt mit ihrem Unwesen belästigen.

Die amerikanische Geschichte hatte von ihrer Geburtsstunde an diese Seite in ihrem Charakterzug. Es ging immer um das schnelle Geld, und es waren immer Akteure am Werk, die auch eine Vorstellung von Weltordnung im Sinne hatten. Vieles von dem, was unter dem amerikanischen Aspekt in den Geschichtsbüchern steht, kann nur verstanden werden, wenn man sich vor Augen führt, dass beide Eigenschaften zumeist parallel wirken und Einfluss auf das haben, was allgemein als die amerikanische Politik bezeichnet wird.

Seit den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert gehören die USA zu den bestimmenden Imperien. Und seitdem wirken beide Prinzipien weiter. Die Schaffung einer neuen Weltordnung diente dem Geldverdienen, die Sicherung des Zugriffs auf die Ressourcen diente dem Geldverdienen und die inszenierten Regimewechsel gehören immer wieder zur Philosophie der Bereicherung. Vielleicht ging das immer wieder so durch, weil die USA gleichzeitig über das andere Narrativ verfügten, das George Washington mit begründet hatte: Die demokratischen Institutionen und der Sinn für das Recht. Dass das Streben nach Glück, welches als Recht in der Verfassung steht, oft nur eine materielle Bedeutung hat, sei dahingestellt.

Die Sanktionen gegen Russland, die gestern in den USA verlängert wurden, sind unter diesem Aspekt zu betrachten: Es geht um eine politische Aussage, die durchaus getroffen werden kann bei Betrachtung der Besetzung der Krim, auch wenn diese Aussage die Vorgeschichte etwas ausblendet. Aber die Sanktionen sind nur zu verstehen, wenn man weiß, dass es um den europäischen Gasmarkt geht. Drängt man Russland zurück, winken den USA neue Märkte und fette Gewinne.

 

Nicht nach der absoluten Macht gegriffen

Joseph J. Ellis. George Washington

Kein anderer Mythos strahlt so in die amerikanische Geschichtsschreibung wie die Figur George Washingtons. So erklärlich es auch sein mag, die Ikonisierung des Gründungsvaters der USA par excellence hinterlässt mehr Skepsis als Begeisterung. Der, der quasi alleine mit einer humpelnden Kontinentalarmee die übermächtigen Briten bezwang, der die amerikanische Nation in die Verfassung schrieb, dem es gelang, den Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Staaten von Nord und Süd während seiner Zeit herzustellen, dem Feldherrn und Präsidenten und dem bescheidenen virginischen Pflanzer. So sehr einer jeden Nation die positive Würdigung ihrer Geburt zuzugestehen ist, der helle Glorienschein verhindert Fragestellungen, die bis heute virulent sind und die hilfreich wären, um bis in die Gegenwart reichende Phänomene zu erklären.

Joseph J. Ellis, emeritierter Professor für amerikanische Geschichte am Mount Holyoke College in Massachusetts und ausgewiesener Kenner der amerikanischen Gründungsgeschichte, hat versucht, die übermächtige Figur George Washingtons realistisch nachzuzeichnen und in den Kontext zu setzen, der ihr gebührt. George Washington. Eine Biographie ist er Titel dieser Arbeit und sie ist, um es gleich zu sagen, dem Ziel einer historischen Blickschärfung im positiven Maße sehr nahe gekommen. Wie es seriöse Historiker tun, hat Ellis Quellen über Quellen studiert, um sich ein Bild von dem zu machen, was er nicht selten als Phänomen George Washington beschreibt. Und dieses, „unbestochene“ Bild konfrontiert er immer wieder mit dem nationalen, heroischen Narrativ.

Das Ergebnis ist ein entspannt zu lesendes Buch, das durchaus den Protagonisten Washington mit Wohlwollen bedenkt, ihn aber weder mythisiert noch verdammt. Da wird deutlich, dass dem jungen Militär die Ungeduld die schlimmsten Niederlagen einhandelte, während erst sukzessive die Fähigkeit des Zuwartens entwickelt wurde, welcher er wiederum die größten Erfolge verdankte. Und ohne die Faszination des Gedankens an die junge amerikanische Nation zu trüben, wird auch deutlich, dass die alles entscheidende Schlacht von Yorktown mehr durch die Initiative der französischen Alliierten als durch einen kriselnden Washington gewonnen wurde.

Die wahre Größe des für die militärischen Siege Gefeierten bestand jedoch in seiner diplomatischen Fähigkeit, eine Balance zwischen den das heutige Parteiensystem antizipierenden Republikanern und Föderalisten herzustellen. Washington, der zu den reichsten Bürgern der neuen Nation gehörte, betrachtete vieles nach seinem realen Tauschwert, was ihn vor ideologischer Überhitzung bewahrte und ihm die Geduld verlieh, auf den richtigen Moment zu warten. So gab er, der den humanistischen Grundsatz der Verfassung als höchstes Gut schätzte, seinen eigenen Sklaven erst in seinem Testament die Freiheit und thematisierte die Frage nicht schon vorher öffentlich, weil er ahnte, dass die junge Republik sich an diesem Thema bis auf die Grundmauern bekämpfen würde.

Joseph J. Ellis gelingt es, einen übergroßen historischen George Washington vor dem Auge des Lesers erstehen zu lassen, der sehr viel in seinem Leben lernen musste, dem Niederlagen nicht fremd und Siege eher unangenehm waren. Und dessen größte Tat es war, nach dem großen Sieg gegen die Briten, nicht nach der absoluten Macht zu greifen, die ihm die neuen Amerikaner begeistert gewährt hätten. Das wahrhaft Große an dieser Figur, so die vorliegende Biographie, war die der Demokratie verpflichtete Tugend. Das wiederum ist ein Maßstab, der gesondertes Lob verdient!