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Ökozid. Suizid – Bitte aufhören!

Es kann eher als eine natürliche Reaktion bezeichnet werden, wenn jetzt, zu einem Zeitpunkt, an dem zunehmend klarer wird, dass die bestehende Welt sich – wieder einmal – gewaltig verändern wird, mehr und mehr Menschen die Frage stellen, wie die Zukunft wohl aussehen wird. An vielen Orten sind Foren, Initiativen und Zirkel entstanden, die sich dieser Fragestellung exklusiv widmen. Zumeist geht es dort allerdings um Aspekte des Zusammenlebens, um die Verhältnisse in der Arbeitswelt, um die Organisation des täglichen Lebens und um die gesellschaftliche Verfasstheit. 

Letzteres enthält deshalb eine besondere Brisanz, weil es hoch politisch ist. Welche Rechte wird der Mensch brauchen, mit welchen Mitteln wird der Staat ausgestattet sein, werden Nationen noch eine Rolle spielen oder werden Staat wie Nation durch etwas anderes ersetzt werden? Vieles wird davon abhängen, welche Menschen und welche Gruppen von Menschen als das bezeichnet werden können, was man als das historische Subjekt bezeichnet. Es wird darauf ankommen, wer die Initiative ergreifen und sich politisch durchsetzen wird. Es ist spannend, und es ist brisant. Und wie immer, anhand der ausgewählten Themen kann man relativ schnell sehen, mit wem man es zu tun hat.

Mit großem Marketing-Aufwand hat die ARD unter dem Titel „Wie wollen wir leben?“ die aktuelle Befindlichkeit aufgegriffen. Mit dem Regiekniff eines Gerichtsdramas wurde gestartet, und zwar mit der Namensgebung „Ökozid“. Dort standen heutige politische Akteure vor einem Gericht der Zukunft, angeklagt wegen ihrer Politik des zu zauderhaften Vorgehens gegen den Klimawandel. Es ging um Schadensersatz. Der nächste Plot, der mir im Programm auffiel, hieß schlichtweg Gott. Dort ging es um aktive Sterbehilfe und die freie Entscheidung des Individuums, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Ethisch eine brisante und eine seit Urzeiten diskutierte Frage. Nach dem Ökozid also der Suizid. Was noch fehlt, um das Bild zu komplettieren, wäre ein Beitrag mit dem Titel Genozid. Da könnte dann das historisch bereits vorexerzierte Thema eines moralisch gerechtfertigten Krieges wie 1990 auf dem Balkan noch einmal dem Publikum nahegebracht werden. Zuzutrauen ist es den Machern.

Die Frage nach der Zukunft, um noch einmal zur Ausgangslage zurückzukommen, kann nur dann eine Attraktion entwickeln, wenn sie Chancen für menschliches Handeln beinhaltet. Und die Fragen, wie sich die Zukunft gestalten wird, richten sich auf die existenziellen Felder von Recht, Arbeit, Staat, Ökonomie, Ökologie, Kultur, von öffentlichem Raum. Wer stattdessen damit beginnt, heute Handelnden Strafen zu prognostizieren und zu thematisieren, ob man sich selbst vom Leid des Daseins befreien darf, entwirft eine lupenreine Dystopie, die mit der lebensbejahenden Frage, wie wir leben wollen, nichts gemein hat.

Die Vorgehensweise verfehlt nicht nur das Thema, sie besagt auch etwas Signifikantes über die Designer der Kampagne. Ob sie es intendieren, oder ob sie meinen, es nur bei ihrer Zielgruppe zu identifizieren: Thematisch ist es ein Konglomerat von Angst, Depression, Defätismus und Aggression. Das Thema Zukunft im Sinne einer positiven Orientierung ist bereits jetzt vollumfänglich verfehlt. Da lässt sich nichts nachbessern. Dagegen handelt es sich um ein weiteres Indiz für propagandistisches Unwesen, das sich in den öffentlich-rechtlichen Medien breit gemacht hat. Es sollte denjenigen, die sich darüber wundern, dass die Kritik an den Produkten dieser Anstalten immer massiver wird, Anlass sein, noch einmal darüber nachzudenken, was sich ändern müsste, um die Akzeptanz wieder herzustellen. 

Wie wollen wir leben? – Ökozid, Suizid? Bitte aufhören! Sofort!

„Wir sind noch da!“

Terry George. The Promise

Der nordirische Regisseur Terry George hat sich eines Themas angenommen, das bis heute politische Brisanz besitzt. Es handelt sich um den Völkermord an den Armeniern durch das türkische Militär im I. Weltkrieg. Unter dem Titel The Promise (Deutsch: Die Erinnerung bleibt) gelangte Georges Film in die Kinos und löste sofort große Betroffenheit und hitzige Debatten aus. Wie bekannt, erreichte das Thema auch den deutschen Bundestag. Dieser verurteilte den Genozid an den Armeniern in einer Resolution, was zu einer ernsthaften Verstimmung des türkischen Präsidenten Erdogans führte. Fakt ist, dass bisher alle türkischen Regierungen, inklusive der heutigen, den Tatbestand des Völkermords an den Armeniern kategorisch leugnen. Fakt ist auch, dass während des I. Weltkrieges 1,5 Millionen Armenierinnen und Armenier ihr Leben verloren.

Angesichts der immer noch vorherrschenden politischen Brisanz ist es ein Verdienst, anhand eines Films auf die Zusammenhänge hinweisen zu wollen. Und was dem Film in hohem Maße gelingt, ist die Darstellung der Konsequenz des Vorgehens seitens des türkischen Militärs und des Ausmaßes der Vernichtung. Was die Brisanz reduziert, ist die als Rahmenhandlung ersonnene  Liebesgeschichte und Ménage à trois  zwischen einer weltgewandten Armenierin, einem aus der armenischen Provinz stammenden Studenten und einem amerikanischen Auslandskorrespondenten, der furchtlos über das Morden berichtet. Diese Beziehung liefert die erzählerische Konsistenz, die nicht immer gegeben ist. Was ein Rätsel bleibt und im Film – leider – nicht versucht wird aufzuschlüsseln, ist das Ressentiment der Türken gegenüber den Armeniern. Es wird zwar deutlich, dass im Vorkriegs-Konstantinopel sehr reiche und mit großem Einfluss agierende Armenier leben, mehr aber auch nicht. 

Mit Ausbruch des I. Weltkrieges beginnt das Gemetzel, dass in seiner filmischen Schilderung in vielem an den deutschen Holocaust erinnert. Die Zuschauer werden Zeugen großer Grausamkeit und einer verzweifelten Flucht, weil es heißt, dass französische Kriegsschiffe am Schwarzen Meer zu einer Rettung bereit stehen. Eingebaut ist auch der historisch verbürgte Aufstand armenischer Flüchtlinge am Berg Musa Dagh, der in der Filmhandlung kurz vor der tatsächlichen Rettung von viertausend Flüchtlingen, darunter einige hundert Waisenkinder, durch ein französisches Kriegsschiff steht. Dazu sei an dieser Stelle Franz Werfels „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ als Lektüre geraten.

Der Film endet mit einer Szene aus dem amerikanischen Exil aus dem Jahre 1942. Einer der Protagonisten ruft vor Schulabsolventen, die sich zum Teil zur amerikanischen Armee gemeldet haben, einen Trinkspruch aus. Die Anwesenden sind die damals gerettet Waisenkinder, die nun bereit sind, in den II. Weltkrieg zu ziehen und zu kämpfen. Die Quintessenz des Toasts: Wir sind noch da!

Der Film The Promise liefert einen wichtigen Beitrag zur Erinnerung des Völkermords an den Armeniern. Er wäre auch ohne Hollywood-Romanze und ohne Devotionalie gegenüber den USA ausgekommen, ohne das Verdienst als Land des Asyls schmälern zu wollen, doch es verzerrt, weil die eigentliche Domäne der Exil-Armenier Frankreich wurde. Abstriche, aber dennoch sehenswert. Übrigens: Böse Kritik und Verleumdungsklagen aus der Türkei, wo der Film nicht gezeigt werden darf.