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Talking ´bout my Generation

Jede Generation hat ihre Geschichte. Jede Generation hat ihre Soziologie. Jede Genration hat ihren Mythos. Es hat etwas damit zu tun, was von außen beobachtet werden kann und es hat etwas mit dem Gefühl zu tun, das die Generation repräsentiert. Jede Generation existiert objektiv wie subjektiv. Obiges Bild sandte mir ein Schulfreund zu. Wir hatten Jahrzehnte keinen Kontakt. Als wir uns im Netz fanden, war das erste, was er mir schickte, All Along the Watchtower von Jimi Hendrix, ein Stück, das wir damals oft gehört hatten und dann dieses Bild. Obwohl weder er noch ich auf dem Bild zu sehen sind, wusste ich, was er damit ausdrücken wollte. Ich war berührt, weil es zutreffend genau das zum Ausdruck brachte, was unsere Generation in der Stunde ihres Aufbruchs ausmachte: Die Chuzpe, das Tempo, die Naivität und die Verletzlichkeit. Talking ´bout my Generation, das ist keine Veranstaltung für Nostalgiker, sondern eine sehr seriöse Sache. Hätten wir nicht rebelliert, wären wir kollektiv untergegangen. Das ist unser Gründungsmythos und die bittere Wahrheit, die wir mit ins Grab nehmen werden. Alles andere ist Folklore.

Es ist immer wieder belustigend, sich anzusehen, wie die älteren Generationen in Gesellschaften über die Jugend klagen. Es hat zumeist damit zu tun, dass die Zeiten andere werden, sich die Themen ändern, die Erkenntnisse andere sind und sich die Jüngeren die Aufgaben, die anstehen, besser zutrauen. Das wird auch immer so bleiben. Wer sich damit aufhält, verschwendet seine kostbare Zeit. Was auch immer so war, das ist die Tatsache, dass jede Generation eine vor sich und eine nach sich direkt erlebt. Und es ist ratsam, sich ein Gesamtbild zu machen.

Meine Elterngeneration war die, die die schlimmsten Taten des XX. Jahrhunderts direkt erlebt hatte oder sogar an ihnen beteiligt war. Faschismus und Krieg, die große Barbarei, verträgt bis heute keinen Vergleich. Es ist verständlich, dass diese Generation alles vergessen wollte, was sie gesehen hatte. Sie schämte sich regelrecht dafür, in diesen Zeiten gelebt zu haben. Meine Generation hat sich selbstgerecht dagegen erhoben und das Schweigen zu brechen versucht. Das endete oft in schlimmen Verwerfungen, weil die Scham oder die Wirklichkeit der Angeklagten das Erträgliche überschritten. Vieles haben wir nicht oder sehr spät begriffen. Und wenn wir es begriffen haben, so haben wir es nicht verarbeitet. Zum Beispiel, dass bis heute jede Generation zwei Geschichten hat, die erzählt werden müssen, nämlich die der Frauen und die der Männer. Ich würde mich freuen, wenn Frauen meiner Generation mir ein Bild zusenden würden, das sie als repräsentativ für ihre Generation erachteten.

Die spannende Frage ist die, wie sich die neue, nachfolgende Generation selbst definieren würde. Was macht sie aus, wie sieht sie meine Generation und was wirft sie ihr vor. Auffällig ist, dass jede Generation eine eigene Perspektive hat, die parteiübergreifend und politisch diskutabel ist. Das ist eine interessante Erkenntnis und deshalb werfe ich die Frage auf. Meine Vor-Generation hat den Krieg erlebt und versucht, ihn zu verdrängen, wir selbst haben geschworen, dass so eine Barbarei nie wieder vorkommt. Und die Nach-Generation? Hat sie ein Bild von ihrer historischen Rolle?

Talking ´bout my Generation, wir sollten noch einmal deutlich machen, dass unbegründete Hierarchien und kriegerische Aktionen mit dem Mittel konsequenter Rebellion beantwortet werden. Schließlich muss was bleiben für die Geschichtsbücher.

Die ewig junge demographische Keule

Es ist auffällig und dennoch schweigen nahezu alle. Die demographische Kurve unserer Gesellschaft weist momentan eine starke Abweichung von der Normalverteilung auf. Um es populär und auf der Erscheinungsebene auszudrücken: Es gibt zu viele Alte und zu wenig Junge. War die Nachkriegsbevölkerung in Form einer Pyramide abbildbar, in der eine starke jugendliche Basis für große gesellschaftliche Dynamik sorgte und einer relativ geringen Zahl an Alten, so haben der Wandel der Familie, die wachsende Individualisierung sowie die Pille dazu geführt, dass sich nun die Pyramide gedreht hat. Einer relativ schwachen jugendlichen Basis steht ein übermäßiger Kopf an Alten gegenüber. Aber, das sollte nicht vergessen werden, bei allen prognostischen Diskussionen, auch diese Phase ist temporär. In einem Vierteljahrhundert ist mit einer Versäulung des Bildes zu rechnen. Das wird weniger dramatisch sein, als die Endzeitphilosophen heute der Öffentlichkeit weis machen wollen.

Die demographische Struktur einer Gesellschaft hat eine hohe soziale Brisanz. Denn Biologismen bestimmen in starkem Maße die Bewegungsrichtung einer Gesellschaft. Überwiegend junge Gesellschaften, in vielen Schwellenländern sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter 25 Jahren, streben nach vorne, ein großer Teil der Bevölkerung möchte etwas abhaben von einem Kuchen, der erst noch gebacken werden muss. Provisorische Lebensumstände werden als Normalität auf einem Weg zum Besseren akzeptiert. Überalterte Gesellschaften hingegen sind auf Besitzstandswahrung aus, sie streben nach Sicherung und Schutz. Der Ausbau der Sicherheitsvorschriften, einhergehend mit einem zunehmenden Bedrohungsgefühl, und die Ausdehnung des Verbraucherschutzes innerhalb unserer Gesellschaft sind solche Phänomene, die typisch sind für eine Überalterung.

Das alles kann ganz entspannt betrachtet werden, solange nicht die ein demographisches Gefüge dominierenden Kohorten versuchen, ihre Position zu missbrauchen und Dinge zu beeinflussen suchen, die außerhalb ihrer ethischen Kompetenz liegen. Ein Beispiel für das Gegenteil sind die Rollen der verschiedenen Generationen in so genannten Naturvölkern, in denen eine demographische Normalverteilung vorherrscht. Da hat jede Generation ihre definierte Rolle im Gesamtgefüge, d.h. sie sind pars pro toto, Teil des Ganzen. So verstehen sie sich auch selbst und so agieren sie. Die Jungen warten und durchlaufen bestimmte Rituale, bevor sie dem Privileg von Macht und Verantwortung zugeführt werden. Und die Alten besitzen die Weisheit, dann, wenn ihre Wirkungsspanne auf die Zukunft zu gering wird, sich aus den öffentlichen Belangen zurückzuziehen.

Die als Überalterung bezeichnete Situation unserer gegenwärtigen Gesellschaft verweist in diesem Zusammenhang auf ein nicht zu unterschätzendes Problem. Es besteht in der fehlenden sozialen Demut der Alterskohorte, die momentan die Pyramide auf den Kopf stellt. Um nur zwei Bespiele zu nennen: Bei dem Volksentscheid in Hamburg, in dem es um eine Ausdehnung des Grundschulaufenthaltes um zwei Jahre ging, waren es die über 65-Jährigen, die die Reform zu Fall brachten und bei Stuttgart 21 sind es vor allem Vertreterinnen und Vertreter der Generation, die das Bauende kaum noch erleben dürften, die den Widerstand gegen das Projekt am vehementesten organisieren. Derartige Entwicklungen werden zu einem tiefen Riss zwischen den Generationen führen. Zu vertreten werden diejenigen ihn haben, deren gesellschaftliche Verweildauer absehbar ist. Wenn das kein Egozentrismus ist.

Zwerge auf den Schultern von Riesen

Wenn die Moderne eine Idiotie hervorgebracht hat, dann bezieht sie sich auf die Entwertung dessen, was in der Vergangenheit geschaffen wurde. Den höchsten Wert repräsentiert immer das Brandaktuelle und Neue. Eine analoge Bewertung erfahren auch die Zeitgenossen. En vogue und hip sind diejenigen, die quasi direkt aus der juvenilen Sozialisation heraus ihre Fähigkeiten entwickeln. Diejenigen, die ganze Epochen der Entwicklung hinter sich haben, gelten hingegen als Auslaufmodelle und antiquiert. Aus dieser Betrachtungsweise ist die Falle des forever young entstanden, die nichts anderes ausdrückt als die Diskriminierung des Alters und schon einmal gar nichts mit dem Sprichwort aus New Orleans zu tun haben, auf das sich Bob Dylan in seinem berühmten Song bezog. Dort geht es nämlich nicht um die Diskreditierung des Alterungsprozesses, sondern um die Konservierung der Neugier und des Engagements.

Betrachtet man nun das Wesen der Moderne, das in erster Linie gekennzeichnet ist durch die Beschleunigung von Entstehungs- und Alterungsprozessen, die unter dem Begriff der Akzeleration figurieren, dann leitet sich daraus ab, dass die Verdichtung von Innovation der eine Aspekt der Moderne ist. Anhand der Kette technischer Innovationen, die permanent unsere Lebensbedingungen durchdringen, lässt sich diese Entwicklung sehr gut dokumentieren.

Der andere Aspekt, und aus einem anthropologischen Räsonnement heraus betrachtet der entscheidende, ist allerdings die Kompetenz der zeitgenössischen Individuen, mit dem Prozess der chronischen Revolutionierung Schritt halten zu können. Dazu bedarf es nämlich einer sehr robusten psychischen Verfasstheit, weil permanenter Wandel viele Unwägbarkeiten beinhaltet sowie der Fähigkeit, kognitiv und analytisch die neuen Verhältnisse zu erfassen und die Fähigkeit, immer wieder Neues zu erlernen. Die Absurdität, vor der wir in diesem Kontext stehen, ist die Diskriminierung gerade der Generationen, die die höchsten Anpassungsleistungen bereits vollbracht haben.

Die Generation derer, die in der laufenden Dekade aus dem Arbeitsleben scheiden werden, haben begonnen in einer Arbeitswelt, in der es weder Computer noch Handys gab, in der auf Schreibmaschinen getippt wurde, mit Matrizen vervielfältigt, in der Produktion mit Körperkraft gewuchtet wurde, Kommunikationswege Ewigkeiten in Anspruch nahmen und Innovationen jahrelang Bestand hatten. Sie haben die ständige Beschleunigung meistern können, weil sie sich als Subjekte fühlen konnten, in der Lage waren zu strukturieren und auf eine solide Bildung zurückgreifen konnten und Charakter gezeigt, in dem sie sich erfolgreich politisch organisiert haben, um ihren Interessen eine Stimme zu geben.

Die Generationen hingegen, die in den kommenden Jahrzehnten das Arbeitsleben gestalten werden, stehen noch vor derartigen Aufgaben. Ihr technisches Know How ist nicht zu toppen, die soziale Organisation und Anpassung, das Lernen und das psychologische Anpassen an die Veränderung werden sie noch entwickeln müssen. Insofern sind sie Zwerge auf den Schultern von Riesen.