Schlagwort-Archive: Generation

Die Rolle der Generationen

Beim Aufbau und bei der Entwicklung von Organisationen kommt immer wieder eine Vorstellung auf, die aus den Fehlern der Vergangenheit resultiert. Sie geht davon aus, dass eine bestimmte Generation die Organisation vehement nach vorne bringen, oder langfristig sichern oder im jetzigen Zustand erhalten kann. Dann wird die Karte für eine Generation gezogen und die anderen, die noch vertreten sind, finden kein Gehör mehr. Letztendlich ist so etwas dann eine verhängnisvolle Entwicklung. Das hat auch eine große gesellschaftliche Relevanz. Wenn eine Generation die Geschäfte dominiert, ist bereits mittelfristig großer Schaden abzusehen. Historisch gibt es dafür unzählige Beispiele. Weder die Diktatur der Alten, noch der Pragmatismus der Mittleren und auch nicht die Radikalität der Jungen gewähren die Vereinigung lebenswichtiger Perspektiven. Wer steht für was, und warum sind die drei Generationen, die zumindest gesellschaftlich präsent sind, für eine gute Entwicklung wichtig?

Spätestens als die Proteste gegen den neuen Bahnhof in Stuttgart begannen, wurde deutlich, dass dort eine Generation dominierte, von der gesagt werden kann, dass sie bei Bauende nicht mehr unter den Lebenden weilt. Bei der Abstimmung über die Schulreform in Hamburg verhielt es sich ähnlich. Die über Sechzigjährigen hatten den Ausschlag dagegen gegeben. Bei den Bildungsreformen in den 1970iger Jahren war es umgekehrt. Die in diesem Zusammenhang gegründeten Bildungseinrichtungen wurden mit den damals Jungen exklusiv bestückt, was einen Entwicklungsstillstand von vierzig Jahren bedeutete, weil niemand mehr nachkam. Noch heute leidet unser Schulsystem darunter. Und der Historiker Götz Aly weist sehr profund auf das Ensemble der aufkommenden Nationalsozialisten hin. Es war die mit Abstand jüngste Bewegung der Neuzeit. 

Wenn es darum geht, eine Generation exklusiv zu favorisieren oder andere zu diskreditieren, ist der erste Fahler bereits gemacht. Alles spricht dafür, dass die unterschiedlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und sozialen Skills es vernünftig erscheinen lassen, alles unter einem Dach zu nutzen. In der Gesellschaft wie in Organisationen. Wenn beides funktioniert, existieren in der Regel drei Generationen von Relevanz: Die Jungen, die Mittleren und die Alten.

Die besonderen Stärken der Jungen sind in Zeiten technischer Revolutionierung offensichtlich. Sie kennen in der Regel die neuesten Trends, beherrschen die Methoden der neuesten Technologien, verfügen über die allgemein aktuellen Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik. In bestimmten Zeiten zeichnen sie sich auch durch einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn aus und tendieren zu schnellen, radikalen Lösungen. 

Die Mittleren stehen bei Betrachtungen meistens nicht im Fokus, was ihrer Rolle nicht gerecht wird. Denn sie sind in der Regel die Träger der Macht. Das resultiert daraus, dass sie immer noch im historisch aktuellen Trend liegen und dass sie die Funktionsweisen von Organisation wie Gesellschaft so gut kennen, dass sie in der Lage sind, die wichtigsten Funktionen inne zu haben. Sie sind die Generation, die die Macht ausübt, jedoch zumeist vom Tagesgeschäft absorbiert wird.

Die Alten sind weit weg von neuen Kenntnissen und Methoden, sie sind nicht selten vom Spiel der Macht verschlissen, wenn es ihnen gelingt, sich von den gewonnen Ressentiments zu lösen und wenn sie in der Lage sind, sich von selbst von der Macht zu lösen, dann sind sie eine unschätzbare Bereicherung für das Ganze, weil sie die Dimension der sozialen Auswirkungen jeder organisatorischen wie gesellschaftlichen Handlung abzuschätzen vermögen. 

Vieles spricht für eine soziale Komposition, in der jede historische Phase des gesellschaftlichen Bewusstseins und der gesellschaftlichen Befindlichkeit präsent ist.

Innovation und soziale Kohorten

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie sich die siebziger oder achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts auf die allgemeinen Lebensbedingungen ausgewirkt haben, ist es ratsam, sich Filme aus dieser Zeit anzuschauen. Dabei sticht einiges ins Auge: insgesamt geht alles langsamer, es wird unablässig geraucht und getrunken und so etwas wie einen politisch korrekten Code scheint es nicht zu geben. Es gab anscheinend weniger Stereotypie und weniger affirmative Einstellungen zum herrschenden System. Alles war dunkler, schmutziger und weniger komfortabel. Und, eigenartigerweise, viele derjenigen, die sich an diese Zeiten erinnern können, möchten das Rad nicht zurück drehen. Letzteres zeugt davon, dass wir es zumindest in Teilen mit einer Generation zu tun haben, die aus dem Raster fällt.

Zumeist werden Generationen in der Retrospektive nostalgisch. Alles, was sie erlebt haben, erscheint Ihnen aus der Ferne revolutionär, es erforderte eine geniale wie mutige Jugend. Im Gegensatz zur Gegenwart war alles besser, was in der zynischen Formulierung zusammengefasst werden kann, dass früher alles besser war, selbst die Zukunft. Entsprechend verklärt und unkritisch ist der Blick.

Die Generation, die die siebziger und achtziger Jahre als ihre Jugend definiert, ist aus heutiger Sicht in ihrer Wahrnehmung jener Zeit tief gespalten. Während der eine Teil, der sich zu einem etablierten Mittelstand im Laufe der Jahrzehnte gemausert hat und den politischen Mainstream kontrolliert, fest davon überzeugt ist, die Geschichte in eine goldene Zeit gewendet zu haben, hat der Teil, der eine kritische Distanz zu der eigenen Existenzform hat wahren können, eine sehr reflexive Sicht. Nach ihm war sowohl die beschriebene wie die darauf folgende Zeit ein Prozess der Irrungen und Lernprozesse.

Umso erklärlicher ist es, dass ein und die selbe Generation von allen anderen wahr genommen wird als eine von Triumphalismus und Defätismus zu gleich getriebene und letztendlich als volatil und instabil begriffen wird. Zur Beruhigung muss gesagt werden, dass diejenigen einer Generation, denen die soziale Etablierung gelingt, immer zur Festschreibung der eigenen Verhältnisse tendieren und die Underdogs der Revolution treu bleiben. Zum anderen ist der Riss durch eine einzige Generation selten so tief wie der durch die hier beschriebene. Die Ursache liegt in ihren sehr unterschiedlichen Lernkapiteln und der gewaltigen Innovation aller Lebensbereiche, die mit ihr in Verbindung gebracht werden müssen.

Eine relativ alte Erkenntnis der Soziologie besagt, dass die Kluft, die zwischen der selbst erlebten Sozialisation und dem tatsächlichen Hier und Heute liegt, die Dimension der eigenen Irritation bestimmt. Aus dem Blickwinkel der folgenden Generationen ist das ein epistemologischer Glücksfall. Die nämlich relativ geringe Irritation bei den per se nicht zu den Gewinnern Gehörenden zeugt von einer gewachsenen Kritikfähigkeit bei immens rätselhaften Innovationsprozessen. Das ist neu und ermutigend. Der Umstand, dass die Profiteure des Wandels zu aggressiven, wehrhaften Apologeten des Status Quo mutiert sind, sollte nicht über das tatsächlich vorhandene Lernpotenzial in der Gesellschaft hinwegtäuschen. Wenn man so will, ist das vieles auf dem Weg zum Guten, wäre da nicht die wachsende Unfähigkeit, in historischen Dimensionen zu denken. Diesem Defizit muss das Augenmerk derer gelten, die die Korridore zum totalitären Denken wie den damit verbundenen Folterkellern des freien Geistes bereits identifiziert haben. Denn nur der historische Bezug lehrt das wahre Maß der Veränderung. Es ist mit der Weisheit verbunden, dass alles nicht an die Existenz einzelner Individuen gebunden ist.

Opfer der Halbwertzeit

Fortschritt ist eine heikle Sache. Nicht nur, dass ihm Vieles, was bewährt erscheint, zum Opfer wird. Nein, auch die Menschen, die mit ihm konfrontiert sind, zerfallen in verschiedene Lager. Zum einen in diejenigen, die ihn aufhalten wollen und zum anderen in jene, die ihm zum Erfolg verhelfen wollen. Das Absurde dabei ist, dass weder das Eine noch das Andere eintritt. Wenn sich etwas ankündigt, ist es da, aber nie in der Reinkultur, in der sich die Idee präsentiert. Je weiter man in der kurzen Geschichte der Menschheit zurückgeht, desto gelassener scheinen die jeweiligen Generationen mit der Frage des Fortschritts umgegangen zu sein. Nicht, dass nicht auch schon in der Antike die Köpfe rollten. Wo neue Ideen aufkommen, da brennt es oft lichterloh und manches Gefühl dominiert dann doch das kalte Räsonnement. Aber, trotz der Tageshitze, irgendwie reflektierten diejenigen, die von uns aus gesehen in weiter Vorzeit lebten, einen immer wiederkehrenden Zyklus an Bestand und Ruin, der sie davon abhielt, hektisch zu werden. Auch nicht, wenn der Fortschritt direkt an die Tür klopfte.

Verglichen mit heute sieht das alles sehr verlangsamt aus, was aber Vorteile hat, was wir alle wissen, seitdem wir uns mit den Vorzügen der Langsamkeit und den Nachteilen des Tempos beschäftigen. Nicht nur gefühlt, sondern auch messbar werden unser Leben und die in unserem Leben stattfindenden Entscheidungen immer hektischer. Es hat nichts mit einer genetischen Entwicklung des Menschen zu tun, sondern mit den Lebensumständen, die er selbst schuf und die ihn nun zu tyrannisieren suchen. Die Dominanz der Naturwissenschaften hat dazu geführt, dass die humane Reflexion an den Rand gedrängt wurde.

 Der Terminus überhaupt, der verantwortlich zeichnet für die Beschleunigung der Lebenswelten ist der der Halbwertzeit. Alles, womit wir mittlerweile in unserem Routinealltag operieren, unterliegt dem Trend der Verkürzung der Halbwertzeit. Jede Erfindung, jede Neuerung und somit jeder Fortschritt basiert auf einer Innovation, deren Wertbestand immer kürzer wird. So ist es keine Seltenheit, wenn eine neue Maschine, ein neues Verfahren oder eine neue Methode schon den Death Letter bekommt, bevor es überhaupt zu Ende gedacht, eingeführt und etabliert wurde. Die betroffenen Menschen macht das nicht nur zunehmend verrückt, sondern es führt sie immer wieder zu der nicht unberechtigten Frage, ob diejenigen, die darüber entscheiden, ob es Fortschritt gibt oder nicht, überhaupt wissen, was sie wollen. Die Antwort kann nur lauten: Meistens Ja und meistens Nein!

Das logische Dilemma, in dem sich eine Zivilisation befindet, die auf den Fortschritt setzt, resultiert aus der Aufgabe der absoluten Dominanz menschlicher und institutioneller Entscheidungen. Nur wenn es Menschen sind, die erstens legitimiert sind und zweitens von dem Zweck getragen werden, ob es nützlich ist und die Gesellschaft weiterbringt, was da eingeführt wird, wird die Eigendynamik der rein technischen Revolution eingedämmt. Die Verselbständigung der technischen Prozesse macht aus den menschlichen Subjekten Gejagte, die mit der Beschleunigung von Wissenschaft und Technik immer fremdbestimmter werden, ohne auch noch die Zeit und Muße dafür zu haben, zu überdenken, ob dieser Trend überhaupt das ist, was sie wollen. Es genügt das Signum des Fortschritts, um sich eine scheinbare Legitimation für das Zeitgemäße zu holen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Wer keine Zeit mehr hat zu reflektieren, was er will und was er nicht will, der lebt in grauer Vorzeit.