Schlagwort-Archive: Geert Mak

Fliegende Händler, salzige Welterklärungen

Geert Mak. Die Brücke von Istanbul. Eine Reise zwischen Orient und Okzident

Der Niederländer Geert Mak gehört zu den Glücksfällen, die entstehen, wenn sich Talente in dem Beruf, den sie erwählt haben, irgendwann zu Tode langweilen. Dem gebürtigen Amsterdamer, dessen kreatives und empathisches Potenzial um einiges mehr ausgebildet zu sein scheint als das des Messens und Wiegens, hatte nach wenigen Jahren der juristischen Praxis ein tiefgreifendes Gefühl der Langeweile. Und so wechselte er schnell das Lager und wurde Journalist des Rebellenblattes De Groene Amsterdammer. Das war bereits in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Seitdem hat er sich einen außergewöhnlich respektablen Namen bei all jenen erworben, die ihrerseits vom Deutungsmainstream ebenso ermüdet sind wie von der wachsenden Seichtigkeit des zeitgenössischen Journalismus. Mak ist einer, den die Wohlfühltendenzen wenig scheren, für den es selbstverständlich ist, sich dorthin zu begeben, worüber er schreibt, und das unter der Tom Wolfeschen These: Dichter in den Dreck!

Maks Buch über seine Europareise war revolutionär, – ebenso wie sein gerade erschienenes Journal über Amerika – weil es die Perspektive des Flaneurs anreicherte mit dem Fundus des Wissenschaftlers, ohne die Freude am Lesen dadurch zu trüben. Kurz nach der eigenen Mühsal, die das Europabuch durch Reise und Recherche bei ihm verursacht hatte, begab sich Geert Mak nach Istanbul, wohl weil ihn das dortige Aufeinandertreffen Europas und Asiens besonders faszinierte. In seiner ihm eigenen Weise trieb es ihn genau dahin, wo es geographisch nicht kondensierter zugehen könnte, auf die Galata-Brücke über den Bosporus. Unter dem Titel Die Brücke von Istanbul. Eine Reise zwischen Orient und Okzident erschien so ein schnell lesbares, aber perspektiven- und faktenreiches Buch, das wie ein Reisejournal beginnt und gefühlt wie eine historisch-philosophische Abhandlung endet.

Obwohl das Buch bereits 2007 erschien und vieles, von dem Mak dort berichtet, bis ins Altertum und Mittelalter zurückgeht, ist das Wissen um die Struktur der außergewöhnlichen Metropole Istanbul, das durch die vor allem skizzierten Gespräche genährt wird, durch die jüngsten politischen Ereignisse in der Türkei überaus wertvoll. Geert Mak lebte wochenlang auf der Galata-Brücke und spann bis zur Freundschaft reichende Beziehungen zu denen, die quasi dort leben, oder die meiste Zeit des Tages verbringen. Er wurde der Teefreund des Sohlenverkäufers wie des Buchhändlers, er kannte die fliegenden Frisöre wie die Taschendiebe, Zigarettenverkäufer und Schuhputzer. Mak erzählt von ihren alltäglichen Sorgen, der Funktionsweise der Brückenökonomie und ihren philosophischen Reflexionen.

Das Themenspektrum dieses außergewöhnlichen Berichtes reicht vom Niedergang Konstantinopels bis zur Gründung Istanbuls, von der kulturellen Zweiteilung der Stadt zwischen Okzident und Islam, Moderne und Tradition, Aufklärung und Loyalität, Mode und Bestand, und die Welt aus der Sicht moderner muslimischer Frauen. Die Leser erfahren sehr viel über die Motivlagen der Menschen dort, die sich wie selbstverständlich zwischen den Kulturen hin und her bewegen, und die ihre Erklärungsmuster mal als Hilfe, mal als Bürde mit sich herumschleppen, aber meistens nie die Zeit dafür haben, das eigene Weltbild zum Dogma zu erheben. Der tägliche Überlebenskampf verlangt andere Qualitäten als den kulturellen Purismus von ihnen. Vielmehr sind es Größen wie Toleranz und sehr praktische Solidarität. Da fragt dann keiner mehr, woher einer kommt oder geht, sondern wo er gerade ist und was er braucht.

Wieder einmal ist dem Autor Geert Mak ein großer Wurf gelungen, in der Schwebe gewissermaßen, und während er uns von den Brückenbewohnern die Welt in ihrer Vielschichtigkeit mit einfachen Worten erklären lässt, riechen wir sogar das Meer. Großartig!

Ein Logbuch der amerikanischen Seele, eine zeitgeschichtliche Enzyklopädie

Geert Mak. Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten

John Steinbeck, der große Erfolgsautor Amerikas in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts, hatte gegen Ende seiner Schriftstellerkarriere das Gefühl, dass ihm sein eigenes Land mental entglitten war. Während er viele Jahre durch die Welt reiste, hatte das Amerika, das er von der Pike auf kannte, enorme soziale und politische Umwälzungen erlebt, denen er nachspüren wollte. Im Jahr 1960 machte er sich mit dem Hund seiner Frau, Charley, in einem Pickup auf die Reise durch das große Land, von der Ostküste entlang der großen Seen zum Pazifik, die kalifornische Küste entlang und dann von West nach Ost, von Monterey bis New Orleans.

Genau fünfzig Jahre später, 2010, machte sich der niederländische Journalist Geert Mak, dem wir so grandiose Bücher wie Das Jahrhundert meines Vaters und In Europa verdanken, auf die Spuren dieser Reise John Steinbecks. Unter dem Titel Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten versucht Geert Mak die Seele des Amerikas, das so erfolgreich immer wieder mit Klischees behaftet wird, zu rekonstruieren. Dabei gelingt ihm ein Kunststück, das für seinen großartigen Journalismus spricht und das Buch zu einem Muss machen wird für alle, die sich mit der Befindlichkeit der USA ernsthaft auseinandersetzen wollen: Zum einen rekonstruiert Mak die Reise Steinbecks und vergegenwärtigt mit ihr die Zeit und den Wandel der USA vom Kriegsende bis 1960, zum anderen zeigt er Tendenzen und Entwicklungen im neuen Jahrtausend auf und benutzt diese als Kontrastmittel für das, was Steinbeck erlebte.

Das Reisetagebuch Geert Maks ist vieles in einem: eine Reisedokumentation im ursprünglichen Sinn des Wortes, eine kritische Hinterfragung des selbst Erlebten durch atemberaubende Recherchen und eine wissenschaftliche Hinterlegung der eigenen Schlüsse, von Materialen aus der Sozialstatistik bis hin zu neuesten Versionen der zeitgenössischen Historiographie und der politologischen Deutung. Mak ist nicht nur die Strecke abgefahren, sondern er hat jahrelang recherchiert, um der Leserschaft diese Qualität präsentieren zu können.

Die Ergebnisse, die dieses Reisetagebuch enthält, bestätigen vieles, das die kritische Rezeption dieses Kontinents der Neuen Welt bereits wusste: Dass dort nichts so ist, wie es scheint, dass die Geschichte bis zum Stichtag 1960 geprägt war von Mühsal und Arbeit für das Gros der Bevölkerung, dass es immer nach oben ging, woraus sich der berüchtigte Optimismus erklären ließ, dass die Provinz die Mentalität dieses Landes viel mehr prägt als die Metropolen, dass viele Entwicklungen, vor allem in Ökonomie und Politik, den späteren europäischen Weg stark beeinflussten und dass das kollektive Bewusstsein und das Zusammengehörigkeitsgefühl lange Zeit prädestiniert war durch das Momentum einer Überlebenselite.

In einer sehr lesbaren Sprache, die daherkommt wie ein gelungenes Echo einer steinbeckschen Diktion, erzählt Geert Mak von seinen Erlebnissen, in deren Zentrum immer wieder die Protagonisten des wahren Amerikas stehen: die Verkäuferinnen und Bedienungen, die LKW-Fahrer und die Bauern, die Jäger und die Buchladenbesitzerinnen, sie alle sprechen zu uns über diese geniale Komposition Maks, der es nicht belässt bei der historischen Dimension, sondern die Linie bis ins Heute zieht. Im Resümee steht das Ende des American Way of Life und die versteckte Prognose, dass die USA in ihrer Entwicklung die Grenzen erreicht haben, die Europa, das Mutterband dieser gesprochenen Geschichte, bereits seit langen Zeiten kennt. Ein grandioses Buch, ein Logbuch der amerikanischen Seele und eine zeitgeschichtliche Enzyklopädie.