Je lauter das Geschrei, desto schwächer die Position. Alle, die sich im Metier des Aushandelns unterschiedlicher Interessen auskennen, vertrauen auf diese Erkenntnis. Und dort, wo die wahren Meister des Verhandelns sitzen, in Asien, zeigt ein Blick auf eine solche Runde, in der es um vieles, wenn nicht gar um alles geht, wo die Mächtigen und Starken sitzen. Da herrscht Ruhe, Bedeckheit und man ergreift selten das Wort. Alle, die am Tisch sitzen, wissen um diese Gravitationskräfte und man achtet sehr genau auf jede Geste, auf jeden Blickwechsel und zuweilen sogar auf das Führen der Teetasse. Und entschieden wird zum Schluss, dann, wenn sich die ersten erheben, quasi beim Verlassen des Raumes. Geduld ist das große Pfund.
Betrachtet man die politischen Diskurse dagegen in unserer Hemisphäre, dann wird schnell deutlich, wie verworren und schwach die Protagonisten zu Werke gehen. Es wäre eine wunderbare Einsicht, zu erfahren, wie ein Xi oder ein Putin das Geschrei und sich gegenseitige Überbieten von Maßnahmen, Zielen und Schuldzuweisungen aufnähmen. Die Konsequenz ist denkbar einfach. Sie wissen um die Schwächen der Gegenseite, ohne ihre auf Irrationalität basierende Unzurechnungsfähigkeit zu unterschätzen. Da sitzen Feuerteufel mit am Tisch und man muss nur auf den einen Augenblick warten, um mit einer kleinen Geste oder Note dem wirren Spiel vielleicht doch noch eine Wende zu geben.
Ein weiterer Faktor bei dem Poker um Macht, Ressourcen und Kontinente ist die Angst. Sie ist vor allem im Westen zuhause. Kürzlich lief im Deutschlandfunk eine Reportage über die Gräuel der deutschen Kolonialmacht im heutigen Namibia. Im Resümee hieß es, dort vergäße bis heute niemand, was den Menschen dort unter deutschem Namen angetan worden ist. Daran zu zweifeln ist nicht, aber warum glauben im politischen Geschäft gleich ganze Kohorten, die sich demnächst zur Wahl stellen, dass dort, wo alles weitaus schlimmer zugegangen ist als im bemitleidenswerten Namibia, sei bereits alles vergessen? In Russland, in China, in Indien? Wie verblendet muss man sein, um das anzunehmen? Und wie verroht, um daraus nicht die richtigen Schlüsse zu ziehen. Mit den Positionen, die heute vertreten und tausendfach herausgeblasen werden, wird das Bild des blutsaugenden Imperialismus und Kolonialismus aus dem Okzident runderneuert und erhärtet. Und sie wissen es, aber es wir aus monumentaler Angst verdrängt. Wer da noch vor sich her stammelt, „nie wieder“, kann nur die Niederlagen meinen, die der britische Kolonialismus in China und Indien und der deutsche Imperialismus in Russland erlitten hat. Aber, das zur Beruhigung, diese Niederlagen werden sich wiederholen, weil die strategische Einfalt das Krönchen trägt.
Zu allem Geschrei kommt noch die eigene militärische Inkompetenz. Die große Hoffnung ruht auf dem taumelnden Weltpolizisten, dessen Ruf ebenso besudelt ist wie der unter seiner Protektion stehenden Vorgänger und dessen Inneres auf einen revolutionären Zustand zusteuert. Und gerade deshalb sind die Schergen so auf Krawall gebürstet. Sie schreien nicht minder wie die hiesigen Mitspieler. Und auch das ist kein Indiz für Stärke.
Es empfiehlt sich wirklich, sich die gegenwärtige Lage auf der Welt wie eine Verhandlung an einem großen Tisch vorzustellen und genau zuzuhören, was die einzelnen Parteien vorbringen. Dann wir schnell klar, wer die Trümpfe in der Hand hält. Wahrhaben will das niemand, hat man doch so oft gewonnen, ohne lange zu reden. Die Zeiten haben sich wirklich geändert.
