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Über den ritualisierten Widerstand

Es sei davor gewarnt, sich über Taten moralisch zu erheben, die vieles Richtiges beabsichtigten und wofür mit dem Leben bezahlt wurde, auch wenn sie scheiterten. Insofern haben die jährlichen Erinnerungen an die Bewegung des 20. Juli ihre Berechtigung. Ein Kreis aus der renommierten preußischen Generalität hatte versucht, den Diktator Hitler zu beseitigen. Das war ein mutiger Schritt, der die Hinrichtung nahezu aller Beteiligter zur Folge hatte. Es sei ebenso davor gewarnt, diese Form des Widerstandes zu einem Gründungsmythos der späteren Demokratie in Deutschland zu stilisieren, denn damit hatte der 20. Juli wenig zu tun.

Die Widersprüche zwischen der preußischen Generalität in der Wehrmacht und Hitlers Herrschaft definierte sich zunächst nicht über die Kriegsziele. Der Wunsch, vor allem nach Osten auch militärisch zu expandieren hatte in eben dieser Militärnomenklatura eine lange Tradition. Sie wurde flankiert durch das Diktum der ostpreußischen Teile, das sich erklärte aus der sozialen Herkunft von Großgrundbesitzern, die seit dem Deutschherrenorden die Unterwerfung Russlands als Traum gelebt hatten.

Die Widersprüche zu den herrschenden Faschisten leiteten sich ab aus den nationalsozialistischen Maßstäben, die die Privilegien des alten Bestandsadels negierten und Parteiparvenüs kometenhafte Karrieren garantierten. Das sind keine Motive für eine Verklärung aus demokratischer Sicht. Was man den Männern des 20. Julis neben der beabsichtigten Vernichtung des Monstrums Hitlers zugute halten kann, war ihre tiefe Aversion gegen die Barbarisierung des Kriegshandwerks und die wachsende Routine von Pogromen gegen die Zivilbevölkerung. Die Agenda, mit der der Widerstandskreis bei einem Erfolg in Verhandlungen mit den kriegsführenden Parteien gehen wollte, bestanden in der Absicherung von Territorialgewinnen, die aus den Aggressionskriegen resultierten. Gerade letzteres wird bei den Feierlichkeiten anlässlich des 20. Juli immer verschwiegen. Es wird suggeriert, dass die preußische Generalität Teil eines besseren Deutschlands gewesen sei, was bezweifelt werden muss.

Es ist nicht von Ungefähr, dass sowohl der 20. Juli als auch so manche Widerstandsveranstaltung gegen Nazitreffen von Menschen frequentiert werden, denen man attestieren muss, dass sie es bei ritualisierten Veranstaltungen des Widerstands belassen, um Mythen zu bedienen und die nicht sichtbar sind, wenn es darum geht, der täglichen Despotie die Stirn zu bieten. Es ist ein heikles Unterfangen, denn es ist nicht falsch, das Attentat auf Hitler bei einem Festakt zu würdigen, es ist nicht falsch, gegen Nazis mit mehreren Hundertschaften der Polizei im Rücken zu protestieren und es ist auch nicht falsch, die Menschenrechte der Palästinenser in Gaza zu reklamieren. Es bekommt aber einen eigenartigen Geschmack, wenn der 20. Juli nicht auch als eine expansionistische Rettungsaktion deutschnationaler Interessen charakterisiert wird, wenn nicht diejenigen, die so mutig auf gesicherten Anti-Nazi-Demonstrationen auftreten, mit einem roten Kopf im Publikum sitzen, wenn tatsächlich die Courage des Widerstands gefragt wäre und wenn diejenigen, die zurecht israelische Gewalt gegen Zivilisten anprangern, nicht die Redlichkeit aufbringen, menschliche Schutzwälle von HAMAS oder HISBOLLAH als das zu klassifizieren, was es ist: Eine Form von Zynismus, der das Wesen des Faschismus ausmacht.

Die vermeintlich heile Welt des antifaschistischen und antiimperialistischen Widerstands hat ein Stadium erreicht, die selbst die eingespieltesten Rituale nicht mehr retten können. Die Mobilisierung für eine Veränderung beklagenswerter Verhältnisse kann nicht gelingen, wenn die politische Roadmap für eine andere Zukunft nicht beschrieben wird. Dazu gehört weder völkerrechtswidrige Landnahme, noch mangelnde Courage im Alltag und auch nicht die Toleranz gegenüber der bewussten Geiselnahme von Zivilbevölkerung. Egal auf welcher Seite. Überall.

Brennender Halbmond

Man kann es sich auch leicht machen. Manchen soll es ja helfen, das Dasein besser zu verkraften. Ob es dadurch auch besser wird, ist mehr als fraglich. Nach diesem Schema verlaufen gerade wieder Berichte und Kommentare über das Auftreten der Isis-Dschihadisten im irakischen Mossul. Es ist ein Debakel: Städte, die Marksteine in der Menschheitsgeschichte ausmachten wie Aleppo und Mossul, einst leuchtende Beispiele für gelebte Konkordanz, sind dabei im terroristischen Feuer zu verbrennen. Wir reden nicht mehr von lokalen Konflikten. Wir reden von einem Flächenbrand, der von Gaza über den Libanon, den Irak und Syrien bis in die Ränder der Türkei lodert und der bald das Kaspische Meer erreicht hat. Es ist eine vorderasiatische Katastrophe. Es ist sicherlich en vogue, als Erklärungsmuster den amerikanischen Krieg gegen den Irak aus dem Jahr 2003 anzuführen. Aber leider greift dieser Ansatz bei weitem zu kurz.

Schwierig war die Region schon immer, weil in ihr kulturelle, religiöse und ethnische Gegensätze aufeinanderstießen. Aber schwierig bedeutet nicht destruktiv. Ganz im Gegenteil, die antike Blüte dieser Region resultierte aus dieser Diversität. Der Kolonialismus und die Kriege, an deren Ende am Reißbrett willkürlich Grenzen gezogen wurden, sind eine Ursache für die schon seit Jahren schwelenden Brände. Damit einher gehen die Kämpfe um die Dominanz im Lager des islamischen Kulturkreises. Letztere haben eine Vehemenz, die in der Wahrnehmung Europas nicht stattfinden zugunsten einer Kritik an der sehr volatilen Rolle der USA, die überzeichnet wird. Alle Interventionen der USA in dieser Region sind Operettenauftritte allein gegen den Krieg zwischen Iran und Irak, dem eine Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Der Dschihadismus, die Taliban, der suizidale Terrorismus, egal welche verbale Variante die angebrachte zu sein scheint, diese Bewegungen haben ihre Ursprünge in einem Konflikt mit der einstigen Großmacht UdSSR in Afghanistan. Und sie alle haben ihre materiellen Quellen in Saudi Arabien. Was einst als Befreiungskrieg gegen die Sowjetunion gefeiert wurde, wurde danach zum anti-imperialistischen Kampf gegen die USA, was im Westen zu mancher Sympathie führte. Letztere sollten die überdenken, die es mit einem selbstbestimmten Leben in einer gewissen Würde ernst meinen. Auch post-traumatische Aversionen gegen die USA sollten nicht dazu führen, in einem Machtkampf von Finsterlingen, die allenfalls in die Vorstellungswelt der heiligen Inquisition passen, für irgendwen dieser Protagonisten Sympathie zu entwickeln.

Der Kampf, der soeben in Syrien und nun auch im Irak tobt und der den Libanon seit Jahrzehnten zu einem Ort der Tristesse gemacht hat, ist der Kampf im die Hegemonie im islamischen Kulturkreis, der Kampf um die Vormachtstellung durch Saudi Arabien. Man bedient sich einer zeitgenössischen Version der Kreuzritter, bewaffnet mit moderner Technologie und ohne die psychischen Hemmschwellen, die die letzten 1000 Jahre menschlicher Zivilisation den Destruktionspotenzialen gesetzt haben. Es ist ein Drama für die islamische Welt, was dort passiert. Die Kultur, die in einem bestimmten Glauben Ausfluss findet, steht an der notwendigen Schwelle zu einer Aufklärung, die über das Überleben eben dieser Kultur entscheidet. Gelingt die Aufklärung nicht, wird die bestehende Form des Obskurantismus unter lautem Getöse und millionenfachem Mord untergehen. Das ist die Sorge, die uns umtreiben sollte und die uns dazu bewegen muss, die Kräfte zu unterstützen, die sich der inneren Unterdrückung widersetzen: In der Türkei, in Syrien, im Irak, im Iran, natürlich in Afghanistan und im Libanon. Und wir sollten uns fragen, ob wir weiterhin das letzte Refugium der Sklavenhaltergesellschaft, Saudi Arabien, so behandeln wie wir das tun. Es ist zum Speien. Es geht um die Wiege der Menschheit und es geht um uns.