Trotz, oder wegen des Tobens in unserer Welt, über das wir von schlechten Menschen, die nichts können, unterrichtet und auf bestimmte Meinungen festgelegt werden sollen, scheint es sinnvoll, zu warten, bis der Blutdruck etwas abgesunken ist und die Ratio wieder die Oberhand gewonnen hat. Eine Übung dafür kann ein kleines Resümee der Fußballeuropameisterschaft sein. Ich hatte an dieser Stelle bereits ausgeführt, dass zu den Signifikanzen dieses Turniers zählte, dass die Etablierten mit den großen Namen sich vor allem auf die Verteidigung fokussiert haben und die Erfolge im Angriff zumeist Produkte des Zufalls waren. Und es war aufgefallen, wie viele Eigentore geschossen wurden. Man könnte es auch anders lesen: da, wo ökonomische Potenz vorhanden war, konzentrierte man sich aufs Verwalten, strategisch waren manche Entscheidungen grottenfalsch und begeistern konnten diese Einheiten zumeist nicht einmal mehr ihren eigenen Anhang.
Positive Beispiele für so etwas wie Aufbruchstimmung und eine Regie, die sich aus einer mentalen Stärke ableitete, gab es auch. Wie immer, in dieser materiellen Welt, ging einem bei der Betrachtung das Herz auf. Dass letztendlich dann doch die kalte Ration phantasieloser Mächte für deren Ausscheiden sorgte, gehört zu den Gesetzmäßigkeiten des Machtspiels.
Eine Mannschaft, die sowohl mit Potenz, als auch mit Phantasie und mentaler Stärke dabei war, hat letztendlich das Turnier gewonnen. Ohne Beigeschmack und ohne Zweifel. Auch wenn von deutscher Seite Missklänge zu hören waren, die sich aus der Enttäuschung speisten, nah, ganz nah an einer Überraschung gewesen zu sein: den einen Tick war das Team der Furia Roja weiter.
Und betrachtet man dieses Team, das alle Spiele gewonnen hat, dann lässt sich folgendes resümieren: der Spirit schien sehr gut gewesen zu sein. Es verfügte über eine altersmäßige Normalverteidigung, d.h. ältere, erfahrene, mit allen Wassern gewaschene und blutunge, talentierte, kreative Spieler griffen ineinander. Sie beherrschten unzählige Spielsysteme und waren groß in ihrer Variation. Und nur eine Chance zu brauchen, um eben ein Tor zu erzielen, zeugt von einer kollektiven Gewissheit, wann die Situation da ist. Da wurde nichts von einem System oder einer Ideologie dominiert, sondern situativ entschieden, und dann das Instrumentarium gewählt, das am vielversprechendsten zum Erfolg führt. Ein hoher Grad von Berechnung gab sich die Hand mit individueller Freiheit und Kreativität.
Es empfiehlt sich, diese systemische Konstellation auf die Politik zu übertragen. Vieles, von dem, was wir täglich erleben, deckt sich mit dem Auftreten der Etablierten in diesem Turnier. Durchaus potent, aber ideenlos und zumeist einer Philosophie auf Gedeih und Verderb verschrieben. Das Erfolgsmodell sah anders aus: Eine Symbiose aus juveniler Vitalität, pragmatischer Vernunft und dem Blick alter Füchse, eine klar umrissene und eindeutige Strategie, hohe technische Präzision und Eigenverantwortung, kollektive Pflichten und individuelle Freiheiten und ein Spirit, der die Erkenntnis verkörpert, dass nur das Ineinandergreifen der Einzelteile zum Erfolg führen kann.
Das Erfolgsmodell bleibt auch über das Turnier bestehen. Die täglich erlebte Politik ist davon weit entfernt. Auch in dem Land, aus dem die neuen Europameister kommen. Aber der Fußball hat nun einmal die Impertinenz, auch ab und zu die Blaupause für gesellschaftliches Gelingen vorzuexerzieren. Das hat das spanische Team gemacht und dafür kann man dankbar sein. Vieles spricht dafür, dass das spanische Team weiterhin auf Erfolgskurs bleiben wird. Alles andere ist eine Frage der gesellschaftlichen Umsetzung. Wie das ausgehen wird? Zu dieser Prognose lasse ich mich heute nicht hinreißen!
