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FFF: Des Tigers Sprung?

Es ist ein Phänomen! Dass ausgerechnet dort, wo einmal das Land der Dichter und Denker verortet wurde, das Denken, vor allem das politische Denken, zu einer Art Paria geworden ist. Ja, das mit den Dichtern und Denkern war auch ein bisschen Spott seitens der längst gesetzten Nationen Großbritannien und Frankreich, die etwas auf dieses Konstrukt von 36 Fürstentümern, das der nationalen Einigung entgegenstand,  belustigt herunterschauten. Aber die Bespotteten bildeten sich dennoch lange etwas darauf ein, so bezeichnet zu werden. Am Ende einer relativ langen historischen Entwicklung, die mit der klassischen deutschen Philosophie begann und den Revolutionstheorien endete, versuchte dieses Gebilde, einen Platz in der Geschichte gemäß seiner Größe und Kraft zu finden. Das Maß wurde nie gefunden, mal basierte die eigene Bestimmung auf der Unterwerfung anderer, mal war das eigene Maß wegen der eigenen Unterwerfung, die aus dem Überlegenheitsgefühl resultierte, beschämend gering.

Die Dilemmata, die aus der Suche nach einem eigenen Profil, das den eigenen Vorstellungen entsprach und mit dem Selbstwertgefühl der vielen europäischen Nachbarn kompatibel war, erwuchsen, sind mehr denn je zu spüren. Ihre Wirkung ist nicht das, was sich die Akteure wünschen. Mehr und mehr gerät alles zu einem Spiel ohne Gewinner. Das Große, das stets im eigenen Raum gesehen wurde, holt sich versteckt über einzelne, private Protagonisten das, was imperialer Größe gebührt. Es wird mit der Nation, dem Staat von den anderen, betroffenen Akteuren identifiziert und der tatsächlich handelnde Staat wird seitens der Betroffenen dafür verantwortlich gemacht. 

Es klingt absurd, aber es ist so: Das Volk der Dichter und Denker hat eine Regierung, die Verantwortung für diejenigen übernimmt, die nichts oder nur wenig zu den Belangen des Volkes beitragen. Sie ist bereit, die Zeche für die Verwerfungen zu bezahlen, die die individuellen Interessen einiger Weniger verursacht haben. Im Gegenzug weigert sie sich, den Verheerungen, die durch das rücksichtslose Handeln zustande kommen, wirksam zu begegnen. 

Die Bevölkerung, um von dem lediglich metaphorisch gebrauchten Begriffes Volk wegzukommen, die Bevölkerung dieses Landes, das noch vor nicht allzu langer Zeit für den höchsten gewerkschaftlichen Organisationsgrad weltweit und eine massive Friedensbewegung stand, ist in großen Teilen geistig gelähmt, wenn es um die Frage der Auflösung der beschriebenen misslichen Lage geht. Vieles ist wirr und nicht mehr nachvollziehbar geworden. Der einstige politische Arm der Gewerkschaften ist nun selbst Betriebsrat und sitzt in der Regierung und die Friedensbewegung ist mit dem Erpressungscoup über Auschwitz zu einer völkerrechtswidrigen militärischen Intervention in Schönheit gestorben.

Stattdessen triumphiert gegenwärtig eine neue, ökologische Bewegung, der es bis heute gelingt, die Frage der Ursache für die zu beobachtenden Zerstörungen bei denen zu privatisieren, die am Ende der Kette stehen und das massive kriegerische Handeln auf diesem Planeten sorgsam außer Betracht zu lassen. Es ist geraten, so kalt wie diejenigen, die für die Verwüstungen auf dem Globus Verantwortung tragen, zu bilanzieren, denn das können sie. Die Ergebnisse der Bewegung liegen in einer sich immer mehr breit machenden Spaltung der Generationen und kleinlichen Streitereien über dass persönliche Konsumverhalten. Vieles kann sich noch tun, doch derzeit stehen die Zeichen auf einen kläglichen Ausgang. 

Es scheint zum Schicksal des Gebildes zu gehören, das sich immer noch das als das der Dichter und Denker fühlt, dass aus des Tigers Sprung zumeist ein blasser Bettvorleger wird. Wie wäre es, einfach mal den Kopf zu benutzen, und die Lage analytisch zu betrachten, wie sie ist. Ohne Appell, ohne Moral und ohne Selbstüberschätzung?

Vom Frieden zum Anti-Krieg

Wäre im Jahr 1990 ein Vorfall wie jetzt im Asow´schen Meer denkbar gewesen? Natürlich nicht. Da gab es noch eine Sowjetunion, die im Begriff war, einzustürzen, aber es gab sie noch. Sie machte große Konzessionen an den Westen, weil die damals verantwortlichen Akteure erkannten, dass sie strategisch überdehnt waren. Aber, entgegen der verbalen Erkenntnis Gorbatschows, begriffen wurde das zu spät. Im Rahmen eines halbwegs geordneten Rückzuges aus den Frontstellungen des Kalten Krieges wurde einer deutschen Wiedervereinigung bei Abzug der sowjetischen Truppen zugestimmt. Doch die Sowjetunion existierte noch, und zu ihr gehörte unter anderem die Ukraine und damit die Halbinsel Krim, die seit 1783 zum russischen Reich und dessen Rechtsnachfolger gehörte. Nikita Chruschtschow, seinerseits  Ukrainer und der sowjetische Staatschef nach Stalin war es, der die Krim in einer Wodkalaune der Ukraine vermachte. Ohne Folgen, solange die Ukraine zur Sowjetunion gehörte.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Verselbständigung ehemaliger Teilrepubliken wie unter anderen die Ukraine  änderte sich dieses und wurde dadurch zum brisanten Politikum, weil der Westen unter Führung der USA sich nicht an die Zusicherungen hielt, die noch 1990 gemacht worden waren. Die NATO, das ehemalige Militärbündnis, das als Pendant zum Warschauer Pakt gegründet worden war, blieb auch nach dem Ende des letzteren weiter bestehen. Und die NATO expandierte zielstrebig nach Osten. Sieht man sich die Entwicklung auf der Landkarte an, so handelt es sich um eine Drohkulisse für das heutige Russland. Von den baltischen Staaten an der Ostsee über Polen, Tschechien bis hin zum Schwarzen Meer ist die NATO mit Militärkräften direkt an der russischen Grenze präsent. Die einzigen Ausnahmen bildeten Georgien und die Ukraine. Ansonsten 1000 Kilometer NATO am russischen Zaun.

Der Regimewechsel in der Ukraine folgte altbekannten Mustern. Als der Einfluss Russlands sich doch gegen die Kräfte innerhalb der Ukraine durchzusetzen drohte, die für ein Beitritt in EU und NATO sprachen, intervenierten zunächst von den USA mit mehreren Milliarden Dollars gesponserte Fähnchen schwingende Stosstrupps, allen voran der vor kurzem noch zum Heiligen gekürte US-Senator McCain. Als die Fähnchen nicht mehr reichten, wurde auch schon mal scharf geschossen. In diesem Kontext das Völkerrecht zu zitieren, auf diese Idee käme nun niemand auf Seiten derer, die sich bemühen, bei allem, was folgte, wieder mit dem Recht zu argumentieren.

Bei dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, die im übrigen regiert wird von korrupten Oligarchen, die ihrerseits einmal wieder dokumentieren, wie es mit der westlichen Werte-Gemeinschaft steht, geht es um die Komplettierung der NATO-Phalanx gegen Russland. Dass Russland an diesem Punkt der Geschichte nicht mehr untätig seinem eigenen Schicksal zusah, ist aus Sicht der überwältigenden Mehrheit der Russen folgerichtig. Was nicht heißt, dass die imperialen Heißsporne, die zumindest um den NATO-Generalsekretär Stoltenberg das Sagen haben und zu denen auch die bundesrepublikanische Kriegsministerin von der Leyen zu zählen ist, versuchen, selbst von der ukrainischen Regierung aus wahltaktischen Gründen inszenierte Zwischenfälle dazu zu nutzen, Öl ins Feuer zu gießen. 

Was 1990 undenkbar gewesen wäre, gehört heute zur kriegslüsternen Realität eines immer noch von seiner vermeintlichen Überlegenheit berauschten Westens, der, ohne er zu wissen, mit seinem eigenen Ende spielt. Die Friedensbewegung schlummert seit langem in diesem Land. Sie muss sich neu formieren, diesmal als Anti-Kriegs-Bewegung. 

I never smoke weed with Willie again….

Willie Nelson. Band of Brothers

the party was over before it began. Sein Name ist Programm. Mit nunmehr 81 Jahren hat er alles gesehen und erlebt, was sich ein Mensch nur vorstellen kann. Der Mann ist eine Ikone. Nicht nur, weil er sich in seinem Leben nicht hat brechen lassen, sondern auch, weil er immer gezeigt hat, dass Menschen dennoch zerbrechlich sind. Er steht für Protest und Libertinage, für Gesetzlosigkeit und verbriefte Rechte, für einfache Musik und unvergessliche Momente. Er steht für die USA, wie sie weit über ihre Grenzen hinaus viele Generationen haben positiv prägen können. Vielleicht ist er der Inbegriff des anderen Amerika, das der einfachen Beziehungen und Wahrheiten, des leben und leben lassens, der Toleranz und Freiheit. Auf seinem Banjo, mit dem er auf die unzähligen Demonstrationen ging, an denen er bis heute teilgenommen hat, steht die die einfache Wahrheit: This Machine Surrrounds Hate And Forces It To Surrender. Ja, ohne ihn wäre unsere Welt ärmer.

Willie Nelson hat wieder einmal ein Album herausgebracht. Es trägt den Namen Band of Brothers. Wie, so könnte gefragt werden, sollte es auch sonst heißen. Willie Nelson hat immer nur das artikuliert, worauf es ihm ankam. Und heute, in einer Zeit, in der nicht nur die amerikanische, sondern die ganze Welt auf dem Kopf steht, da hat er natürlich darauf verwiesen, worauf wir, die wir den Frieden und eine bessere Welt wollen, konzentrieren müssen. Auf die Bande untereinander, auf die Solidarität. Einen Finger kann man brechen, fünf Finger bilden eine Faust! Keine Mode, kein Trend, keine luftige Idee hat es je vermocht, diesen Mann von seinem Weg abzubringen. Diese Verlässlichkeit hat ihm seine weltweite Resonanz beschert. Ob texanischer Farmer oder europäischer, metropolitaner Intellektueller, ob LKW-Fahrerin aus Missouri oder Wirtin in Den Helder, Willie Nelson hat sein Publikum, weil er zu den wenigen gehört, auf die man sich verlassen kann und weil man ihm glaubt.

Band of Brothers selbst bildet folglich auch den Mix, den man von Willie Nelson erwartet. Es handelt von seinen Erfahrungen als Tramp (Whenever You Come Around, I´ve Got a Lot of Traveling to Do), der immer unterwegs ist, von den Liebschaften, die er in seinem langen Leben schon hatte,(Wives and Girlfriends, Send Me a Picture, Used to Her, I Thought I Left You), von dem Leben als Musiker (Guitar in the Corner, The Songwriters) und natürlich von der tragischen, komischen und nicht zu leugnenden Existenz des Rebellen (Bring It On, Band of Brothers, Crazy Like Me, Hard to Be an Outlaw). Das Spektrum ist nicht überraschend, sondern genau das, wofür Willie Nelson steht.

Von Ludwig van Beethoven soll der Spruch stammen, dass die Macht der Musik die des Komponisten sei. Er vermöge es, die Zuhörerschaft in Stimmungslagen zu versetzen, gegen die sie sich nicht wehren könnte. Wenn es jemand versteht, die Gefühle herüberzubringen, die aus dem Leben eines Rebellen entstehen, dann ist es Willie Nelson. Nelsons einfache Wahrheit liegt in der Triade von Text, Musik und persönlicher Authentizität. Willie Nelson vermittelt einfache Botschaften. Das ist nicht trivial, es ist aber selten, dass an der mehr als durchsichtigen Struktur nicht kritisiert werden kann, weil es sich um nahezu existenzielle Wahrheiten handelt, die kulturgeschichtlich immer mehr überlagert werden von seichten Halbwahrheiten. Willie Nelsons Band of Brothers vermittelt Wahrheiten, die allzuoft rar geworden sind. Und es wirkt wie Medizin.