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Das Spiel mit den Tempi

Die zunehmend schnellere Taktung der Lebensumstände führt zu einer Art Atemlosigkeit in der Reflexion. Die Zeiträume, denen wir uns bei der Betrachtung des Existenziellen widmen, werden immer kleiner, wir drohen abzusinken unter den Horizont von Amöben. Es ist kein Zufall, wie oft die verbriefte Konversation zwischen Tschou En-Lai und Henry Kissinger wiederholt wird. Auf Kissingers Frage, wie der chinesische Außenminister die Wirkungen der Französischen Revolution auf Individuum und Gesellschaft einschätze, antwortete dieser, gerade mal 200 Jahre nach dem Ereignis sei es viel zu früh, darüber zu urteilen. Ein solches Statement gilt im heutigen Dauertrommelfeuer von Trash-Informationen als skurriler Standpunkt oder einfach nur crazy. Das Gegenteil scheint jedoch der Fall zu sein. In einer Zeit, in der Termini wie der der Nachhaltigkeit bis zum Erbrechen auf jede noch so profane Erscheinung appliziert werden, kann der Verweis auf größere Dimensionen, gerade in der Zeit, doch nicht so weit hergeholt sein.

Die Frage, die gestellt werden müsste, ist die, ob wir noch in der Lage wären, genau das mit unserer heutigen Momentaufnahme zu machen, was zu den Grundübungen einer jeden systemischen Beratung gehört. Stellt euch vor, ihr lebt im Jahr 2050 und blickt auf euer Leben im September 2014 zurück. Wie würdet ihr das beschreiben, und was hat sich getan? Wahrscheinlich finge das Elend schon genau da an, weil viele nicht einmal in der Lage wären, sich emotional dieser Aufgabe zu stellen, weil sie nicht aushielten, das, was als unsere Existenz als so leuchtend beschreiben wird, vielleicht als ein Trugbild zu enthüllen. Eine ausgemachte Sinnkrise wäre die Folge.

Die schnelle Taktung ist nicht nur eine Folge der Innovationsdichte, sondern auch die beste Strategie der Vermeidung. Wer keine Zeit hat, der muss auch nicht nachdenken. Die Sachzwänge verhindern die existenzielle Reflexion. Nicht, dass das bloße Denken alle Probleme lösen würde. Aber das Denken in anderen Dimensionen schon. Wer weiß, dass er stirbt und dennoch an eine Zeit jenseits des eigenen Egos denkt, der kommt zu Ergebnissen, die plötzlich das Dasein im Hier und Heute mächtig entspannen. Aber auch das wird als Gefahr gesehen, denn zu Recht ist alles, was die Omnipotenz des Augenblicks negiert, eine Aufforderung zum Ungehorsam gegenüber der Gravitation des Alltags.

Ein Cargo der Kritischen Theorie war die Erkenntnis, dass wissenschaftlich nachgewiesene und technisch machbare Verfahren und Umstände die große Gefahr in sich bergen, dass die Menschen, die sie anwenden, weder die historische Erfahrung noch die soziale Kompetenz haben, um die Dimension ihres Handelns abzuschätzen. Der Preis dafür sind verheerende Schäden, die in der Geschichte natürlich immer erst im Nachhinein bilanziert werden können. Das wird sich nicht ändern. Was aber veränderbar ist, ist die Erweiterung der zeitlichen Dimension bei der Abschätzung dessen, was wir heute tun. Wer in Jahrhunderten denkt, erweist sich selbst und der Menschheit einen großen Dienst.

Hochfrequenz und schnelle Taktung sind Phänomene, die bei technischen Prozessen wie bei politischen Revolutionen adäquate Mittel sind, um zum Ziel zu kommen. Das Spiel mit den Tempi, die Auszeit, die Weitung des Horizontes sind hingegen Dimensionen, die von denen beherrscht werden müssen, die davon ausgehen, ihre eigenen Handlungen bewusst zu gestalten. Wer diese Metiers nicht kennt und sie nicht erlernt, bleibt getrieben. Wer den Wettlauf mit der Zeit glorifiziert, ist einer grandiosen Täuschung unterlegen.