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Shot down in May

Das Wortspiel aus Frank Sinatras „That´s Life“ möge erlaubt sein. Genauer heißt es dort, „flying high in April, shot down in May“. Der Text geht auch noch weiter, aber das tut hier nichts zur Sache. Von Interesse sind zum einen die Verhältnisse in Großbritannien und zum anderen die zunehmenden, gravierenden Fehldeutungen der sich mit Politik befassenden demoskopischen Institute und der dazu gehörenden Medien. Nach dem totalen Desaster um die Wahl des us-amerikanischen Präsidenten Trump, dem besagte Welt keine Chance eingeräumt hatte und gegen den eine auch von diesen Medien ungeahnte Kampagne gefahren wird, seitdem er im Amt ist, kam nun die Wahl Theresa Mays zur neuen und alten Ministerpräsidentin Großbritanniens. Sie ist es zwar wieder geworden, aber das Ergebnis ist so schlecht, dass sie es vielleicht nicht lange überlebt.

Das Groteske, welches in den Köpfen der betrachtenden Welt anscheinend keine Rolle mehr spielt, aber dennoch maßgeblich den Ausgang der Wahlen bestimmt, sind die Erfahrungen der Menschen mit den Auswirkungen von Politik. In den USA, und das sollten sich alle hier in Europa gestalten wollenden Politikerinnen und Politiker noch einmal genau ansehen, hat der Protest der Verlierer des Wirtschaftsliberalismus den dem Establishment angehörenden, aber das Establishment anklagenden Wüterich Donald Trump die Stimme gegeben. Aber, und das wird in der Regel nicht mehr gerechnet, auch im Lager der Demokraten profilierte sich für lange Zeit der Kampagne sehr prächtig und mit Unterstützung der Jugend Bernie Sanders. Dieser formulierte die Kritik am Wirtschaftsliberalismus sehr deutlich mit Worten einer konsequenten Sozialdemokratie. Mit diesem Programm, so die These, hätten auf mittlere Sicht auch die irrlichternden Verlierer aus dem Trump-Lager gewonnen werden können.

Und nun, nachdem May gedacht hatte, der Zeitpunkt sei günstig, um das Volk noch einmal zu befragen, ob es denn ihr populistisches Programm bei den Verhandlungen um den Brexit unterstütze, taucht ein Jeremy Corbyn bei Labour auf, auch er, ähnlich wie vordem Bernie Sanders als ein alter, verträumter und weltfremder Sonderling dargestellt, der nicht mehr so richtig in die Zeit passt, und präsentiert ein Programm, das sich um die Belange derer kümmert, die nicht an der Londoner Börse Coupons schneiden. Diejenigen, die besonders in Großbritannien seit Dekaden keine Rolle mehr spielen und die mit ihrer Stimmabgabe sehr deutlich machten, dass sie noch da sind und mit ihnen auch noch zu rechnen ist. Um es kurz zu machen: Sanders wie Corbyn haben gezeigt, dass es möglich ist, das Soziale, das Kollektive und das Staatliche zu einer Attraktion bei der Veranstaltung von Wahlen zu machen.

Das Signal, das von dieser Erkenntnis ausgeht, sollte in den anderen europäischen Ländern, in denen sich in den nächsten zwei bis drei Jahren Parteien zur Wahl stellen, genau registriert werden. Eine feste, politisch die Arbeitenden und Ausgestoßenen ansprechende soziale Politik scheint nämlich in der Lage zu sein, das Abdriften in Populismus und Irrationalismus zu verhindern. Große Teile der Bevölkerung haben schlicht die Nase voll von den sich ständig wiederholenden Phrasen der Börsenratio. Selbstverständlich müssen Worte auch praktische Folgen haben, sonst wächst nur die Enttäuschung. Und, wieder einmal, aber nachdrücklich zur Kenntnis genommen: Die demoskopischen Institute sind Bestandteil des Wahlkampfes: Sie behaupten Dinge, die die Position der Herrschenden festigen sollen. Zunehmend häufiger stellen sich diese Prognosen als Wunschdenken heraus, das nichts mit der Realität, die unter dem virtuellen Dach brodelt, zu tun hat.

Sich selbst ein Ständchen

Bob Dylan. Fallen Angels

Es ist die Zeit, in der es so manch großer Künstler fertig bringt, passend zu seinem fortschreitenden runden Geburtstag ein Werk vorzustellen. Diese Werke können unterschiedlich sein. Entweder, sie verweisen auf das bisherige, lange schöpferische Schaffen oder sie ziehen Bilanz. Ganz selten wird noch einmal eine neue Perspektive eröffnet, es gilt schließlich, das eigene Leben zu betrachten.

Bob Dylan legt passend zu seinem 75. Geburtstag das Album mit dem Titel Fallen Angels vor. Und der Titel ist das Einzige, was aus Dylans Feder stammt. Bei den 12 eingespielten Songs handelt es sich, und bereits da tappen vielleicht einige in die erste Falle, nicht exklusiv um Stücke Frank Sinatras, sondern um Standards aus der amerikanischen Jazzgeschichte. Zwar hat Frank Sinatra tatsächlich Young At Heart, Polka Dots And Moonbeams, All Or Nothing At All, That Old Black Magic oder Come Rain Or Come Shine gesungen, aber auch er griff auf das Kollektivgedächtnis des Jazz seines Landes zu.

Es sind die Weisen, die in diesem Land gefühlt immer schon gespielt wurden und von denen nicht nur ein Frank Sinatra, sondern auch ein John Coltrane nicht lassen konnten. Im Reigen solcher Größen fehlt Bon Dylan einfach. Er, der mit dem Protest begann und dem Protest gegen das Vorgefertigte immer treu bleib, er kann auch den Standards eine neue Perspektive der Interpretation geben. Wieder hat er diejenigen seiner Anhängerschaft enttäuscht, die ihn bereits passend in eine Schablone gepresste haben. Aber er passt weder in das Protest-Folk- noch in das Rock-Muster. Bob Dylan ist ein großer Musiker, der zum Nationalepos seines Landes, dem Jazz, genauso gehört wie die bereits Genannten und viele der Kreativsten mehr.

Fallen Angels ist in einer Weise arrangiert, die von der sonstigen Verwertung abgeweicht, weil Dylan weder voluminöse Bläser noch schmalzige Streicher einsetzt. Er lässt sie mit Minimalbesetzung spielen und singt dazu mit seiner ihm heute typischen, etwas heiseren, lyrisch klingenden Stimme, die eine Melancholie vermittelt, die in dem Wissen um die Vergänglichkeit des Schönen liegt.

Mit Fallen Angels gibt sich ein Großer selbst ein Ständchen. Das macht er unprätentiös und im Wissen um die Kultur, in der er sich hat entwickeln können. So wild die Geschichte ist, auf die er als Individuum zurück blicken kann, so ruhig und selbstbewusst ist das Narrativ dieses Landes, das nicht umsonst auf die Universalthemen der Menschheit immer wieder rekurriert. Bob Dylan hat die Lieder aus dem kollektiven Gedächtnis seiner Nation genommen, die vor allem auf die Liebe verweisen. Das ist gut, das ist dem Anlass gebührend und es ist ihm vor allem vergönnt.