Die Geschichte ist ein Rondo. Ganz wie die musikalische Figur aus der Renaissance scheint so einiges zu funktionieren. Immer, wenn es sich um den Lauf der Dinge dreht, und immer, wenn es um die Erkenntnis über die Welt geht, treten bestimmte Analogien auf, die mehr dem menschlichen Grundmuster zu entspringen scheinen als dem Zeitgeist. Das ist so zu beobachten bei Staatsformen, das ist so zu beobachten bei bestimmten Regierungsstilen. Es ist aber auch so, wenn es um bestimmte Moden geht, sei es bei der Kleidung und dem sozialen Verhalten, sei es bei Modellen der Welterklärung. Es ist spannend. Denn bei der historischen Betrachtung öffnen sich plötzlich Perspektiven, die bei der Erklärung der Gegenwart behilflich sein können.
Das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hatte in vielerlei Hinsicht die Genetik für große Ereignisse. Dass sie in dem bis dato desaströsesten Krieg aller Zeiten aufgehen sollte, war nicht von Anfang an sicher. In der Kunst wirkte noch das Fin de Siècle nach, eine Art Endzeitstimmung, die bereits suggerierte, dass so viel Anfang noch nie vorher war. Das ging bis zu Dada, einer radikalen Form des Avantgardismus, die vor allem mit der Zerstörung des Ganzen und der Etablierung des Schocks arbeitete. Die Kunst, so könnte man sagen, kam der folgenden Apokalypse emotional sehr nahe. In der politischen Theorie erhob sich mit aller Macht der sozialdemokratische Korporatismus, der sich seinerseits vor einer Art Endkampf mit der ständischen Gesellschaft befand. Und in der Philosophie schwankte die Welt der Erkenntnis zwischen den neuen Gewissheiten des Materialismus und der zunehmend an Verve gewinnenden Teleologie des Individuums.
Gerade letzteres ist sehr erhellend. Die in dieser Zeit sehr gefeierte Theorie des Empiriokritizismus war genau die passende Antwort auf die Moderne, den mit ihr einhergehenden Industrialismus und das Bedürfnis nach kollektiven Lebensmodellen. Es war die erst große Überhebung des Individuums als Endzweck der Geschichte. Der Lehrsatz des Empiriokritizismus, seinerseits die Mutter aller bis heute folgenden positivistischen Ansätze, ist die einfache Feststellung, dass sich die vergegenständlichte Welt nur da abspielt, wo wir sie als Individuum wahrnehmen können. Alles, was außerhalb dieser Wahrnehmung stattfindet, findet gar nicht statt und ist Illusion. Dass es ausgerechnet Lenin war, der dieser Erscheinung des Zeitgeistes ein ganzes Buch widmete und seine Vertreter Mach und Avenarius regelecht mit seiner Feder sezierte, wundert da nicht mehr. Materialismus und Empiriokritizismus hieß das Buch, und damit war alles gesagt.
Nun, der Empiriokritizismus ist in Form des zeitgenössischen Positivismus bereits wieder seit langem en vogue. Und die Kernaussage ist bereits seit Dekaden formuliert: Die Welt existiert nur dort, wo meine Vorstellung ist. Und wo ich nicht bin, da ist kein Sein. Das erkennen wir sofort als die große Daseinsphilosophie des Couponschneiders, der nicht mehr aktiv in die Gestaltung der Welt eingreift, sondern sich nur noch an ihrer Aufteilung zu schaffen macht. Es ist die Theorie einer erneuten Individualisierung, in der Termini wie aktive Gestaltung und Verantwortung keine Bedeutung mehr haben. Prognostisch gesehen wird es interessant werden, wenn es um die Ereignisse geht, die dieser teleologischen Stimmung, die die Renaissance des Empiriokritizismus ausdrückt, folgen werden. Wird es wieder nur mit einer historischen Tabula rasa gehen? Ist der Krieg die Vorbedingung einer neuen Sinnstiftung nach der individualistischen Übersteigerung des gesellschaftlichen Seins? Die Kritik der positivistischen Weltsicht wäre ein guter Einstieg in die Verneinung der Frage.
