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Die spanische Blaupause

Sie leugnen es nicht einmal. Um die Gier nach ständigen Superlativen zu befriedigen, sprechen die Welterklärer von einer historischen Zäsur in Spanien. Die eine große Veränderung nach dem Ende der Franco-Ära, die royalistische Einführung einer parlamentarischen Demokratie, basierte auf einem Zweiparteiensystem. Es war die vom Rest Europas mitgetragene Antwort auf das Ende des letzten faschistischen Systems. Eingeläutet hatte es ETA, wovon heute niemand mehr spricht. Aber ihr Attentat in Barcelona auf den designierten Nachfolger Francos, Carrero Blanco, machte den Weg frei für die konstitutionelle Monarchie. Vielleicht wäre damals schon mehr für dieses gebeutelte Land möglich gewesen, aber die Kontur der europäischen Großmacht zeichnete sich bereits im Jahr 1975 ab. Der damals junge König Juan Carlos setzte auf das Parlament, auch als der franquistische Oberstleutnant Tejero noch einmal putschen wollte und sein Magazin im Parlament entleerte.

Danach herrschten erst die Sozialisten, bis sie sich abgenutzt hatten und korrumpiert waren und dann die Konservativen, bis sie die gleichen Merkmale aufwiesen. Das ging so über Jahrzehnte. Aber Spanien, dessen Herrschaft der Schwarzhemden geschlagene vierzig Jahre andauerte, Spanien arrangierte sich mit der schnellen Vergänglichkeit der Illusionen. Und es wurde von der ersten Stunde an stimuliert durch sehr viel billiges Geld. Billiges Geld aus der EU, die vieles versprach. Es entstand eine moderne Infrastruktur und die Baubranche boomte, spanische Waren erhielten neue Märkte und spanische Verbindlichkeiten erhielten sehr tolerant Stundung. Währenddessen sank die Moral der Regierenden, ob PSOE oder PP, ob Rot oder Schwarz. Eine Hand wusch die andere und irgendwann hingen alle auf der Klebespur der europäischen Bürokratie, einem Monster, das einem unabhängigen Spanien so fremd war.

Und am Zahltag, da kamen sie wieder, die Schaftstiefel, diesmal die der EU und des IMF, und sie diktierten etwas, das sie selber Austerität nennen, was aber vielleicht besser mit Neokolonialismus übersetzt würde. Die Regierung der Konservativen beugte sich dem Diktat und verordnete den Abbau des Sozialstaates, die Privatisierung von Infrastruktur und Bildung sowie des Gesundheitswesens. Die Folge ist verheerend. Die Arbeitslosenquote ist bis heute horrend, 60 Prozent der jungen Leute sind ohne Arbeit und die Talente verlassen scharenweise das Land. Chefideologen wie der Deutsche Schäuble und die Französin Lagarde haben ganze Arbeit geleistet und eine weitere europäische Nation in den Bankrott getrieben. Ja, es ist eine Zäsur. Und ja, es ist so schwerwiegend wie der Übergang vom spanischen Faschismus zur Demokratie.

Es ist wenig blumenreich für die trunkenen Philo-Europäer, dass wegen der EU-Politik das Grundmuster der spanischen Demokratie dahin ist. Der Aufschwung anderer, junger Parteien, aus denen vor allem Podemos herausragt, ist das Resultat auf den Schock durch den Neokolonialismus. Was passieren wird, weiß bis jetzt noch niemand so recht, denn PP ist bei 28, PSOE bei 22, Podemos bei 20 und Cuidadanos bei 14 Prozent. Eine Mehrheit, bewirkt durch eine Koalition, ist nicht in Sicht. Es kann alles so bleiben, wie es ist, es kann aber auch alles anders werden. Das Wahlergebnis in Spanien attestiert Europa eine ebenso gravierende Wirkung wie der historische Faschismus. Das ist eine richtig herbe Bilanz für alle, die von Europa geträumt haben. Sie dürfen sich bei den Dogmatikern des Wirtschaftsliberalismus bedanken. Und alle sollten in solchen Situationen wie gegenwärtig in Spanien höllisch aufpassen und genau beobachten, wer wo und wie aktiv wird. Spanien war schon einmal eine Blaupause, dort entschied sich der Kampf zwischen Demokratie und Faschismus in Europa. Das Parkett schwingt noch nach, schauen wir hin!

8. Mai 1945

Zum Tode Richard von Weizsäckers klang vieles noch ganz anders. Da wurde ein Staatsmann gewürdigt, der einem anderen, neuen Deutschland in der Welt Vertrauen verschafft hatte. Die Schlüsselszene, so die vielen Nekrologen, die Weizsäcker zu diesem Ruf verholfen hatte, war eine Rede seinerseits im deutschen Parlament anlässlich des 8. Mai 1945. Da hatte der von Haus aus Konservative den für ihn und viele anderen Landsleute revolutionären Satz ausgesprochen, der 8. Mai sei ein Tag der Befreiung gewesen. Und er ließ bei seiner Interpretation keine weitere Deutung zu: Die Befreier waren Amerikaner wie Russen, Briten wie Franzosen. 

Nun, wenige Zeit später, da sich der 8. Mai, der Tag der Kapitulation Deutschlands vor den Alliierten zum siebzigsten Male jährt, treten viele aus den Requisiten und beginnen mit einer eigenartigen Choreographie. Sie üben sich an Figuren, die Analogien herstellen sollen zu dem damaligen historischen Bild. Ziel der Veranstaltung ist es, die Aufstellung der damaligen Kräfte auf die heutige Zeit anzuwenden. Und, welch Wunder, geopolitisch hat sich die Lage grundsätzlich verändert. Die Bösen und durchaus mit den Faschisten zu vergleichenden sind jetzt Putins Russen und die Guten sitzen allesamt im Westen. 

Was da zusammengetragen wird, ist nicht nur wegen der historisch bedenklichen Vergleiche grotesk, wenn die Operation Barbarossa mit der Unterstützung der Ostukraine durch Russland gleichgesetzt oder die Rückholung der Krim via Volksabstimmung mit der Besetzung Sudetendeutschlands durch die Nazis verglichen wird. Noch bestürzender als der Unfug ist die Tatsache, dass sich die renommiertesten deutschen Historiker an diesen unseriösen Übungen federführend beteiligen. Politisch wird damit dokumentiert, wie weit die massenpsychologische Hirnwäsche hierzulande fortgeschritten ist.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Deutschland war Zentrum des Faschismus. Von ihm gingen der Holocaust wie die Vernichtungsfeldzüge aus. Aus eigener Kraft konnte sich Deutschland nicht befreien. Das hatte viele Ursachen, die Zerschlagung der Opposition und die Gleichschaltung der Presse. Einen historischen Vergleich zu der Barbarei des deutschen Nationalsozialismus gibt es im modernen Europa nicht. 

In der gegenwärtigen Situation existieren sehr unterschiedliche Interessen in Europa. Ebenso herrschen große Unterschiede in der Auffassung nach welchen Werten und Kriterien Staaten aufzustellen sind. Die unterschiedliche Sicht auf das eigene wie das jeweilige andere Staatswesen hat etwas mit einer sehr langen historischen Entwicklung zu tun. Alle europäischen Nationen führen besser, wenn sie sich um die Missstände im eigenen Land kümmerten und gleichzeitig versuchten, auf dem Wege der Diplomatie nach Wegen der Verständigung untereinander zu suchen. Sowohl der beschriebene Blick nach Innen wie der nach Außen hätten so etwas wie die Struktur einer Lehre aus den Verwüstungen des II. Weltkrieges. 

Beides ist leider auf allen Seiten ins Hintertreffen geraten. Es wäre sinnvoll und hilfreich, sich wieder den Lehren zuzuwenden und sich nicht von propagandistischen Slapsticks kaufen zu lassen. Das ist und wäre allzu primitiv. Ein innerer Missstand, dem hierzulande entgegengetreten werden muss, war die Entwicklung der Presse zu einer Claque bestimmter politischer Positionen. Hinzugekommen ist nun, dass wir es mit einer Historikergilde zu tun bekommen haben, die sich am ersten Kapitel der Umschreibung der Geschichte übt. Auch dem gebührt scharfe Kritik. Und indem dieses geschieht, wird auch Kritik an analogen politischen Strukturen in anderen Ländern geübt. Das ist doch nicht so schwer zu begreifen, oder?

Zivilisation und Fundamentalismus

Bewegungen, die sich gegen den Lauf der Zeit wendeten und sich dabei auf eine eigene Identität beriefen, die zugrunde zu gehen drohte, hat es schon immer gegeben. Bewegungen, die sich beim Lauf der Geschichte gar darauf verstiegen, letzteren wieder rückgängig machen zu können, hat es ebenso gegeben. Ihnen haftet die Erinnerung an, dass ihre Mittel zumeist sehr drastisch waren und dass sie letztendlich alle scheiterten. Das bedeutet nicht, dass diese Bewegungen mit allem falsch lagen, was sie kritisierten. Aber sie lagen falsch mit einer Selbsteinschätzung, die systemisch schon gar nicht mehr haltbar war.

Und vielleicht ist es diese eigenartige Selbsteinschätzung, die dem Massenphänomen des Fundamentalismus gemein ist, egal zu welchem Anlass oder zu welcher Stunde er entstand. Sowohl die christliche Reconquista mit der aus ihr hervorgegangenen Inquisition, sowohl die geheimen wie öffentlichen Terrororganisationen der faschistischen Herrschaft der Neuzeit, als auch die Revolutionsgarden im Iran des Ajatollah Khomeini, als auch die Taliban, Al Quaida und ISIS, sie alle sind der organisierte Ausdruck eines wie immer gearteten Fundamentalismus. Ihre Massenbasis ist und waren soziale Klassen, Milieus oder Individuen, die aus einem bestimmten Beschleunigungsprozess der Geschichte ins Abseits geworfen wurden, obwohl sie noch eine Lebensperspektive vor sich hatten. Was sie erlebten, war zumeist ein Abgleiten ins soziale Aus, eine Ächtung ihres Gedankengutes und ein nicht mehr in die Zeit passendes Verhalten. Was sie verstörte, war die Tatsache, dass genau das, was heute keinen Pfifferling mehr zählte, ihnen gestern noch zu Ruhm und Ansehen und zu einem wirtschaftlichen Auskommen verholfen hatte. Das war dann irgendwann aus ihrer Sicht quasi über Nacht passé. Und dann trafen sie Schicksalsgenossen, denen es ähnlich gegangen war. Und zusammen trafen sie Erklärungsmuster, die die eigene Rolle verklärten und das Neue verdammten. Und schon waren sie der Ansicht, sie könnten das beseitigen, und zwar für immer, was sie bereits selbst beseitigt zu haben schien.

Und genau das ist eines der Wesensmerkmale des Phänomens, das so gerne als Fundamentalismus bezeichnet wird. Es ist der Protest gegen eine Gegenwart, die der verklärten Vergangenheit nicht mehr entspricht. Und es ist der Versuch, die veränderten Lebensbedingungen durch einen Akt der Gewalt wieder rückgängig machen zu können. Bei der Betrachtung dessen, was ihnen fehlt, wird deutlicher, wer sie sind: Es fehlt ihnen die Fähigkeit, Strömungen der Geschichte zu erkennen und zu erklären. Ihnen fehlt die Möglichkeit, sich selbst in einem Prozess der Veränderung von einer anderen Warte aus mit zu betrachten und es fehlt ihnen eine Tugend, die nur aus einer geistigen Distanz zum eigenen Ich entstehen kann: Es fehlt ihnen die Gelassenheit bei der Betrachtung des Unausweichlichen.

Und so ist es hilfreich, beim Aufkommen neuer, vermeintlich neuer Bewegungen den Blick nicht nur auf diese selbst zu richten. Fundamentalisten sind in ihrer Verzweiflung über die Welt kein allzu großes Rätsel. Schwerer ist es nachzuvollziehen, woher es kommt, dass sie sich wie andere so wenig respektieren. Aber spannender und aufschlussreicher ist es, wie die Gesellschaft mit der neuen Form des Fundamentalismus umgeht. Bleibt sie gelassen, handelt aber konsequent, so ist die Prognose erlaubt, dass sie das Zeug hat, den aufgekommenen Fundamentalismus zu überleben. Reagiert sie jedoch hysterisch und begibt sich auf eine destruktive Augenhöhe mit dem Fundamentalismus, so ist sie schnell als ein Bestandteil des Problems zu identifizieren. Diejenigen, die den Fundamentalismus überwinden wollen, sollten sich immer vor Augen führen, dass es weder um Rasse, Gott oder Hemisphäre geht, sondern um die Zivilisation gegen die Barbarei. Da ist letzteres auch für die vermeintlich Guten verboten.