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Leid und Leidenschaft des Tangos

Leroi. Herzer. Nous Deux

Es existieren Musikgenres, die leben vor allem von Seele und Bauch. Zumeist sind sie nicht dort zu finden, wo das große Geld gemacht wird. Das widerspräche ihnen auch regelrecht. Das, worum es dort geht, ist Leid und Leidenschaft. Blues, Fado, Flamenco und natürlich auch der Tango sind die großen Vertreter dieser Kategorie. Sie erzählen die Geschichten derer, die herumwandern im Dasein, die ein Auskommen suchen und die beflügelt sind von der Suche nach dem Glück. Da diese Musikrichtungen in den Herzen vieler Menschen einen großen Stellenwert einnehmen, versuchen sich immer wieder Musiker in sie einzuschleichen, die darin den Boden für eine gelungene Karriere sehen. Da gibt es auch Exemplare, die das große Geld damit verdient haben. Ob sie allerdings von der Gemeinschaft derer, die das Genre ausmachen, als einer der ihren anerkannt werden, das steht auf einem ganz anderen Blatt.

Laurent Leroi ist einer, der Geschichten erzählen kann. Bevor er als blutjunger Straßenmusiker auf Wochenmärkten auftauchte, hatte er schon Asien hinter sich, das Golden Triangle und den ganzen Dickicht der dortigen Metropolen. Aus Straßburg kommend, war er viel gereist, immer das Akkordeon dabei. Das erklärt wohl, warum er in vielen Genres zuhause ist, ohne dass ihn eine der erdigen Communities als Eindringling empfunden hätte, er war immer dabei, ob auf dem Mardis Gras in New Orleans, bei den Companeros in Ecuador, oder den Volksfesten in Bayern. Wer keine Berührungsängste hat und dennoch einen eigenen Stil, der kann vieles in sich einsaugen und vielem zur Inspiration verhelfen.

Laurent Leroi und der Bassist Michael Herzer sind schon seit langem gemeinsam unterwegs. Und der Tango ist das, was sie schon immer zu beeindruckenden Symbiosen getrieben hat. Akkordeon und Kontrabass sind nicht unbedingt ein klassisches Arrangement, von dem erwartet werden könnte, das es das Wesen trifft. Aber diesen beiden Musikern gelingt dieses seit langem. Seit mehr als zehn Jahren widmen sie sich gemeinsam dem Tango, mit Herz und Erfolg.

Das Album Nous Deux kommt lakonisch daher. Das macht es so beeindruckend. Sobald die ersten Takte den Raum ergreifen, wähnt man sich in einem der morbiden Cafés in Buenos Aires und versinkt in das Gefühl, das der Tango vermitteln kann, sofern er herüber kommt. Auf insgesamt 11 Einspielungen gelingt das Leroi und Herzer uneingeschränkt. Sie haben eine Vorstellung von der Lebensinszenierung, die dem Tango zugrunde liegt: Migration, Suche, Verlust. Genau das ist es, was aus den teils schrillen, teils eingängigen Weisen, die sich in teils bekannten, teils verlassenen metrischen Systemen die Hand geben.

Da ist es kein Zufall, dass der Reigen mit einem Titel wie Por Un Carajillo eröffnet wird. Die Aufforderung auf ein Tässchen Espresso mit dem berühmten Schuss Rum gleicht einer Einladung zur Reflexion des Seins. Und schon flanieren und tanzen vor dem geistigen Auge die verschiedenen Weisen des Tangos an dem Betrachtenden vorbei, wie eine Galerie des Daseins. Dass diese Revue mit dem Titel Vuelo Parabolico beendet wird, ist da nur folgerichtig, da das Gedankliche der Reise noch einmal unterstrichen wird. Nour Deux ist nicht nur eine Referenz an den Tango, sondern eine Erklärung seines Wesens von zwei Musikern, die ihn seit langem leben. Dieses Erlebnis sollte sich niemand verweigern!

Traditionell und zeitgenössich

Mariza. Fado Tradicional

Marisa dos Reis Nunes, heute in ganz Portugal und vielen Teilen der Welt schlicht unter dem Namen Mariza bekannt, wurde 1973 in Mozambique geboren. Sie ist Tochter eines Portugiesen, ihre Mutter stammt aus Mozambique, insofern trägt sich die Geschichte des portugiesischen Kolonialismus in sich. Mit drei Jahren kam sie nach Portugal, wo sie aufwuchs wie die dortige Generation. Früh wurde sie entdeckt als passionierte Sängerin, ihre ersten Erfahrungen machte sie mit Jazz und Soul. Erst auf einem Konzert in Kanada entdeckte sie die Wirkung des Fado auf sich. Seitdem ist sie ihm verfallen.

Fado, abgeleitet aus dem Lateinischen Fatum, ist die künstlerische Entsprechung Portugals auf alles, was mit Schicksal bezeichnet wird. Zum Tragen kommen im Fado, der deutliche Zeichen arabischer Tonfolgen aufweist und in der typischen Besetzung, wie beim benachbarten spanischen Flamenco, aus Gitarre und Gesang besteht, die Gefühle um Saudade, d.h. alles, was den Weltschmerz betrifft. Daher wurde der Fado auch immer wieder mit dem Blues verglichen, was sicherlich aufgrund der thematischen Analogien wie der musikalischen Melancholie nicht von der Hand zu weisen ist.

Mariza eroberte Portugal im Sturm. Ihr gelang es, vor allem auch junges Publikum für diese Musikform zu begeistern, die zwar immer noch in den Bars und Kneipen von Lissabon und Coimbra lebt, aber nicht den Sprung in die neuen Distributions- und Konsumformen der Musikindustrie geschafft hat. Mit Fado Curvo, Transparente und Terra brachte sie im Laufe des letzten Jahrzehnts Alben heraus, die den Bogen von der alten Botschaft zur neuen Befindlichkeit vermochten zu spannen. Das Concerto Em Lisboa im Jahre 2006 verschaffte ihr endgültig den Durchbruch. Heute wird ihr Name bereits in gleichem Atemzug mit der historischen Ikone des Fado, Amalia Rodrigez, genannt. Mariza gilt als die heutige, zeitgenössische Stimme des Fado.

Ihr neuestes Album, Fado Tradicional, ist folglich das, was sie sich aufgrund ihrer Position leisten kann. Sie darf es wagen, die alten Weisen des Fado anzustimmen, ohne Blasphemie zu betreiben. Denn, ähnlich wie im Blues, es gelten strenge Gesetze, was die Inszenierung anbetrifft und das Publikum ist in großen Teilen wertkonservativ. So gehen die insgesamt 11 Titel durch das Kompendium des traditionellen Fado wie eine pädagogische Führung. Der Auftakt beginnt mit Fado Vianinha, einer Hommage an die Melancholie schlechthin. Promete, Jura, das zweite Stück, beschreibt den Lauf der Welt, der sich nicht von der Banalität des Individuums beeinflussen lässt. As Meninas Dos Meus Olhos verweist auf die Nonchalance, die dem Individuum zur Verfügung steht, um durch den Alltag zu kommen. Mais Uma Lua wiederum verweist auf den Gestus der Unausweichlichkeit des Schicksals. Die Stücke, die nicht nur unterschiedliche Themen des Fado aufgreifen, sind aus den verschiedenen Hochburgen des Fado entlehnt und geben somit eine beeindruckende Kartographie dieses Genres. Boa Noite Solidao zum Beispiel demonstriert, wie weit es der Fado gebracht hat, denn dieses Stück könnte nächtens an einem brasilianischen Strand spielen, und Desalma hat Qualitäten, den der benachbarte Flamenco bietet.

Wer sich dem Fado nähern will, oder sich einmal der ganzen Gemütslage dieses Genres auszusetzen bereit ist, ohne sich wie in einem muffigen Archiv zu fühlen, der sollte sich in die Arme Marizas begeben, wenn sie den Fado Tradicional intoniert.