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US-Außenpolitik: Koste es die anderen, was es wolle!

Bernd Greiner, Was die USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben

Wir leben in einer Zeit, die kaum noch ohne Querverweise auszukommen scheint. Daher sei der etwas polemisch gemeinte, aber zutreffende Wink erlaubt, dass diejenigen, die sich ein Bild von der interventionistischen und kriegerischen Politik der USA der jüngeren Geschichte machen wollen, gut beraten sind, sich auf Youtube eine Stadionchoreographie aus Belgrad anzuschauen, in der die Fans von Roter Stern Transparente mit den Namen der Orte und Länder hochhielten, in denen die USA völkerrechtswidrig aktiv geworden waren. Dazu skandierten sie Lennons Give Peace A Chance.

Das vorliegende Buch mit dem Titel „Was die USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben“ des Autors Bernd Greiner, seinerseits Historiker, der an der Universität Hamburg lehrte, den Arbeitsbereich „Theorie und Geschichte der Gewalt“ am Hamburger Institut für Sozialforschung leitete und Gründungsmitglied des „Berliner Kollegs Kalter Krieg/Cold War Studies“ war, könnte auf den ersten Blick in die Kategorie der Auflistung us-amerikanische Interventionen passen. Denn der Autor pickt sich auch die markantesten Beispiele heraus, wie Vietnam, Guatemala, Nicaragua, Chile, immer wieder Kuba und bis zu Afghanistan und dem Irak, und teilweise in der Bundesrepublik bis heute nicht wahrgenommene Beispiele wie die nahezu komplette physische Liquidierung der indonesischen Kommunisten mit eineinhalb Millionen Toten in der Folge eines Militärputsches.

Greiner begnügt sich jedoch nicht mit dieser Auflistung, die auch in zahlreichen anderen Publikationen zu finden ist. Was dieses Buch, das ebenfalls als Hörbuch vorliegt, in besonderer Weise auszeichnet, ist der Versuch einer Erklärung für etwas, das man nicht nur eine brutal imperiale, sondern auch eine durchweg desaströse Politik bezeichnen muss. Überall, wo das amerikanische Projekt eines Regime Change „erfolgreich“ war, blieb nichts als verbrannte Erde und Wunden, die nie verheilten. 

Die innere Quelle für diese nahezu kontinuierliche Politik liegt in der tief in der amerikanischen Geschichte verwurzelten Vorstellung des Exzeptionalismus. Die Vorstellung, nicht nur einzigartig zu sein, sondern auch den Auftrag zu haben, die Welt nach dem eigenen Ebenbild zu einer besseren zu formen, dominiert über alle Phasen der eigenen Geschichte. Zwar gab es immer, nicht erst seit heute, eine tiefe Spaltung. Diese bestand und besteht aus den Lagern der Interventionisten und der Isolationisten. Erstere sind diejenigen, die es darauf anlegen, durch bewusstes Eingreifen in andere Länder die historische Mission zu erfüllen und diejenigen, die sich lieber auf das eigene Land konzentrieren wollen, bei denen allerdings auch Slogans wie „America First“ zuhause sind. 

Dass bei der völkerrechtswidrigen, kriegerischen Bilanz jeweils die Interventionisten am Ruder waren, erklärt sich von selbst. Dass die Interventionisten ihr Bollwerk in der Demokratischen Partei haben, irritiert vom europäischen Standpunkt eher, obwohl in der jüngeren bundesrepublikanischen Geschichte es grün/sozialdemokratische Regierungsparteien sind, die sich die Vorstellung zu eigen gemacht haben, durch Krieg das Gute schaffen zu können.

Ein weiterer Aspekt, den Greiner bei der Realisierung der interventionistischen Politik beleuchtet, ist der des ununterbrochen vorherrschenden Kalküls, dass der Eindruck einer gewissen Unberechenbarkeit seitens der Imperiums bewusst lanciert wird. Die Angst vor militärischen Schlägen bis hin zum Einsatz von Nuklearwaffen gehört zur aktiven Gestaltung us-amerikanischer Außenpolitik.

Das gut lesbare Buch kommt ohne Polemik aus, es beschränkt sich auf Fakten und klärt Hintergründe. In einem Nachwort, das den Titel „Gedanken zu einer Unabhängigkeitserklärung“ trägt, setzt Greiner das Referierte in Beziehung zu einer deutschen Politik, die, folgt sie der imperialen Attitüde der USA, nur in der eignen Beschädigung liegen kann. Denn eines wird bei der Lektüre wieder einmal allzu deutlich: Ziel des Imperiums ist die Dominanz und der Vorteil des Imperiums. Koste es die anderen, was es wolle. 

  • Herausgeber  :  C.H.Beck; 2. Edition (12. November 2021)
  • Sprache  :  Deutsch
  • Taschenbuch  :  288 Seiten
  • ISBN-10  :  3406777449
  • ISBN-13  :  978-3406777448