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Diskriminierung macht frei?

Ich bin gewarnt worden. Mach das bloß nicht. Dir geht es doch gut. Du bist in gewisser Weise privilegiert. Und blase nicht schnell so eine These heraus! Stimmt alles. Aber, so meine Frage an mich selbst, wer haut nicht alles mögliche heraus, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen? Und wie viele Menschen sind hier, in unserem Land, nicht in gewisser Weise privilegiert? Ja, es gibt Unmengen an Unterprivilegierten, Verschmähten und müde Belächelten, aber eben auch die, die finanziell gut über die Runden kommen, die ihre Vertreter in den Parlamenten haben und für die viele Gesetze gemacht sind. Und gerade die sind es, die sehr oft darüber klagen.

Worüber? Über ihre Diskriminierung. Und in einer Gesellschaft, die vom woken Infekt befallen ist, sind die Möglichkeiten, sich diskriminiert zu fühlen, unbegrenzt. Das alles, so mein Gedanke, einmal umgedreht und auf mich bezogen, ist doch ein Witz. Ich bin ein Cis-Mann, alt und weiß. Da hat mir die woke Kanone schon den Kopf über dem Zaun weggeschossen, bevor ich überhaupt etwas sagen konnte. Natürlich wird in den saturierten, nach Einfluss und Karriere strebenden Kreisen dieses nicht als Diskriminierung angesehen. Das passt nicht nur nicht ins Portfolio, sondern ist erlaubt. Ich gehöre in diesen Kreisen zum Abschaum, um gesellschaftlichen Auswurf. 

Ich bettele nicht darum, dass dieser Form der Diskriminierung Einhalt geboten wird. Nein, ich empfinde sie weder als Erniedrigung noch als Affront. Ehrlich gesagt, und jetzt ist es raus: diese Art der Diskriminierung macht frei. Sie entledigt mich von den allgemein angenommenen Hypothesen einer von diesen Kreisen definierten Gesellschaft, ich muss bei keiner Veranstaltung mitmachen, in der das falsche Bewusstsein zelebriert und an Lebenslügen gebastelt wird, die  viele Formen der vermeintlichen Diskriminierung auf den Index schreiben, um an den – weniger werdenden – Fleischtöpfen ein Plätzchen zu finden. Ein Blick auf die Personalpolitik derer, die Mandate errungen haben und aus dem vermeintlichen Diskriminierungslager stammen, spricht Bände. 

Eine Szene, die mir einen Begriff von dem gegeben hat, worüber ich spreche, geht mir nicht aus dem Kopf. Da wurde ein alter Mann aus dem Ruhrgebiet gefragt, was das Schlimmste für ihn gewesen sei, als er damals als Kind in Armut und Dreck aufgewachsen ist. Da berichtete er, dass seine Familie auf Hilfe angewiesen gewesen sei, die allerdings von oben herab kam und mit Erniedrigung verbunden war. Nicht die Bedürftigkeit, so flüsterte er ergriffen in den Raum, sei das Schlimmste gewesen, sondern die Entwürdigung.

Verglichen damit geht es denen, die das Thema der Diskriminierung im öffentlichen Diskurs besetzen, nicht gut, sondern unverschämt gut. Und eine Diskussion mit dieser Klientel führt zu der Schlussfolgerung, ihnen die sprichwörtliche Lufthoheit streitig machen zu müssen. Sie helfen nicht denen, die wirklich diskriminiert werden. Sie helfen nur sich selbst. Ich empfinde den Versuch, von dieser Interessenvereinigung diskriminiert zu werden, als wohltuend. Das macht so richtig frei und deutet drauf hin, in der Einschätzung nicht falsch zu liegen. Und es befreit von Zwängen, die nirgendwo hin führen. Zumindest gesellschaftlich. Individuell, karrieretechnisch schon, wie gut zu beobachten ist.